EU-Freizügigkeit: Kommen jetzt die Rumänen nach Höchstadt?
Autor: Andreas Dorsch
Höchstadt a. d. Aisch, Donnerstag, 02. Januar 2014
Kenner Rumäniens aus dem Raum Höchstadt sehen durch die neue Freizügigkeit auf dem europäischen Arbeitsmarkt keine Gefahr für die heimischen Beschäftigten und die Gesellschaft.
Seit Donnerstag dürfen auch Bürger aus Rumänien und Bulgarien ohne große Formalitäten in andere EU-Länder reisen und sich dort Arbeit suchen. Deutschland steht dabei auf der Beliebtheitsskala weit oben. Müssen wir jetzt mit einer Flut von Südosteuropäern rechnen, die uns Arbeitsplätze wegnehmen und auch noch unsere Sozialsysteme plündern?
Menschen aus dem Raum Höchstadt, die Erfahrungen mit rumänischen Arbeitskräften haben, oder die die Situation in Rumänien kennen, teilen solche Befürchtungen nicht.
"Wir sollten weder Ängste haben, noch schüren", sagt Irmgard Conrad, die mit der Höchstadter evangelischen Kirchengemeinde seit Jahren Hilfsaktionen für Rumänien organisiert. Sie ist überzeugt, dass es keine Zuwanderung ins soziale Netz geben wird.
Zu wenig zum Leben
Für die engagierte Helferin gehören offene Grenzen zu einem vereinten Europa. In den Städten Rumäniens habe sich in jüngster Zeit auch mit EU-Geldern viel getan. Es wurden Fabriken gebaut und Arbeitsplätze geschaffen. Problematisch sei es allerdings auf dem Land. "Die Einkommen der Menschen reichen für das tägliche Leben nicht aus", sagt Conrad. Junge, oft gut ausgebildete Leute wandern aus, nur die Alten bleiben zurück.
Die Höchstadterin erlebt aber auch junge Leute, die in der Schule Deutsch lernen und nach Deutschland gehen wollen, weil sie in Rumänien keine Perspektive sehen. Man sollte den Leuten im Land helfen, damit sie in ihrer Heimat bleiben, fordert Irmgard Conrad von der Politik.
Jürgen Wursthorn, Pressesprecher des auch für Höchstadt zuständigen Jobcenters, ist überzeugt, dass "auch diesmal keine Menschenschlangen vor der Tür stehen werden". Er erinnert an den Mai 2011, als die Beschränkung für Arbeitskräfte aus den neuen osteuropäischen EU-Ländern fiel. Schon damals seien Befürchtungen von Lohndumping und Sturm auf die Sozialsysteme nicht eingetroffen.
Wenn aber Menschen aus Rumänien oder Bulgarien jetzt nach Deutschland kommen, haben sie auch einen Rechtsanspruch auf die hiesigen Sozialleistungen. Dabei gelten die gleichen Sätze wie für Deutsche. Nur in den ersten drei Monaten gibt es für die ausländischen EU-Bürger in Bayern keine Unterstützung - es sei denn, die Zugereisten gehen auch nur vorübergehend einem Job nach, sagt Otto Vierheilig, Sozialamtsleiter der Stadt Erlangen.
Finden sie nach drei Monaten keine Arbeit, steht ihnen Hartz IV zu. Für einen Alleinstehenden wären dies 391 Euro im Monat, plus die Kosten für Wohnung, Heizung und Krankenversicherung. Eine Familie mit drei Kindern zwischen 7 und 14 Jahren käme auf monatlich 1579 Euro, plus Wohnung und Versicherung.
Laut Sozialamtsleiter Vierheilig ist aber rechtlich noch nicht geklärt, ob die Verweigerung der Leistungen in den ersten drei Monaten Bestand hat. Hier gebe es von Gerichten unterschiedliche Entscheidungen.
Einer, der mit rumänischen Arbeitskräften schon seit Jahren beste Erfahrungen macht, ist Dieter Rippel. Er produziert zusammen mit Wilhelm Beßler in Oberalbach Weihnachtsbäume. Rippel hat drei Rumänen das ganze Jahr über fest angestellt, einen als Vorarbeiter. Sie leben mit ihren Familien hier.
In der Hochphase des Weihnachtsbaum-Geschäftes arbeiten noch 15 weitere rumänische Saisonarbeiter mit. Ihnen zahlt Rippel "fairen Lohn", übernimmt Unterbringung und Mittagessen. "Zuverlässig und vielseitig zu gebrauchen", lobt Rippel seine Rumänen.
300 bis 400 Euro im Monat
Der Unternehmer ist überzeugt, dass viele Rumänen ihr Land schon verlassen haben, um im Ausland Geld zu verdienen. Bei einem Lohnniveau von monatlich 300 bis 400 Euro und keinen Perspektiven nur verständlich. Durch die neue Freizügigkeit, glaubt Rippel, könnten jetzt aber auch Leute nachrücken, die bisher keine Chance hatten, ihr Land zu verlassen. Die dadurch entstehende Gefahr des Lohndumpings werde man in Deutschland aber verkraften.
Die Leiterin des Vitanas-Seniorenzentrums St. Anna, Johanna Auerbeck, hat bisher nur "Ur-Rumänen" in ihrem Pflegeteam. Menschen, die schon jahrelang hier leben. Sie würde jetzt sofort auch rumänische Altenpflegerinnen einstellen. Dreh- und Angelpunkt sind für Auerbeck die Sprachkenntnisse. Rumänisches Personal müsste gut Deutsch sprechen, um die Bedürfnisse der Bewohner verstehen zu können, sagt die Heimleiterin.
Auch rumänische Hausfrauen mit Erfahrungen in der Pflege könnte sich Auerbeck nach einer Einarbeitungszeit als Altenpflegehelferin in Deutschland gut vorstellen. "Arbeit in der Pflege ist für rumänische Helfer genügend da", sagt die Höchstadter Heimleiterin - vorausgesetzt, Eignung und gute Sprachkenntnisse sind vorhanden.
Auf der anderen Seite möchte Auerbeck aber auch nicht Pflegekräfte, die in Rumänien ebenfalls dringend gebraucht werden, nach Deutschland weglocken. Sie würde lieber das Image der Altenpflege verbessern und eigene Leute ausbilden.