Kleider machen Leute
Autor: Michael Busch
Wachenroth, Montag, 26. Oktober 2020
Das Wachenrother Bekleidungsunternehmen Murk hat innerhalb weniger Tage gut 40 Mitarbeitern gekündigt. Diese sprechen von ungehörigen Vorgängen im Haus und einem Psychokrieg gegen die Gekündigten.
"In einer Krise zeigt sich der Charakter unserer Mitmenschen!" Die Besitzer des Wachenrother Bekleidungsunternehmens Murk nutzen das Zitat des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt in einem Schreiben an die Belegschaft. Georg, Johannes und Michael Murk hatten die Mitarbeiter im März mit diesem Satz, aber auch dem Appell "uns auch in dieser Situation zu unterstützen" aufgefordert, sich für das Unternehmen Murk einzusetzen und ihm treu zu bleiben.
Ein Großteil der Angestellten kann über dieses Schreiben, das im März zuzeiten der ersten Corona-Einschränkungen die Mannschaft erreichte, nur noch verbittert den Kopf schütteln. Denn sie haben den Charakter der Unternehmensführung kennenlernen dürfen. Es sind einige Mitarbeiterinnen, die ihre Geschichte erzählen. Deckungsgleiche Vorwürfe, aber mit unterschiedlichen Zukunftsaussichten. Die einen würden gerne bei Murk weiterarbeiten, andere dort wieder anfangen, und einmal gibt es bereits einen neuen Job. Was allen aber gemein ist, dass sie aus Furcht vor dem (ehemaligen) Arbeitgeber keine Namen nennen wollen. Die Zukunft sei zu unsicher.
Aber mal ganz von vorne: Am 16. März, noch vor der Schließung von Geschäften, gab es im Hause Murk eine Mitarbeiterversammlung. Dort wurde mitgeteilt, dass es wohl zu Corona-Änderungen kommen werde, die Unternehmensleitung aber nicht sagen könne, ob dies auch Kurzarbeit beinhalte. "Wir waren mit diesen Ankündigungen, wie vor den Kopf gestoßen", sagen die Mitarbeiter des betriebsratslosen Hauses. "Wie es weiter geht, dazu gab es an diesem 16. März keine Auskunft." Die Geschäftsführung habe sich insgesamt still verhalten, ein Personalleiter - der ehemalige Elektriker im Haus - hatte die Gesprächsführung übernommen.
Unter diesem Eindruck wurde an diesem Tag die Kundschaft weiterbedient. Doch dann überschlugen sich im März die Ereignisse. Am 18. März wurde das Geschäft wegen der Corona-Verordnungen geschlossen. Eine Woche darauf wurde etwa 40 von 140 Mitarbeitern gekündigt.
Zum einen mit einer dubiosen Kündigung: kein Datum, kein Grund, alle Schreiben exakt gleich. Lediglich der Hinweis, dass es sich um eine ordentliche Kündigung handle. Doch in Deutschland gilt: Ein Arbeitgeber muss eine Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit abgeben, wenn er einer großen Zahl von Arbeitnehmern zu kündigen beabsichtigt. Eine unterlassene oder fehlerhafte Anzeige kann zur Unwirksamkeit der Kündigungen führen. Stoff für die anwaltlichen Vertretungen, die für einige der gekündigten Arbeitskräfte aktiv wurden.
Anwälte eingeschaltet
Zeitgleich haben Mitarbeiter, die nicht gekündigt worden sind, Briefe erhalten, in denen diesen die Kurzarbeit offeriert wurde. Ebenfalls überraschend für Beobachter. Denn in der Regel wird Kurzarbeit eingeführt, um möglichst Entlassungen zu vermeiden.
Die Einsprüche der Anwälte führten aber nur bedingt zum Erfolg. Innerhalb von sechs Wochen folgten zwischen sechs und zehn weitere Kündigungen - für die bereits "falsch Gekündigten". Nach der "normalen" Kündigung folgte eine "ordentliche Tatkündigung", allerdings ohne auf den Tatvorwurf einzugehen. Bei der Tatkündigung entschließt sich der Arbeitgeber zur Kündigung, weil er der Überzeugung ist, dass der Arbeitnehmer die strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb unzumutbar ist. Für die Mitarbeiter nicht nachvollziehbar: "Das Haus war zu, wir hätten nicht mal was machen können!"
Es folgen außerordentliche und fristlose Kündigungen, fristlose Verdachtskündigungen und dann die ordentliche Kündigung. Der eine oder andere wurde nach dem Lockdown wieder ins Haus zurückgeordert, arbeitete im Gegensatz zu den anderen Kollegen aber in Vollzeit.
Kein Kommentar vom Chef
Ein Teil der Gerichtsverfahren endete damit, dass es zumindest eine Korrektur bei den Kündigungsdaten gab. Zum Teil bestehen die Arbeitsverhältnisse noch bis Ende November. Was wiederum Murk nicht davon abhielt, bei einigen den Lohn einzubehalten und die Lohnnebenkosten auch nicht mehr zu bezahlen. So stehen jetzt Mitarbeiter ohne Versicherungsschutz bei den Krankenkassen da.
Und was sagt das Unternehmen zu den Vorwürfen? Telefonisch ist niemand zu erreichen. Auf eine schriftliche Anfrage erklärte Johannes Murk: "Vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Haus. Wir bitten allerdings um Verständnis dafür, dass wir aus datenschutzrechtlichen Gründen und wegen der laufenden Ermittlungen keine Stellungnahme zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen abgeben können." Die Fragen waren: Gab es eine Massenentlassungsanzeige? Warum ist es in der hohen Zahl zu Verdachts-/Tatkündigungen gekommen? Warum wurden die Gehälter trotz der laufenden Kündigungsfristen nicht ausbezahlt? Und ob es einen Insolvenzantrag der Firma Murk beim zuständigen Registergericht in Fürth gibt? Oder ob eine andere Firma ein Kaufinteresse an der Firma Murk zeige?
Die Datenschutzrelevanz ist letztlich in vielen Bereichen nicht einmal vorhanden, da es bereits öffentliche Verhandlungen am zuständigen Arbeitsgericht gab. Und auch ein Insolvenzantrag findet sich am zuständigen Gericht in Fürth nicht.
Eine kurze Antwort gab es vom Bürgermeister der Gemeinde Wachenroth, Friedrich Gleitsmann, zur Frage, ob die Entlassungen bekannt waren. "Die Entlassungen nach dem 17. März waren weder der Gemeinde noch dem Bürgermeister bekannt. Ansonsten wünsche ich viel Erfolg bei ihren Recherchen." Auf die Frage, wie Gleitsmann die Entwicklungen in der Firma Murk für die Zukunft Wachenroths beurteile, gab es keine Antwort.
"In einer Krise zeigt sich der Charakter unserer Mitmenschen!" Die (ehemaligen) Mitarbeiter können nur verbittert den Kopf schütteln.
Standpunkte
Charakter ist keine Modeerscheinung
Ich kann das gar nicht glauben, was da bei dem Wachenrother Unternehmen passiert. Der Bericht ist nur ein kleiner Teil der vielen Vorgänge, die es so schwer machen zu glauben, was da vor sich geht. So wurden trotz der Entlassungen in der Kurzarbeiterzeit auf der Homepage Stellenangebote geschaltet. Auf die Stellen, die kurz zuvor "freigemacht" worden sind. Ja, in schwierigen Zeiten kann es auch zu Personalabbau kommen, aber doch nicht auf diesem Wege! Mitarbeiter, die jahrelang treu zu ihrem Unternehmen gehalten haben, werden behandelt wie der letzte Dreck, um es mal deutlich zu sagen. 2018 hatte die Familie Murk in einer Krisensituation noch gesagt: "Das Beste, was diese Firma hat, sind ihre Mitarbeiter! Sie sind mit großer Begeisterung dabei, bringen selbst Ideen ein oder entwickeln unsere weiter." Und auch die Familie sprach gerne mit der Presse, wollte man doch den damaligen Insolvenzgerüchten offensiv entgegentreten. "Gerüchte", hatte der damalige Interimsmanager Dirk Lange geäußert.
Sind es heute auch noch Gerüchte? Die Firma Adler taucht bei Gerüchten zur Übernahme auf. Deren Presseabteilung gab allerdings weder eine Bestätigung noch ein Dementi ab. Im Grunde spielt das auch keine Rolle. Unglaublich ist die Art und Weise, wie mit Mitarbeitern umgegangen wird, die zum Teil Jahrzehnte dort gearbeitet haben. Wenn Murks sagen: "In einer Krise zeigt sich der Charakter unserer Mitmenschen" muss ich an dieser Stelle für die Verantwortlichen konstatieren: Charakterlos! Fehlanzeige bei der Menschlichkeit. Spätestens jetzt gehören die Karten auf den Tisch.