Polizist seit 40 Jahren: "Ich bin ein Straßenkind"
Autor: Sabine Memmel
Höchstadt a. d. Aisch, Freitag, 15. August 2014
Rainer Scheckenbach ist seit 40 Jahren Polizist. Kennt Höchstadt wie seine Westentasche. Ein Gespräch über seinen Arbeitsalltag, lebensgefährliche Einsätze und die Rolle seiner Dienstwaffe.
Das Telefon in der Polizeidienststelle Höchstadt klingelt am laufenden Bahn. Kaum legt Rainer Scheckenbach auf, wartet schon der nächste Anruf. Nächstes Jahr geht der 59-Jährige in den Ruhestand. Seit 40 Jahren ist der Dienstgruppenleiter Polizist, seit 1982 in Höchstadt. Mit dem FT blickt er gemeinsam zurück.
Wann haben Sie das letzte Mal Ihr Pfefferspray benutzt?
Rainer Scheckenbach: (überlegt kurz) Vor gut einem halben Jahr. Das war bei einem betrunkenen Randalierer. Es gab Familienstreitigkeiten und er wollte sich nicht festnehmen lassen. Bei den meisten wird die Gewalttätigkeit durch das Pfefferspray eingeschränkt, aber manche sind auch immun dagegen. Das hab' ich vor zwei Jahren auf dem Altstadtfest erlebt.
Ist Höchstadt - was die Polizeiarbeit angeht - eher harmlos?
Das würde ich nicht sagen.
Sind die Leute heute aggressiver?
Früher war es einfacher, Maßnahmen durchzusetzen. Auch bei Jugendlichen. Sie reagieren heute anders als damals, trauen sich mehr. Ein ganz großes Problem ist der Alkohol. Bei vielen fehlt die soziale Kontrolle durch die Eltern. Viele wissen nicht mehr, was ihr Kind so treibt, drohen uns trotzdem gleich mit einem Rechtsanwaltsschreiben.
Was war das Schlimmste, was Sie in Ihren 40 Dienstjahren je erlebt haben?
Ich wurde zweimal fast erstochen. Einmal vor einem Autohaus in Höchstadt, als ein ausgebrochener Häftling ein Auto klauen wollte. Er kam mit dem Messer auf mich zu - er hätte mich abstechen können. Ich zückte meine Waffe, die ihn zum Glück abschreckte. Er hat sich dann ergeben.
Und das andere Mal?
Das war vor fünf Jahren im Asylbewerberheim. Wir waren vor Ort wegen einer Körperverletzung, als der Täter auf einmal mit dem Messer auf uns losging. Wir konnten gerade noch ausweichen, das Messer landete neben mir im Türstock.
Und dann?
Ich hätte schießen können, es wäre Notwehr gewesen. Aber ich wollte nicht. Es standen zu viele Leute drum herum, unter anderem eine Mutter mit Kind. Da hab' ich auf mein Bauchgefühl gehört - das ist sehr gut. Also haben wir zunächst die Flucht ergriffen. Ein paar Tage später hat ein Sondereinsatzkommando den Mann schließlich festgenommen.
Man lebt also auch in Höchstadt als Polizist gefährlich...
Ich wurde auch mehrmals fast totgefahren, wenn wir auf der Autobahn einen Unfall aufgenommen haben. Einmal musste ich sogar einen Sprung zur Seite über die Leitplanke machen. Auf der Autobahn lebt man am gefährlichsten.
Wie verarbeiten Sie das alles?
Sehr gut. Ich kann Dienst und Freizeit relativ gut trennen. Ich bin ein Mensch, der vergisst. Es gibt zwar Dinge, über die man manchmal noch nachdenkt, vor allem tödliche Unfälle. Aber man muss immer nach vorne blicken. Ich bin ein positiver Typ. Da kommt mir auch mein Sport zugute. Ich gehe vier oder fünf Mal in der Woche laufen. Da bekomme ich den Kopf frei.
Machen Sie das mit sich aus, wenn Sie etwas beschäftigt, oder sprechen Sie auch drüber?
Auf jeden Fall! Mit meiner Partnerin kann ich das am besten, weil sie außen vor ist.
Hatten Sie schon einmal Angst?
Vor Schlangen hab' ich panische Angst. Aber im Dienst nicht, nein. Wer Angst hat, verliert (lächelt).
Mussten Sie schon einmal auf jemanden schießen?
Nein, zum Glück nicht. Noch nie. Die Waffe hab' ich bisher nur präventiv genutzt - toi, toi, toi (klopft auf Holz). Ich hätte zwar schon mehrmals schießen können, aber ich hab' es nicht gemacht. Mein Bauchgefühl war bisher eben immer richtig. Aber es ist immer eine Gratwanderung. Man kann nie voraussehen, was passiert, oder sich darauf vorbereiten. Hilfreich sind regelmäßige Trainings in Erlangen, bei denen verschiedene Situationen durchgespielt werden und man entsprechend reagieren muss. Ich mache das mindestens viermal im Jahr.
Gibt Ihnen die Waffe bei Einsätzen eine Art Sicherheit?
Ja, auf jeden Fall, in den prekären Situationen.
Haben Sie die Waffe immer bei sich?
Klar! Sie ist auch immer geladen. Die Waffe gehört für mich dazu wie der Kuli. Bevor ich nach Hause gehe, ist sie das letzte, das ich ausziehe. Daheim hab' ich aber keine Waffe. Manche Kollegen haben das. Aber ich will das nicht.
Wurden Sie schon einmal verletzt?
Ja, vor zweieinhalb Jahren. Ich wurde von einem "Junkie" in die Hand gebissen und musste acht Wochen auf den Befund warten, ob ich infiziert bin oder nicht. Zum Glück war alles negativ.
Warum wollten Sie eigentlich Polizist werden?
Wegen der Fernsehserie "Der Kommissar". Das hat mich damals total fasziniert. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon gelernter Landwirt und arbeitete auf dem Hof meiner Eltern in Volkach. Ich hab' meine Entscheidung nie bereut. Polizist zu sein, ist ein wunderschöner Beruf. Am liebsten bin ich auf der Straße unterwegs, ich bin ein Straßenkind. Hier in Höchstadt bin ich zum Glück nicht der "blöde Bulle", sondern für viele einfach nur der "Schecki". Das finde ich super.
Das Gespräch führte
Sabine Herteux