Druckartikel: Pilzsuche als wahre Reiz(ker)-Überflutung

Pilzsuche als wahre Reiz(ker)-Überflutung


Autor: Pauline Lindner

Lonnerstadt, Samstag, 20. Oktober 2012

Mitte Oktober kamen die Pilzfreunde auch in unserer Region endlich auf ihre Kosten. Wer sich so gut auskennt wie Hans Krautblatter, der findet auf engstem Raum unzählige Arten und kann vor allem genießbare und ungenießbare unterscheiden.
Einem Experten wie Hans Krautblatter gibt auch der Geruch eines Pilzes entscheidende Hinweise: Dieser riecht wie ein Rettich, ist also ein Helmling. Der ähnlich aussehende Zedernholztäubling riecht dagegen wie eine alte Zigarrenkiste. Fotos: Pauline Lindner


Eine idyllisch gelegen Weiherkette bei Lonnerstadt. Der Biologe Hans Krautblatter führt ein Grüppchen potenzieller Pilzsammler über den Weiherdamm auf den gegenüberliegenden Mischwald zu. "Achtung, jetzt geht es los", sagt er schon, bevor der Wald erreicht ist. Denn er hat einen kurzen Spaziergang versprochen, durch ein Gelände, in dem die Pilze nur so wachsen.

Da bückt er sich auch schon, zieht sein Taschenmesser heraus und schneidet einen unscheinbar bräunlichen Pilz ab. "Ein Schleierling, ein Gelber Klumpfuß", erklärt er sofort und weist auf den schleimigen Stiel hin. Zwei Schritte weiter spitzt ein ähnlicher Pilz aus Gras, Blättern und Nadeln heraus. "Da ist noch so einer", glaubt der Pilzneuling neben ihm. Irrtum!


Ein Pilz mit Nervengift


Krautblatter schneidet wieder ab und lässt reihum riechen. "Wie muffiges Mehl, nicht wahr? Das ist ein Bitterer Ritterling." Das Grüppchen ist noch keine zehn Meter weit gekommen, da hat der Fachmann noch sechs weitere Pilzarten bestimmt. "Den müssen Sie kennen", sagt er dann und zeigt auf einen wunderschönen Pilz zwischen Holzstücken. Die steil gewölbte, braune Kappe ist mit weißen Punkten übersät. "Ein Pantherpilz. Er enthält ein schweres Nervengift."

Krautblatter ist einige Tag zuvor den Weg schon einmal gegangen und verspricht deshalb noch reichlich Funde von traumhaft schönen, wenn auch hochgiftigen Pilzen.

"Als ich hier war, fand ich 70 verschiedene Arten. Davon waren 14 sehr gute Speisepilze, 14 weitere kann man essen, fünf Arten sind giftig und der Rest ungenießbar." Die hier vorkommenden gefährlichen Arten listet er gleich auf: Grüner Knollenblätterpilz, Fliegenpilz, Pantherpilz, Kahler Krempling und Wiesentrichterling. "Der Kahle Krempling kommt häufig unter Birken vor. Früher war er sogar ein Marktpilz, bis man erkannte, dass er starke Antigen-Reaktionen auslöst. Eine allergische Reaktion tritt dadurch erst beim zweiten Essen auf und steigert sich von Mal zu Mal", erklärt er die stark veränderte Zuordnung des Pilzes.


Der Geruch entscheidet


Die Gruppe geht weiter am Weiher entlang, rechter Hand steigt das Gelände an. Mächtige Eichen stehen hier, dazwischen Buchen, Lärchen, Kiefern, einige Espen. Und Pilze, Pilze, Pilze. Meist verschiedene Arten auf engstem Raum. Rand an Rand wachsen ein Zedernholztäubling und ein Helmling. Der eine riecht fast wie eine alte Zigarrenkiste, der andere dagegen eindeutig nach Rettich.

"Pilze haben manchmal schon seltsame Namen", schmunzelt Krautblatter bei einem nächsten Fund. "Der wird Unverschämter Ritterling genannt. Wegen seines intensiven modrigen Geruchs." Eine ganze Scheibe unscheinbar gelblicher, trichterförmiger Pilze freut ihn besonders. Es handelt sich um den Gerippten Ritterling. "Vor 40 Jahren habe ich den mal bei Hombeer gesehen. Und jetzt hier wieder."


In Symbiose mit Bäumen


Mit zu Boden gerichteten Augen geht man weiter. Es kommt wieder ein "Zwillingspärchen" in Sicht: ein Butterpilz und ein Goldröhrling. Der erste, so erklärt Krautblatter, wächst in Symbiose mit Kiefern, der zweite mit Lärchen. "Da hier viele Baumarten nah beieinander wachsen, kommt öfter vor, dass Pilze mit ganz anderen "Partnern" so dicht beieinander stehen." So stehen auch drei Reizkerarten nicht weit von einander entfernt: der Eichenreizker, der Buchenreizker und der Graugrüne Reizker, der ebenfalls unter Buchen wächst.

Für den Pilzneuling wird die Aktion langsam zur Reizüberflutung, unterscheiden sich doch die Pilze immer nur in wenigen Merkmalen. Ohne fremde Hilfe hätte er wahrscheinlich bei etlichen gar nicht gemerkt, dass sie zu verschiedenen Arten gehören. Was beispielsweise bei der Gruppe der Reizker fatal sein könnte, sind doch einige gute Speisepilze darunter und die anderen schlicht ungenießbar.
Krautblatter bestätigt dieses Problem gern und rät beim kleinsten Zweifelsfall, lieber den Fund einem Pilzkenner vorzulegen. Aber heute ginge es ja mehr um die Vielfalt.

Krautblatter zeigt dann auf das Eselsohr oder blasslila Rettichfälbling. Und dann puhlt er ein rundliches Gebilde heraus. "Ein Hexenei." Aufgeschnitten erkennt man Rand der grünlichen Masse orangerote Verfärbungen. Recht exotisch, denkt der Pilzneuling. Und Krautblatter bestätigt das sofort: "Das ist ein Tintenfischpilz. Der wurde erst vor wenigen Jahren durch einen Wanderer aus Neuseeland in die Vogesen eingeschleppt. Und langsam breitet er sich in Mitteleuropa aus. Seit neuestem findet man ihn auch im Aischgrund."

Krautblatter führt die Gruppe nun auf einen Weiherdamm mit einem wahren Pilzteppich. Am äußersten Eck steigt er zum Wasser hinunter und kommt mit einem riesigen Pilz wieder hoch. Ein Riesenreizker. Die wievielte Art war das? Der Neuling hat längst die Übersicht verloren. Auf einer Strecke von kaum mehr als 500 Metern, wie ihm Krautblatter versichert.