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Coronakrise in der Landwirtschaft: Im Großraum Nürnberg fehlen tausende Saisonarbeiter


Autor: Christian Bauriedel

LKR Erlangen-Höchstadt, Freitag, 20. März 2020

Der Landwirtschaft fehlen die ausländischen Erntehelfern. Man arbeite unter Hochdruck an einer Lösung, erklärt Jochen Loy vom Bayerischen Bauernverband.
Symbolbild: dpa


Jochen Loy vom Bayerischen Bauernverband ist Geschäftsführer der Kreisverbände Erlangen-Höchstadt, Fürth und Nürnberg. Der 53-Jährige sucht mit seinen Kollegen eifrig nach Lösungen für die problematische Lage der Landwirte angesichts der Coronapandemie.

Beim Bauernverband laufen die Drähte heiß. Welches Problem beschäftigt Landwirte gerade am meisten?

Jochen Loy: Das ist im Moment die Frage der fehlenden Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland, die sich in fast allen Betrieben stellt. Grund sind die Grenzschließungen verschiedener europäischer Länder ohne Steuerung durch die EU. Durch das Ausrufen des Katastrophenfalls in Bayern hat die Situation nochmal an Komplexität gewonnen.

Welche Arbeiten fallen jetzt oder bald an?

Das ist sehr betriebsabhängig. Da ist der klassische Gewächshausbauer, etwa im Knoblauchsland. Die meisten haben schon gepflanzt. Jetzt geht es um die Pflege der Jungpflanzen, was sehr arbeitsintensiv ist. Und bald steht die Ernte an, etwa von Minigurke, Tomate, Aubergine oder Paprika. Aber auch die Freilandbauern sind betroffen. Das Wetter ist zur Zeit ideal. Da geht es jetzt mit allem möglichen los: Sellerie, die Kartoffeln müssen gesteckt werden. Im Landkreis Erlangen-Höchstadt gibt es Hopfenanbau. Hier müssen die Pflanzen angedreht werden. Diese Arbeit kann nicht verschoben werden. Auch die Spargelbetriebe suchen händeringend nach Leuten.

Wie viele Saisonarbeitskräfte fehlen in der Region?

Das ist nicht ganz leicht zu beantworten. Die Zahlen variieren zwischen 2000 und 2500 in der Region Nürnberg, Fürth, Erlangen-Höchstadt. Das sind allerdings sehr spekulative Zahlen. Es sind Höfe dabei, die alleine Bedarf an 120 Leuten haben, aber diese Arbeitskräfte wechseln auch von Betrieb zu Betrieb, je nachdem, wo die Arbeit anfällt. Wir schätzen, dass von den Erntehelfern momentan 15 bis 20 Prozent hier sind. Das heißt, es fehlen rund 80 Prozent.

Was kann man tun?

Am Mittwoch gab es ein Gespräch mit der Landwirtschaftsministerin. Die ausländischen Saisonarbeiter werden demnach als berufsbedingte Pendler einstuft. Sie können nun ein dementsprechendes Formular vorlegen, um einzureisen. Wir versuchen jetzt, unsere Betriebe schnellstmöglich mit den aktuellen Informationen zu versorgen. Aber wir haben Rückmeldungen von Landwirten, die ihre Arbeitskräfte auf dem Weg nach Deutschland wissen, beispielsweise aus Rumänien oder Polen. Doch dort kommt es zu Abfertigungsproblemen an den Grenzen. Das heißt, sie stehen in ihren Bussen und Sammeltaxis teils in hundert Kilometer langen Staus.

Können diese Arbeitskräfte nicht gesondert durchgelassen werden? Schließlich hängt von ihnen viel ab.

Der Bauernverband stimmt aktuell mit dem Flughafen Nürnberg und den Behörden ab, inwieweit man diese Personen einfliegen kann. Es wird überlegt, ob man ein Flugzeug chartert. Diese Idee ist auf dem Wege.

Aber wollen die denn auch kommen?

Wir haben momentan keine Anzeichen, dass sie es nicht wollen. Sie werden ja in Deutschland angemeldet und krankenversichert. Viele der Saisonarbeiter waren schon oft hier und wissen, dass die Versorgung hierzulande im Zweifelsfall besser ist, als in ihrer Heimat.

Wir haben in Deutschland momentan ja auch etliche Menschen, die nichts zu tun haben. Gibt es Pläne?

Der Bauernverband arbeitet gerade an der Internetplattform www.saisonarbeit-in-deutschland.de, bei der sich interessierte Menschen melden können. Auch das Bayerische Wirtschaftsministerium hat so eine Plattform angekündigt. Es gibt viele, die mit anpacken wollen. Ich persönlich hatte am Donnerstag über 20 Anrufe von Leuten, die sich angeboten haben, die Landwirte zu unterstützen. Dafür möchte ich mich ausdrücklich an dieser Stelle bedanken. Es sind auch ausgebildete Personen dabei, die etwa als Koch den Umgang mit Lebensmitteln kennen. Wir nehmen das ab Montag auf, prüfen die Möglichkeiten und vermitteln weiter.

Erst kürzlich haben zahlreiche Landwirte das Aldi-Zentrallager in Adelsdorf blockiert. Sie protestierten gegen die harte Preispolitik der Discounter, die wegen Centbeträgen lieber auf dem Weltmarkt einkaufen, als von deutschen Erzeugern. Hat sich hier etwas bewegt?

Es sollte nun allen klar werden, dass die regionale Versorgung mit Produkten des täglichen Bedarfs eine wichtige Bedeutung hat und eine Wertschätzung erfahren sollte. In der aktuellen Situation geht es darum, das Problem solidarisch zu lösen. Das gilt auch für den Lebensmitteleinzelhandel, der unbedingt eine Preispolitik fahren muss, die es allen erlaubt, durch dieses Problem zu kommen. Die Handelsketten sollten daher nicht mit Produkten des täglichen Bedarfs, etwa Fleisch, Gemüse oder Milch, Tiefpreis-Aktionen starten.

Haben Sie da den Eindruck, dass alle an einem Strang ziehen?

Ich würde es mal so formulieren: Der Lernprozess ist jetzt sehr schnell in Gang gekommen. Aber es steht fest: Ja, für den ein oder anderen Lebensmittelhändler war es ein Lernprozess. Es ist klar geworden, dass die gerade in Bayern im internationalen Vergleich noch relativ klein strukturierte bäuerliche Landwirtschaft ein integraler Bestandteil der Versorgung ist. Die Landwirte vor der Tür betreiben keine industrielle Produktion für irgendwelche Länder, sondern für die Menschen bei uns. Das Gespräch führte Christian Bauriedel.