Erlanger Infektiologe sieht Chancen auf baldiges Ende der Corona-Pandemie
Autor: Andreas Scheuerer
Erlangen, Sonntag, 29. November 2020
Interview mit dem Erlanger Infektiologen Thomas Harrer: Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung von Impfstoffen.
Noch nie zuvor hat die Welt einen Impfstoff so rasch entwickelt wie diesmal. Während es für gewöhnlich viele Jahre dauert, bis ein Vakzin einsatzbereit ist, benötigten Wissenschaftler nun weniger als ein Jahr für die Herstellung das neuen Coronavirus-Impfstoffs. Noch im Dezember soll es laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Impfungen geben. Der Erlanger Infektiologe Thomas Harrer beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung von Impfstoffen und sagt: "Die Chancen stehen gut, dass wir das Virus bald wieder los sind."
Herr Harrer, wenn die Impfungen morgen beginnen würden, würden Sie sich impfen lassen?
Thomas Harrer: Ja, sofort. Sowohl um mich selbst zu schützen, aber auch, um das Risiko zu senken, dass ich andere anstecke, falls ich mich infizieren würde.Der Impfstoff wurde in Rekordzeit entwickelt. Wie ungefährlich ist das Vakzin tatsächlich?
Dass der Impfstoff so schnell entwickelt wurde, ist dem Einsatz von Wissenschaftlern, Firmen, Studienzentren, Behörden und Probanden zu verdanken und ging nicht auf Kosten der Sicherheit. Bislang konnten Firmen ihre Unterlagen im Zulassungsverfahren erst bei den Behörden einreichen, wenn sie die wissenschaftlichen Entwicklungen und Ergebnisse der Zulassungsstudien vollständig dokumentiert hatten. Jetzt können die Firmen die Unterlagen der einzelnen Entwicklungsschritte fortlaufend zur Prüfung einreichen. Das spart enorm viel Zeit.Trotzdem handelt es sich um eine neue Impfmethode mit sogenannten mRNA-Impfstoffen. Greift das Vakzin ins Erbgut ein?
Die mRNA-Vakzine wurden zunächst für die Tumortherapie entwickelt und dort auch eingesetzt, ohne dass hier besondere Probleme bemerkt wurden. Da die mRNA nur ein kurzlebiger Botenstoff ist, greift man durch die Verabreichung nicht in Erbgut ein. Wenn ein Virus eine Zelle infiziert, dann bringt es die Zelle dazu, mRNA aus dem Erbgut der Viren zu erzeugen, die dann zur Produktion von viralen Eiweißen und damit zur Produktion von Viren in der Zelle führt. Es ist nun gelungen, künstlich mRNA herzustellen, die die Information für den Bau von viralen Eiweißen liefert.Wie funktioniert der Impfstoff?
Die Virus-Eiweiße liefern dem Immunsytem die entscheidenden Informationen, die es benötigt, um Antikörper gegen das Virus herzustellen. Antikörper sind Eiweißstoffe des Immunsystems, die Viren unschädlich machen und Zellen vor der Infektion schützen können. Darüber hinaus werden Killerzellen vermehrt, die gezielt virusinfizierte Zellen erkennen und zerstören. Wenn nun der Körper tatsächlich mit Viren in Kontakt kommt, ist er nicht mehr unvorbereitet, sondern kann die Viren sofort mit Antikörpern und Killerzellen bekämpfen und damit eine Erkrankung verhindern.Sind in den durchgeführten Studien beunruhigende Nebenwirkungen aufgetreten?
Bis jetzt wurden bei den mRNA-Impfstoffen nur die üblichen Impfnebenwirkungen berichtet wie lokale Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit, Temperaturerhöhung, Gliederschmerzen, die meistens als mild oder mäßig angegeben wurden. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie die Auslösung von Autoimmunreaktionen sind bei den mRNA-Impfstoffen nicht berichtet worden. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass bisher nur ein Teil der Studienergebnisse in Form von Fachartikeln allgemein zugänglich ist und wichtige Daten nur den Zulassungsbehörden vorliegen.Wie läuft die Impfung ab und wie lange hält der Schutz gegen das Virus an?
Bei den mRNA-Impfstoffen sind zwei Impfungen im Abstand von drei bis vier Wochen notwendig. Ein Geimpfter baut einen wirksamen Impfschutz in der Regel erst zwei Wochen nach der ersten Impfung auf. Unklar ist bei allen Impfstoffen noch, wie lange der Impfschutz anhält und ob regelmäßige Nachimpfungen nötig werden. Die mRNA wird weiterhin innerhalb von Tagen wieder abgebaut, so dass auch keine Reste von Virusbestandteilen zurückbleiben.Ist der Landkreis auf das große Impfen überhaupt vorbereitet?
Das denke ich schon. Jedes Jahr im Herbst werden ja auch Millionen von Menschen erfolgreich gegen Influenza geimpft. Mit der Unterstützung der Krankenhäuser werden die niedergelassenen Ärzte und ihre Mitarbeiter auch diese Aufgabe bewältigen. Wie schnell geimpft werden kann hängt aber weniger von der Anzahl der Impfärzte ab, sondern davon, wie schnell der Impfstoff bereitgestellt werden kann. Da der BioNTech-Impfstoff zudem tiefgekühlt gelagert werden muss, wird der Impfstoff nicht in den Praxen, sondern in Impfzentren verabreicht werden. Hier steht man vor enormen logistischen wie organisatorischen Herausforderungen.Bis wann rechnen Sie mit ersten Impfungen im Landkreis?
Die Planungen sind darauf ausgerichtet, dass Mitte Dezember mit ersten Impfungen begonnen werden könnte, wenn bis dahin die Zulassung erfolgt ist und die Industrie ausreichend Impfstoffe zur Verfügung stellt. Die Zulassungsbehörden werden aber sehr gründlich arbeiten, sodass es zu Verzögerungen kommen kann.Und dann, wer kommt zuerst?
Das muss noch festgelegt werden. Der Deutsche Ethikrat, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Mitglieder der ständigen Impfkommission haben in einem Positionspapier vorgeschlagen, wie die Reihenfolge der Zuteilung von Impfstoffen aussehen könnte. Zuerst sollten Personen geimpft werden, die ein hohes Risiko haben, an Covid-19 schwer zu erkranken oder zu sterben. Das sind vor allem alte Menschen oder auch jüngere Menschen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf. Weiterhin Mitarbeiter im Gesundheitssystem sowie Angestellte in systemrelevanten Berufen, die für das Funktionieren einer Gesellschaft von großer Bedeutung sind wie etwa Polizisten, Lehrer oder Erzieher. Die Vorschläge werden nun diskutiert und müssen von den Behörden und Parlamenten in eine transparente, rechtssichere Form gebracht werden, die dann von der Bevölkerung auch akzeptiert wird.
Was bedeutete ein Impfbeginn im Dezember für Weihnachten und die Zeit danach?
Die Kliniken im Landkreis sind aktuell mit der Behandlung von zahlreichen Covid-19-Patienten stark gefordert. Die angespannte Personaldecke verschärft die Lage. Daher wäre es für die Kliniken eine große Entlastung, wenn Risikogruppen und auch das medizinische Personal möglichst schnell geimpft werden könnten. In der breiten Masse sehe ich für Weihnachten aber noch keine spürbare Entlastung. Die Leute dürfen durch die Aussicht auf eine Impfung nicht leichtsinnig werden und müssen auch an Weihnachten weiter Disziplin halten. Das ist gerade für die immungeschwächten Menschen wichtig, die vermutlich nicht in der Lage sind, einen guten Immunschutz durch einen Impfstoff aufzubauen. Sie sind darauf angewiesen, dass die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung zunächst weiter durch Hygiene und dann durch Impfungen zurückgedrängt wird.Ziel ist es, die sogenannte Herdenimmunität aufzubauen, also Zweidrittel der Bevölkerung zu impfen. Wie lange dauert das?
Das kann man aktuell noch nicht sicher vorhersagen. Noch ist unklar, wann die Impfstoffe zugelassen und wie schnell die notwendigen Mengen bereitgestellt und verimpft werden können. Die Regierung hat bei mehreren Herstellern große Mengen an Impfstoffen bestellt, so dass schon vor der Zulassung mit der Produktion begonnen wurde. Damit kann man vermutlich alle impfwilligen Menschen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres impfen. Aber dazu muss die Bevölkerung gut informiert und Vertrauen gewonnen werden. Nur dann lassen sich auch genügend Menschen impfen, damit die Herdenimmunität aufgebaut werden kann. Das Interview führte Andreas Scheuerer