Die Wiese der Schrecken
Autor: Michael Busch
Buch, Donnerstag, 14. März 2013
Im Jahr 2010 wurde durch eine Sprühaktion angeblich eine Wiese vergiftet. Ausgerechnet eine Wiese, die als Nahrungsmittel für über 250 000 Heuschrecken diente. Am Nürnberger Gericht wurde über den Sachschaden gesprochen.
Ein regelrechter Schwarm an Zeugen bevölkerte den Gang vor dem Gerichtssaal 150 der zivilen Kammer im Nürnberger Justizgebäude. Der Begriff "Schwarm" ist an dieser Stelle nicht ganz falsch, ging es im Sitzungssaal doch um den Tod von Tausenden von Heuschrecken.
Diese waren im Jahr 2010 verendet. Grund für den Tod sei vergiftetes Gras gewesen, das die Tiere gefressen hätten. Die Angestellte des Heuschreckenzüchters Robert Seuberth erklärte als Zeugin vor Gericht: "Alle Tiere bis auf die großen Zuchttiere waren verendet - gut 250 000 Tiere waren tot." Und genau um dieses vermeintlich kontaminierte Gras ging es bei der Sitzung am Nürnberger Landgericht unter des Richters Zaar Vorsitz.
Nochmals zu dem Vorfall im Mai 2010: Da hatte der Eichenprozessionsspinner einen Waldrand in der Nähe des Weisendorfer Ortsteil Buch befallen. Die Gemeinde beschloss daher, dass etwas gegen den Befall zu tun sei.
Der Eigner und Züchter Robert Seuberth mähte in Unkenntnis der Sprühaktion ein Teil dieser Wiese ab, um seine Tiere zu füttern. Das sagt Seuberth. Die dann mit diesem Gras gefütterten Tiere verendeten größtenteils. Die ausführende Firma bestreitet keineswegs die Nutzung der starken Mittel, sie bestreitet aber, dass die anliegende Wiese kontaminiert gewesen sei - bestreitet sogar, dass diese Wiese in diesem Zeitraum überhaupt gemäht worden sei.
Viele Zeugen, wenig Unterschiede
Bei einem ersten Gerichtstermin wurde die Hoffnung auf eine gütliche Einigung schnell zerstört. Seuberth klagt auf Schadensersatz. Ihm seien nicht nur die Tiere verendet, die Zuchtreihe sei unterbrochen gewesen, der Wiederaufbau sehr kostenträchtig. Der Rechtsvertreter der Spritzfirma schloss einen Vergleich kategorisch aus, ein Entgegenkommen nicht möglich. Daher galt es beim zweiten Termin per Zeugenaussagen herauszufinden, ob diese Wiese überhaupt gemäht worden ist.
Gut ein Dutzend Zeugen, galt es zu vernehmen. Eines einte fast alle dieser Zeugen. Es waren entweder Nachbarn oder Verwandte des Klägers. Weiterhin einte sie die jeweilige Zeugenaussage. Sie bestätigten, dass die Wiese in der besagten Zeit gemäht worden sei. Sie hatten den Züchter entweder selber beim Mähen gesehen oder es mitbekommen, wie er sich auf den Weg gemacht habe. Sie haben den Traktor gehört oder beim Gassigehen beobachtet, dass breite, frisch gemähte Flächen zu erkennen waren.
Dass sich die Zeugen so genau an diesen Pfingstsamstag erinnerten, hatte die unterschiedlichsten Gründe. Eine Zeugin - eine Nachbarin - erklärte: "Ich weiß das so genau, weil ich meinem Mann gesagt habe, dass die Heuschrecken offensichtlich auch an Pfingsten Hunger haben." Die Ehefrau des Klägers wusste über das Datum genau Bescheid, weil "wir an diesem 22. Mai Hochzeitstag haben und wir vier Tage später nach längerer Zeit endlich wieder mal in den Urlaub fahren wollten." Sie habe sich um den Haushalt und das Kofferpacken gekümmert, "mein Mann wollte im Betrieb alles in Ordnung bringen, unter anderem nochmals Futter holen." Das wiederum bestätigte der Vater von Seuberth, der sich als Vertreter für die Urlaubszeit an diesem Tag von seinem Sohn einweisen ließ.
Wiederum eine andere Zeugin, eine mittlerweile pensionierte Lehrerin - damals noch im Schuldienst - erinnerte sich, weil sie zum Einkaufen gefahren sei und nicht in die Schule. Aufgeschreckt durch die damalige Berichterstattung über die Sprühaktion, habe sie Seuberth gesagt, dass sie ihn beim Mähen gesehen habe.
Ein Zeuge fiel dann aber doch noch aus der Reihe. Der landwirtschaftliche Sachverständige war der einzige Zeuge der beklagten Firma. Dieser erklärte dem Richter, dass er am 24. Juni 2010 durch die Firma INEX beauftragt worden sei, die Wiese gutachterlich zu untersuchen. Zum einen sollte er Pflanzen- und Bodenproben nehmen, um eine eventuelle Vergiftung nachträglich festzustellen. Zum anderen sollte er überprüfen, ob es sein könne, dass am 22. Mai dort gemäht worden sei.
Wer hat nun recht?
Am 28. Juni und am 1. Juli - also gut fünf Wochen nach dem Vorfall - machte er sich an die Arbeit. Mit einem den anderen neun Zeugen allerdings widersprüchlichen Ergebnis. "Ich kann anhand des Wuchses sagen, dass mit großer Sicherheit zu dem betreffenden Zeitpunkt im Monat Mai nicht gemäht worden ist." Die Zeugen reagierten verärgert, stellte der "Experte" deren Aussagen infrage. Der Vater des Züchters erklärte am Rande der Verhandlung: "Bei dem Abmähen in Streifen, jedes Mal für den jeweiligen Gebrauch bestimmt, ist es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich nach fünf Wochen herauszufinden, ob an den betreffenden Tag tatsächlich gemäht worden sei."
Ein Flop aus Sicht des Rechtsvertreters der angeklagten Firma war ein weiterer Zeuge. Der Anwalt hatte angeführt, dass einer der ausführenden Arbeitskräfte durch den Mitarbeiter des Weisendorfer Bauhofes den Hinweis bekommen habe, dass es mit der Wiese kein Problem gebe, da dort ein Bolzplatz entstehen soll. Der "Sprüher" also hätte auch gar nicht wissen können, dass es sich um einen speziellen Futtermittelplatz handele. Doch der Mitarbeiter des Bauhofes erinnerte sich an solch eine Aussage nicht.
Dass viele Zeugen automatisch bedeuten, dass das Urteil schnell gebildet wird, ist allerdings im Irrtum. Nach der Beweisaufnahme durften die beiden Interessensvertreter nochmals ein Statement abgeben. Während die Anwältin des anwesenden Züchters, die Herzogenauracherin Yasmin Stark, unterstrich, dass sie keine Zweifel in die Aussagen der Zeuge habe, sprach der Anwalt der Gegenpartei, dass er gar nichts für bewiesen halte.
In der Hoffnung, dass es zu keiner siebenjährigen Heuschreckenplage kommt, gingen die Parteien und Zeugen auseinander, um eventuell ein erstes Urteil am 26. April am selben Ort zu erhalten. Eventuell, weil es sich um die erste Instanz handelt der Rechtsweg geht weiter.