Erst nach der Schwangerschaft erkannt: Tim hat das Down-Syndrom
Autor: Sabine Memmel
Adelsdorf, Montag, 19. Mai 2014
Tim (5) aus Adelsdorf hat das Down-Syndrom. Seine Eltern erfuhren davon erst nach der Geburt. Ihr Leben geriet deshalb aber nicht aus den Fugen. Im Gegenteil. Die ganze Familie liebt ihn genau so, wie er ist.
Am liebsten hört Tim den Gangnam-Style. Die Tanzschritte kennt er genau. Typische Kinderlieder sind nicht so seins. "Tim gefällt alles, was laut ist", erzählt Karsten Weiß und deutet auf das kleine Kinder-Schlagzeug im Wohnzimmer.
Tim ist ein Sonnenscheinkind. Das hören seine Eltern Helena (34) und Karsten Weiß (42) öfter. Tim (5) strahlt, lacht, ist fröhlich, gut gelaunt, nie unzufrieden. "Davon können wir uns alle eine Scheibe abschneiden", sagt Helena Weiß. Doch obwohl es zutrifft, manchmal möchten sie von dem Klischee nichts mehr hören. "Er ist ein Sonnenscheinkind. Aber es gibt auch Schattenseiten, da braucht man nichts schön reden."
Ein anderes Leben
Helena und Karsten Weiß hatten keine Ahnung, dass sie ein Kind mit Down-Syndrom bekommen. Während der Schwangerschaft bestand keinerlei Verdacht, keinerlei Vermutung.
Doch keiner der Ärzte in der Erlanger Frauenklinik reagierte auf ihren Verdacht. Auch bei der Erstuntersuchung des Säuglings wurde nichts festgestellt. "Ich frage mich bis heute, wie das sein kann", sagt Tims Mutter. Es folgten Tage der Ungewissheit. Tim wurde behandelt wie ein gesundes Neugeborenes. "Wir wurden komplett allein gelassen. Ich hab' die ganze Zeit nur geheult", sagt Helena Weiß. Bis heute nagt das an ihr. "Wir waren auf ein Kind mit Down-Syndrom null vorbereitet und haben uns nie damit beschäftigt", sagt Karsten Weiß.
Die Diagnose Down-Syndrom bekam das Paar ein paar Tage später in der Kinderklinik, in die Tim inzwischen verlegt wurde, weil er abgenommen hatte. "Kinder mit Down-Syndrom haben eine Saug- und Schluckschwäche", erklärt Helena Weiß. Ihr Mann, der bis zuletzt hoffte, dass Tim doch gesund ist, traf die Nachricht wie ein Schlag: "Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wusste: Das Leben, das wir hatten, gibt es nicht mehr. Es wird kein schlechteres sein, aber ein anderes."
Doch das Down-Syndrom rückte für die Eltern zunächst in den Hintergrund. Denn Tim litt zusätzlich an einem Herzfehler und Lungenhochdruck. Nicht selten bei Kindern mit Down-Syndrom. "Wir wussten nicht, ob er das erste Lebensjahr erreicht", erzählt Helena Weiß. Mit acht Monaten wurde er am offenen Herzen operiert. Erfolgreich. "Er ist gesund, das ist für uns das Allerwichtigste."
Auf dem Stand eines Zweijährigen
Inzwischen besucht Tim die schulvorbereitende Einrichtung in Weisendorf. Vorher war er ein Jahr lang in der Kinderkrippe in Neuhaus. Der gemeindliche Kindergarten in Adelsdorf lehnte ihn ab. "Das ist ein Armutszeugnis. Und dem Kind gegenüber einfach nur unfair", findet Helena Weiß. Jeder Kindergarten könnte ein integrativer Kindergarten werden. "Die damalige Leiterin wollte es aber nicht. Das nehme ich ihr schon übel."
In Weisendorf bekommt Tim regelmäßige spielerische Frühforderung: Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie. "Das Wichtigste ist für uns: Er soll sprechen. Man nimmt jeden kleinen Fortschritt wahr, aber er wird nie so sprechen können wie wir", erklärt seine Mutter. Ansprüche an Tim werden nicht gestellt. Eine "normale" Grundschule wird er nicht besuchen können. Lesen, schreiben, rechnen - das alles wird er lernen, nur deutlich zeitverzögert. "Bei Tim dauert es länger, bis er etwas versteht", meint Helena Weiß.
Tim ist auf dem Stand eines Zweijährigen. Genauso wie sein kleiner Bruder Max (2). Helena und Karsten Weiß wünschten sich ein drittes Kind. Trotz der Angst, dass es wie Tim das Down-Syndrom haben könnte. Das Ergebnis der Fruchtwasser-Untersuchung brachte Erleichterung. "Zu einem zweiten Kind mit Down-Syndrom hätte ich Nein gesagt. Das hätte ich nicht verkraftet", betont Weiß. Es gibt Leute, die das nicht verstehen, die das verurteilen. "Aber wir haben ja auch noch zwei andere Kinder, um die wir uns kümmern wollen."
Was sie sich für Tims Zukunft wünschen? "Mehr Akzeptanz, mehr Toleranz, keine Vorurteile", sagt Helena Weiß. Im Kindergarten und im Dorf ist Tim gut integriert. Dass er, wenn er älter ist, doch gehänselt werden könnte, ist Karsten Weiß' "größte Angst".
Selbstständiges Leben
"Die Leute wissen nicht, was für ein Jackpot es ist, ein gesundes Kind zu bekommen", findet Helena Weiß. Könnte eine gute Fee Tim komplett gesund machen, sie würde sofort einwilligen: "Für ihn! Aber das geht eben nicht. Er soll sich so entwickeln, wie es für ihn passt. Ich wünsche mir, dass er irgendwann ein selbstständiges Leben führen kann."
Inzwischen sitzt Timmi an seinem Schlagzeug. Holt mit seinen beiden Stöcken ordentlich Schwung. Sein Vater begleitet ihn auf dem Keyboard: "Ich würde ihn nie weggeben. Ich will ihn so, wie er ist. Mit Down-Syndrom. Ich will ihn nicht anders."