Lieber Realschule als Gymnasium
Autor: Andreas Dorsch
, Montag, 11. Juli 2016
Die Hälfte der neuen Realschüler im Landkreis Erlangen-Höchstadt hätte auch die "uneingeschränkte Befähigung" für das Gymnasium.
Zum Ende der vierten Klasse fällt an unseren Grundschulen die Entscheidung, welchen Bildungsweg die Kinder einschlagen. Waren früher in erster Linie die Noten der Maßstab dafür, ob es ins Gymnasium, auf die Real- oder die Mittelschule ging, spielen heute andere Faktoren mit.
Wie sonst lässt es sich erklären, dass im Landkreis Erlangen-Höchstadt etwa die Hälfte der Kinder, die nach der Vierten in die Realschule wechseln, eigentlich die "uneingeschränkte Befähigung für das Gymnasium" besitzen.
Sie, beziehungsweise ihre Eltern, entscheiden sich aber für die Realschule. Dass sie dies tun, geht aus einer Statistik des Landratsamtes hervor, in der für die jüngste Schulausschusssitzung die Entwicklung der Schülerzahlen an den Landkreis-Schulen aufgelistet wurde.
Warum die Realschule dem Gymnasium trotz Eignung vorgezogen wird, darüber wollte der stellvertretende Schulleiter der Höchstadter Realschule nicht spekulieren: "Da müssen sie die Eltern fragen."
Zeitgeist ist nicht mehr so bildungsnah
Norbert Schell, der Direktor des Herzogenauracher Gymnasiums, nennt dagegen Gründe: "Der Zeitgeist ist nicht mehr so bildungsnah." Viele Eltern möchten heute, dass ihr Kind ohne große Anstrengungen durch die Schule geht, stellt Schell fest. Für manche Eltern sei da die Realschule der einfachere Weg. Trotzdem stünden die Grundschüler enorm unter Druck, "die gymnasiale Eignung im Zeugnis stehen zu haben". Die Situation am Arbeitsmarkt sei derzeit gut, es würden überall Lehrlinge gesucht. Dennoch bricht er eine Lanze fürs Gymnasium: "Eine fundierte Ausbildung ist das Wichtigste, was ich einem Kind mitgeben kann." Mathe, Deutsch und eine Fremdsprache müsse man können, sagt der Direktor, "das bieten wir am Gymnasium".
Die Bevorzugung der Realschule von fürs Gymnasium geeigneten Schülern hänge nach Schells Auffassung nicht von der Frage G8 oder G9 ab. Sein Höchstadter Kollege Bernd Lohneiß hält es dagegen für möglich, dass sich eine ein Jahr längere Gymnasialzeit positiv auf die Attraktivität des Gymnasiums auswirke.
Pilotprojekt: Mittelstufe Plus
In Höchstadt läuft seit diesem Jahr das Pilotprojekt Mittelstufe Plus, wobei die Schüler wählen können, ob sie wie früher wieder neun Jahre ins Gymnasium gehen möchten. Aktuell habe man in der achten Jahrgangsstufe zwei G8- und drei Mittelstufe-Plus-Klassen. Im kommenden Schuljahr wird es nur noch eine G8- und vier Mittelstufe-Plus-Klassen geben.Für Lohneiß ist der Trend eindeutig und er werde dem Gymnasium auch wieder mehr Zulauf bringen. Die Vorteile der ein Jahr längeren Schulzeit liegen für ihn auf der Hand. Kein Nachmittagsunterricht mehr, eine Entschleunigung des Lernens, mehr Zeit für die persönliche Entwicklung und mehr Zeit für außerschulische Aktivitäten. Sogar sehr gute Schüler würden sich für das neunjährige Gymnasium entscheiden.
An den vier Landkreis-Gymnasien in Höchstadt, Herzogenaurach, Eckental und Spardorf bleibt im kommenden Schuljahr die Gesamtschülerzahl mit knapp über 4300 auf Vorjahresniveau. Dabei haben alle vier jeweils über 1000 Schüler.
An der Realschule in Höchstadt wird es mit 870 Schülern in 33 Klassen eine Eingangsklasse weniger geben als im Vorjahr. Die Herzogenauracher Realschule plant mit 920 Schülern in 36 Klassen - die Schülerzahl geht um acht zurück.
Zusammen mit Berufsschulen, Berufsfach- und Förderschulen werden an den unter Trägerschaft des Kreises stehenden Bildungseinrichtungen 8475 junge Menschen unterrichtet. Darunter sind ab Herbst auch 260 Flüchtlinge in 13 speziellen Flüchtlingsklassen.