Flucht aus der DDR? Jetzt oder nie!
Autor: Andreas Dorsch
Höchstadt a. d. Aisch, Donnerstag, 02. Oktober 2014
Eine inzwischen in Höchstadt heimisch gewordene Familie musste sich 1989 schnell entscheiden und floh aus der DDR. Mit zwei Kindern ging es über die Deutsche Botschaft in Prag in den Westen.
Manuela und Christoph Koch waren gerade dabei, sich in ihrer Heimat im Erzgebirge eine neue größere Wohnung einzurichten, als sie sich spontan zu einer Aktion entschlossen, die ihr Leben veränderte. Sie wagten die Flucht aus der damaligen DDR.
"Die Gedanken abzuhauen, hatten wir schon immer, aber wir wollten uns nicht in Lebensgefahr begeben", blickt Manuela Koch zurück. Vor allem sorgten sie sich um ihre drei und fünf Jahre alten Kinder, die natürlich nicht zurückbleiben durften.
Dann kam der 30. September 1989 und der legendäre Auftritt des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP) auf dem Balkon der Deutschen Botschaft in Prag. Das haben die Kochs über Radio und Fernsehen mitbekommen.
Christoph Koch sah jetzt die letzte Chance gekommen, der DDR den Rücken zu kehren: "Entweder wir machen es jetzt, oder wir bleiben ein Leben lang hinter dem eisernen Vorhang eingesperrt."
Weil sie das auf keinen Fall wollten, entschlossen sich die beiden - er war damals 34, sie 31 Jahre alt - ihr Hab und Gut ebenso zurückzulassen wie Freunde und Verwandte. Da es in jenen Tagen noch möglich war, ohne Visum in die nahe Tschechoslowakei zu fahren, packten die Kochs ihre Kinder in den relativ neuen Trabbi, nahmen nur Badesachen mit und erzählten den Kindern, ins Hallenbad zu fahren.
Die Grenzbeamten, die den Trabbi natürlich durchsuchten, ließen die Familie passieren. Damit war die Flucht eingeläutet. Christoph Koch steuerte seinen Wagen nicht zum Hallenbad, sondern in das hundert Kilometer entfernte Prag. Wie sie dort zur Botschaft gelangen sollten, wussten sie nicht. Ihr Auto ließen sie einfach im Halteverbot stehen und folgten anderen fluchtwilligen DDR-Bürgern.
Zu den ZDF-Kameras
Von Landsleuten bekamen sie den Tipp, wie die tschechische Polizei vor der Botschaft umgangen werden konnte. Sie mussten in den Bereich dort aufgebauter ZDF-Kameras kommen, dann würden sie nicht mehr aufgehalten. Den Kochs gelang es schließlich, das große schwarze Portal der Botschaft zu erreichen und sie wurden auch prompt eingelassen.
Inzwischen ist Höchstadt für die Familie aus dem Erzgebirge längst zur zweiten Heimat geworden. Ihrer ersten weinen sie nicht mehr nach. Der Entschluss zur Flucht war im Sommer 1989 gereift. "Ich verkaufe mein Gewissen nicht", sagte sich Manuela Koch.
Sie war in der Kirche aktiv, nahm nicht an der Jugendweihe teil. Mit der Begründung, ihre Einstellung zum Staat stimme nicht, durfte die sehr gute Schülerin nicht aufs Gymnasium und auch nicht studieren. Zudem passte ihr Elternhaus nicht so recht zum Arbeiter- und Bauernstaat.
Auch Christoph Koch wollte sich nicht von der Kirche lösen, trat auch nicht in die Partei ein. Damit hatte sich der Ingenieur eine Zukunft in der DDR verbaut. "Die Repressalien wurden immer schlimmer", sagt Manuela Koch, die auch für ihre Kinder keine Zukunft sah.
Die Familie nervten zudem die "täglichen Beschaffungsprobleme". Eine Badewanne für die neue Wohnung musste aus Rostock besorgt werden. Dort hatte Koch Beziehungen zu jemandem im Sanitärhandel. Man hätte Badewannen oder Toilettenschüsseln auch bestellen können, allerdings dann jahrelang darauf warten müssen.
An eine freie Meinungsäußerung sei nicht zu denken gewesen, erinnert sich Koch. "Die besten Freunde haben sich hinterher als Stasi-Mitarbeiter entpuppt." Über Fluchtgedanken reden konnte das Ehepaar nur bei Spaziergängen im Freien, um nicht von der Stasi abgehört zu werden.
Angst im Nacken
In der Deutschen Botschaft in Prag waren die Flüchtlinge erst einmal sicher, konnten aber die Angst, doch noch irgendwie in die Fänge der Stasi zu geraten, nie ganz ablegen. Die erste Charge von Flüchtlingen war bereits in Sonderzügen abgereist, als die Kochs eingelassen wurden. "Wir kamen am Montag an, am Dienstag war das Botschaftsgelände schon wieder voll." Vor den Toiletten und auch beim Essen habe man stundenlang anstehen müssen, obwohl die Feldküchen der Bundeswehr rund um die Uhr dampften, berichtet Koch.
Schnell Fuß gefasst
Am 4. Oktober wurde bekannt, dass wieder Sonderzüge von Prag in die Bundesrepublik fahren sollten. Das geschah dann auch und die Kochs waren dabei. Bei einem Halt in Plauen stiegen "die Männer in schwarzen Ledermänteln" zu und nahmen den Flüchtlingen die Ausweise ab. "Schon am nächsten Tag räumte die Stasi unsere Wohnung aus", weiß Christoph Koch von Verwandten.
Für die Familie war im Westen alles neu. Trotzdem fasste sie schnell Fuß. Zunächst ging es zu Verwandten nach Nordrhein-Westfalen, dann bekam der Ingenieur einen Job bei Siemens in Erlangen und die Kochs ließen sich in Höchstadt nieder. Haben sie ihre spontane Flucht bereut? "Nie."