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"Chotischau bleibt mein Zuhause"


Autor: Britta Schnake

Höchstadt a. d. Aisch, Dienstag, 29. Oktober 2019

Es gibt auch in Erlangen-Höchstadt immer weniger Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben. Einige von ihnen schildern uns ihre Erinnerungen.
Maria Grimme lebt seit 1960 in Höchstadt.   Foto: Britta Schnake


Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Maria Grimme, geborene Glaas, aus Höchstadt gehört zu jenen, die all die Unbill jener Zeit am eigenen Leib erlebt haben. In Chotischau/Sudetenland 1938 als drittes Kind von sieben geboren, wurde sie schon früh entwurzelt und weiß so Einiges aus ihrem Leben zu erzählen.

Wie war ihr Leben in Chotischau? Woran erinnern Sie sich?

Maria Grimme: Wir waren drei Jungs und drei Mädchen in Chotischau, mein jüngster Bruder wurde später in Bayern geboren. Es wurde Kohlebergbau betrieben im Teinitzelschacht. Wir wohnten direkt neben der Schule, wo Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet wurden, und unser Vater hatte ein Fuhrunternehmen mit eigenen Pferden, hat Kohle, Steine und Holz gefahren. Und wir hatten auch Landwirtschaft.

Ihr Vater, wurde er eingezogen?

Ja, 1939. Er kämpfte an der französischen Grenze, wo er auch in Kriegsgefangenschaft geriet.

Wie war das Leben für Sie zuhause?

Wir hatten eine schöne Kindheit. Ich bin auch zur Schule gegangen. So um 1944 bekamen wir Deutschen dann keinen Unterricht mehr, weil die Tschechen das übernommen hatten, und die deutschen Kinder durften nicht mehr in die Schule. Die Güter wurden den Tschechen zugeteilt.

Bis zur Aussiedlung hatten wir Bleiberecht. Der Tscheche, der unser Haus bekam, war aber sehr nett. Er sagte, wir könnten alles machen, was wir wollen. Er sei froh, wenn wir das alles bewirtschaften. Da waren auch etwa 15 französische Kriegsgefangene, die bei uns mitgearbeitet haben.

Was haben Sie damals als Kind vom Krieg mitbekommen?

Bei Fliegeralarm mussten wir aus der Schule raus und in den Bierkeller von der Oma. Und die SS hat immer Hausdurchsuchungen gemacht. Die kamen mit ihren Maschinengewehren und wir mussten stehen bleiben, wo wir gerade waren. Die nahmen alles, was passte oder ihnen gefallen hat, wussten immer, was wo zu holen war. Einmal haben sie die Reitstiefel von meinem Vater genommen, aber die waren zu klein. Da haben sie sie meiner Mutter vor die Füße geschmissen.

Dann 1944 kamen Flüchtlinge aus Schlesien mit Pferdewagen auf der Flucht vor den Polen und Russen. Da hat die Mama gesagt: "Jetzt dauert es nicht mehr lange und wir müssen auch fort." Sie hat den Leuten und Kindern was zu essen gegeben und den Pferden Futter und Wasser.

So 1945, nach Kriegsende und kurz vor der Aussiedlung, kam mein Vater wieder nach Hause. Er ist von Furth im Wald heimgelaufen nach Chotischau, zusammen mit einem anderen Kriegskameraden. So einen Vater wie meinen gibt es nicht mehr, er war so gut zur Mutter und zu uns Kindern. Ein schneidiger Mann. Aber durch den Krieg und die Sorge war er schwer herzkrank geworden.

Wie ging es weiter?

Die Tschechen haben uns vertrieben. April '46 kamen sie und sagten, wir müssten hier weg. Wir durften pro Person 50 kg mitnehmen. Die Mama hat aus Pferdedecken Rucksäcke und große Säcke machen lassen. Ich war immer beeindruckt, an was meine Mama alles gedacht hat. Wir hatten alles dabei. Alle Geburtsurkunden, für jeden von uns. Bettzeug, alles. Ich bewundere sie heute noch dafür. Sie war sehr vorausschauend.

Dann wurde die Haustür verzollt (Tür und Angel zugeklebt). Der Tscheche, der unseren Besitz hatte, hat uns mit dem Pferdefuhrwerk meines Vaters nach Staab gefahren. Da stand Fuhrwerk an Fuhrwerk. Von dort sind wir mit dem Zug in einem Güterwagen mit vielen anderen Familien nach Pilsen gefahren worden.

Wie groß war ihre Familie zu diesem Zeitpunkt?

Wir waren zehn, meine Eltern, meine fünf Geschwister und ich sowie Oma und Onkel mütterlicherseits.

In Pilsen, wo wurden Sie untergebracht? Wie wurden Sie versorgt?

Wir waren in Pilsen in einem Lager und wurden vom Roten Kreuz versorgt. Dort wurden wir eingeteilt, nach Bayern. Wieder in den Güterwagen bis nach Bamberg, wir waren der letzte Transport, der nach Bayern ging.

Da kamen wir im Mai 1946 an und wurden in der Rupprecht-Schule einquartiert. Da waren wir etliche Zeit. Die Amis waren in Bamberg stationiert. Die haben uns immer was gegeben. Schokolade, Kaugummi, Kekse. Ich habe immer das meiste bekommen, ich weiß auch nicht wieso.

Wie haben Sie das damals als Kind empfunden, in diesem Lager und auch in Bamberg?

Ich hatte einfach nur Angst, dass jemand verloren geht. Dann kamen wir in den Aischgrund. Wir wurden der Lempenmühle, dem Herrn Lechner, zugeteilt. Wir hatten Feldbetten von der Caritas, die wiederum hatten sie von den Amis.

Wer hat sie dort versorgt und wie war das mit Schule und Arbeit?

Wir muten uns selbst versorgen. Wir Kinder gingen in Mühlhausen in die Schule. Bei Hochwasser waren wir eingeschlossen, das Wasser reichte bis Pommersfelden, alles ein einziger See. Unser Vater hat uns dann auf seinem Rücken durch das Wasser bis zur Schule getragen. Mein Vater ist nach Schirnsdorf und die Oma auch und haben dort bei den Bauern geholfen und haben dafür Kartoffeln gekriegt. Mama hat Teig gemacht, den haben wir früh zum Bäcker gebracht und nach der Schule das gebackene Brot mit nach Hause genommen.

Wir Kinder waren auch viel im Wald, haben Beeren und Pfiffer gesammelt. Die Schwarzbeeren haben wir verkauft für zehn Pfennige. Wir waren auch Ährenlesen und haben aufgesammelt. Wenn in Schirnsdorf gedroschen wurde, sind wir hin, haben das Getreide dann zum Müller nach Mühlhausen gebracht und haben dafür Mehl bekommen. Später dann haben wir vom Bürgermeister Zwanziger aus Schirnsdorf ein Stück Feld bekommen. Dort haben wir Linsen, Erbsen, Tomaten und Kohlrabi angebaut. 1947/48 hat unser Vater dann beim Straßenbau gearbeitet.

Wie wurden Sie damals von der Bevölkerung aufgenommen? Schlug Ihnen Ablehnung entgegen?

Überhaupt nicht. Wir fühlten uns angenommen. Wir haben nur nette Leute kennengelernt, auch in der Schule

Haben Sie schnell Freunde gefunden?

Ja, es waren ja viele Vertriebene in der Schule in Mühlhausen. Wir hatten einen Lehrer, der hat zu den einheimischen Kindern gesagt: "Es sind so viele Kinder hier, die haben Hunger." Und dann hat er gefragt, ob die Kinder nicht ein Pausenbrot für uns mitbringen können. Es gab auch Schulspeisung, da bekamen wir einmal am Tag warmes Essen. Wir haben nicht gehungert, es gab immer was. Unsere Oma hatte auch Hasen und Gänse. Wir hatten ja keine Küche, also hat sie draußen auf einer Feuerstelle für uns gekocht.

Wie haben Sie damals gewohnt?

Wir hatten zwei Zimmer, ein großes, da haben wir geschlafen, alle zehn, und ein kleines Zimmer und einen Abstellraum. Kein Licht, kein Wasser, kein WC. Wir saßen abends bei Petroleumlampen. Wasser haben wir aus einer Quelle geholt und die Mama hat es abgekocht. Mama ist dann irgendwann von der Lempenmühle nach Höchstadt aufs Gesundheitsamt gelaufen und hat gesagt, dass wir kein Wasser und kein Licht kriegen. Dann haben wir Strom bekommen.

Wie lange waren sie dort, in der Lempenmühle, unter diesen Bedingungen?

So sieben bis acht Jahre. Danach sind wir nach Schirnsdorf gekommen. Der Bürgermeister Zwanziger hat über dem Schweinestall ausgebaut. Wir hatten jetzt zwei Zimmer, Küche und ein Plumpsklo auf dem Hof. Vater war weiter beim Straßenbau. Ich weiß noch, dass unser Vater immer sehr bedrückt war. Zuhause war er ein Geschäftsmann gewesen und hier nur ein Arbeiter.

Wir waren in Schirnsdorf drei Jahre, danach ging es nach Wiesenthau. Durch meine Hochzeit kam ich dann 1960 nach Höchstadt.

Waren Sie noch einmal in Chotischau?

Zweimal. Einmal in den 70ern und einmal in den 80ern.

Haben Sie was wiedererkannt, nach der langen Zeit?

Alles! Wir durften auch auf unser ehemaliges Grundstück. Und ich war in der Schule. Ich hatte alles noch in der Erinnerung und es war wie damals. Es hat sich zwar einiges verändert, aber ich habe alles wiedererkannt.

Haben Sie noch etwas von damals, aus Chotischau? Etwas von Ihrem ehemaligen Zuhause?

Ja, im September 1945 bekamen wir Mädchen von einem "tschechischen Onkel" jedes einen Rosenkranz und eine Bernsteinkette. Den Rosenkranz habe ich noch heute und halte ihn in Ehren. Und von der Aussteuer meiner Mutter habe ich noch eine Serviette mit Monogramm. Mein wertvollster Schatz.

Fühlen Sie sich hier in Höchstadt zuhause?

Nein. Fühlte ich mich nie. Durch den Festumzug bei der 1000-Jahr-Feier von Höchstadt habe ich auch richtiges Heimweh bekommen, war aber nicht mehr in Chotischau. Chotischau bleibt immer mein Zuhause. Das Gespräch führte Britta Schnake.