Höchstadter Schüler treffen einen der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald
Autor: Franziska Rieger
Höchstadt a. d. Aisch, Montag, 09. April 2018
Andrei Iwanowitsch hat das Konzentrationslager Buchenwald überlebt. Der Höchstadter Hannes Farlock hat ihn in einem Film porträtiert.
Andrei Iwanowitsch blickt mit aufgeweckten Augen in die Runde der Höchstadter Gymnasiasten. Mit fester Stimme erzählt er von seinem Leben, manchmal lächelt er oder presst den Mund aufeinander, während er nach einer Antwort sucht. Iwanowitsch ist einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald. 1926 wurde er in der Ukraine geboren, Monat und Tag sind nicht bekannt. 1942 wird er zuerst in ein Lager zur Zwangsarbeit in Leipzig und dann in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Doch er überlebt - leidgeprüft, aber nicht verbittert. Seit seiner Befreiung lebt er bis heute in Minsk.
Der Höchstadter Hannes Farlock hat Iwanowitsch in der Geschichtswerkstatt Minsk (Weißrussland) kennengelernt und eine Dokumentation über seinen Freund gedreht. "Je besser wir uns über die Jahre kennenlernten, je mehr er von sich, seinem Leben, seinen Ansichten preisgab, desto mehr faszinierte er mich", sagt Farlock.
"Ja, Andrei Iwanowitsch", zeigt einen Menschen, der nicht mit seinem Schicksal hadert, sondern mitten im Leben steht. "Wir begleiteten Andrei über ein Jahr mit der Kamera, wir ernteten mit ihm Honig auf seiner Datscha, saßen mit seiner Nachbarin bei Wodka und Wurststullen beisammen, fuhren gemeinsam mit ihm und seinem besten Freund Albert Albertowitsch zum 70. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds nach Weimar."
Ein lebensbejahender Film
Die Basis für den Film sei die enge Verbindung gewesen, die zwischen Iwanowitsch und ihm entstanden ist. Mit der Zeit sind sie zu Freunden geworden - und darum geht es Farlock in seinem Film: Einen Freund porträtieren. "Wenn er nicht in einem Konzentrationslager gewesen wäre, hätte ich auch einen Film mit ihm gemacht", erklärt er. Farlock richtet nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern porträtiert einen Mann, der dem Leben schöne Seiten abringt - trotz schlimmer Erlebnisse. "Ich wollte keinen weiteren dieser düsteren und belehrenden Filme über Zeitzeugen machen, es sollte etwas direkt am Leben sein, etwas, was Andreis heiterem Geist und munterem Lebenseifer entspricht", sagt Farlock am Montag.Was der Film stattdessen zeigt: "Ein Mensch, der sich im Alter von 91 Jahren jeden Tag beharrlich dem Fremdsprachenstudium widmet und alles Neue mit kindlichem Eifer erfasst, seine Datscha komplett alleine bewirtschaftet und sich und seine Freunde mit Gemüse und Obst selbst versorgt, zwei Mal in der Woche eine Doppelschicht als Nachtwächter einlegt, in zahlreichen Komitees aktiv ist, der mit seiner Freundin ein aktives Liebesleben pflegt. "
Gespräch mit den Schülern
Nachdem der Film am Sonntag Vorpremiere in der Kulturfabrik gefeiert hatte, haben die Schüler des Höchstadter Gymnasiums den Film am Montag gesehen und danach Iwanowitsch und Farlock Fragen gestellt. Iwanowitsch blickt mit aufgeweckten Augen in die Runde, er scheint sich nicht vor den Fragen der Schüler zu scheuen, versucht alle so gut es geht zu beantworten. Eine Stunde stehen Iwanowitsch und Farlock, der für ihn übersetzt, vor den Schülern der neunten und zehnten Klasse.Ein Schüler möchte von Iwanowitsch wissen: Welches Gefühl hat er, wenn er zum Jahrestag der Befreiung Buchenwalds in das Lager zurück kommt? "Die Zeit heilt alle Wunden. Und es ist viel Zeit vergangen", sagt der 91-Jährige ruhig. Mehr als 75 Jahre liegen seine Erlebnisse zurück. In der Zeit hat er seine große Liebe geheiratet, das Paar bekam zwei Söhne. In den 1980er Jahren verstarb seine Frau tragisch, kurz darauf verlor Andrei auch einen seiner Söhne. Bis zum heutigen Tag lebt Andrei Iwanowitsch in Minsk. "Er ist niemandem böse, fühlt keinen Hass", übersetzt Farlock.
Barmherzigkeit und Freundschaft - das ist für Iwanowitsch das wichtigste im Leben. "Sonst gibt es die Welt nicht und uns auch nicht. Wir sind alle gleich, aber die politischen Führer zwingen uns zu einer anderen Denkweise. Wenn wir den Anderen nicht zuhören, dann gibt es eine weitere Katastrophe."
Viele Schüler melden sich und stellen Fragen. "Wie können Sie jetzt so fröhlich sein, nach allem, was Sie erlebt haben", fragt als nächstes eine Schülerin. Iwanowitsch muss nicht lange überlegen, mit fester Stimme appelliert er an die Schüler: "Wenn ihr auch so werdet, dann wird es auch der Welt gut gehen. Ich habe mein Leben immer so gelebt, dass ich für meine Mitmenschen Gutes wollte", sagt er. Wenn etwas schlimmes passiert, habe er sich immer gezwungen nach vorne zu schauen. Deshalb glaubt Iwanowitsch fest an das Unterbewusstsein: "Wenn man sich immer sagt, dass es weiter gehen muss, dann gräbt sich das ins Unterbewusstsein ein", sagt er.
Der Film
Hannes Farlock Ist der Regisseur und Initiator des Films. 2001 hat er sein Abitur am Höchstadter Gymnasium gemacht. Während seines Zivildienstes kümmerte sich Farlock in Krakau um ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz. In der Geschichtswerkstatt in Minsk lernte er Andrei Iwanowitsch kennen. Da er sich auf eine Reise nach Deutschland vorbereitete, lernten die beiden zusammen deutsch.
Premiere Die Vorpremiere des Films wurde am vergangenen Sonntag, 8. April, in der Fortuna Kulturfabrik gezeigt. Nun soll der Film auf ausgewählten europäischen Festivals und in Programmkinos gezeigt werden. Am Montag haben Iwanowitsch und Farlock die Ritter-von-Spix-Mittelschule und das Höchstadter Gymnasium besucht. fr