Druckartikel: Antonia Rados schildert in Gremsdorf Alltag einer Krisenreporterin

Antonia Rados schildert in Gremsdorf Alltag einer Krisenreporterin


Autor: Pauline Lindner

Gremsdorf, Sonntag, 16. November 2014

Im Forum der Barmherzigen Brüder schilderte Antonia Rados die Zerissenheit zwischen religiösen Traditionen und westlichen Einflüssen im Nahen Osten. Danach nahm sich die Fernsehjournalistin viel Zeit für Fragen aus dem Publikum.
Antonia Rados im Forum der Barmherzigen Brüder Fotos: Barbara Herbst


Heimat der großen Weltreligionen und Ursprung großer Weltreiche, wenn auch vor Jahrhunderten, ist für Antonia Rados, der Nahe Osten. Über einen unverzichtbaren Blick auf die Geschichte stieg die RTL-Chefreporterin Ausland in ihren Vortrag "Abenddämmerung im Morgenland" beim 23. Sparkassenforum im Forum der Barmherzigen Brüder in Gremsdorf ein.

Rados verwendete eine Landkarte, auf der im Norden des Mittelmeeres Europa fehlt. Eine andere Weltsicht signalisiert diese Karte mit dem übermächtig wirkenden roten Flächen der arabischsprachigen Länder. 250 Millionen Menschen leben zwischen Marokko und dem Irak, "ein viel einheitlicheres Gebilde, als wir glauben", betonte Rados.

"Eine gemeinsame Sprache und fast ausschließlich dieselbe Religion führen zu einer guten Verständigung untereinander."

Und ein vergleichbares politisches Schicksal - Rados nennt es "die Macht oben" - mit alten Männern, die über Jahrzehnte an der Macht waren, mit massiver Korruption und Familiendenken. Und - nur im ersten Moment erstaunlich - einer Ablehnung des Islam in der Öffentlichkeit. "Sie haben den Westen extrem importiert, aber nicht Demokratie und Menschenrechte."

Gut für den Westen war, so weiter Rados, der Ölfluss, den er durch Waffenlieferungen absicherte. Bis 2011 der Arabische Frühling ausbrach, getragen "vom Freiheitsdurst" einer vielfach arbeitslosen und oft schlecht beschulten Jugend. Rados belegte, wie sehr der arabische Raum, eine "extrem stammesorientierte Gesellschaft", von wirtschaftlichem Stillstand geprägt ist.

Die wichtige Rolle des Internets
Erst mit der Gründung des Satelitenfernsehsenders al-Dschasira entstand eine nicht staatlich - oder besser vom herrschenden Clan - beeinflusste Informationsquelle, die auch den fast analphabetischen Menschen zugänglich war. Dazu das Handy und das Internet, so entstand nach Rados ein guter Informationsaustausch, ohne den der Arabische Frühling nicht zu organisieren gewesen wäre.

Unterschätzt würde im Westen auch die Macht des Islams. Er sei im täglichen Leben deshalb so verwurzelt, weil er die einzige Organisation für charitative und soziale Arbeit sei."Der Islam ist für die meisten das einzige Netz, wenn der Staat nichts tut." So war es für die Kreigsreporterin nicht verwunderlich, dass bei den Wahlen nach dem Sturz der Diktatoren religiöse Parteien die meisten Stimmen erhielten. "Als Mursi (gewählter ägyptischer Präsident, der der Moslembruderschaft angehört, Anmerkung der Redaktion) im Gefängnis war, war Europa zufrieden, weil der Islam als Gefahr angesehen wird.

Der Islamische Staat (ISS) steht derzeit im Mittelpunkt der Berichterstattung. Dass er zu einem Weltreich wird, was er selbst anstrebt, hält Rados nach einem Blick in die Geschichte der islamischen Staaten seit dem 7. Jahrhundert für unwahrscheinlich. Sein Kern sind die sunnitischen Stämme zwischen Syrien und dem Irak. Entstanden ist er in der Stadt Faludscha im Irak, die am längsten Widerstand leistete gegen die amerikanische Invasion zum Sturz Saddam Husseins. Etlicher seiner Militärs tragen den ISS und Menschen, die durch die derzeit herrschenden Schiiten ins Gefängnis kamen.

Rados "empfiehlt" Europa neue Verbündete im Nahen Osten: die Türkei und den Iran. Der türkische Politiker Erdogan genieße großes Ansehen in seiner Heimat und der Region. "Weil er die Korruption bekämpft hat und einen gemäßigten Islam in der Öffentlichkeit vertritt", begründete sie.

Bei der Fragerunde des Publikums zeigte sie sich sehr gut informiert und interessiert an oft komplexen Detailfragen. Noch lange nach dem offiziellen Ende beantwortet Rados Fragen in einer spontanen Gesprächsrunde.


Exklusiv-Interview

Noch vor ihrem Vortrag im Forum der Barmherzigen Brüder in Gremsdorf, nahm sich die Chef-Reporterin für RTL, Antonia Rados, Zeit für ein exklusives Interview mit dem Fränkischen Tag.

Der Titel Ihres Vortrags "Abenddämmerung im Morgenland?" ist ein Wortspiel. Nur ein Wortspiel - oder schwingen Assoziationen wie "unbekannt, geheimnisvoll, märchenhaft" mit?
Der Titel stammt von der Bank. "Morgenland" ist für mich poetisch. Vor einer Woche aber habe ich in einer Art islamischer Heilslehre gelesen: "Wenn die Welt untergehen wird, geht die Sonne im Westen auf."
Gab es Situationen während Ihrer Berichterstattung, in denen Sie Angst um Ihr Leben hatten?
Ja, es gab zu viele: Selbstmordattentate, Beschuss des Hotels mit Toten, Entführungsversuche, Bombenangriffe in Aleppo. Das Risiko ist nie ganz zu kalkulieren. Es lässt sich nicht vermeiden, dass man in Gefahr kommt.

Ist es als Kriegsreporterin ein Nachteil, eine Frau zu sein?
Es ist immer ein Nachteil im Beruf, eine Frau zu sein. Krieg ist eine Männerwelt. Da ist es sehr schwierig, eine Frau zu bleiben, in diesem rohen, harten, brutalen Klima. Weinen ist verboten. Komme ich zurück, ziehe ich gerne ein Kleid an, nur um festzustellen, dass ich eine Frau bin.

Ist dieser Beruf mit dem Privatleben vereinbar?
Im Gegenteil, ohne Privatleben ist ein Kriegsreporter arm dran. Erholung, die braucht man. Ich finde sie am meisten beim Kochen.

Wie gelingt die Verständigung über Kulturen und Sprachen hinweg?
Ich muss als Reporterin auf die Leute zugehen. Man glaubt nicht, wie viele nette und offene Menschen man treffen kann. Oft übernachten wir bei völlig Unbekannten, die uns aufnehmen. Man darf nicht übersehen: Das Morgenland ist das Land der Gastfreundschaft. Aber es war schon lange nicht so, dass sich Westen und Naher Osten so misstraut haben wie jetzt.

Können Sie sich im Moment vorstellen, irgendwann auf die Berichterstattung zu verzichten und gemütlich auf der Gartenbank zu sitzen?
Nein. Auf die Berichterstattung verzichten, das ja, Gartenbank eher nein. Dann werde ich etwas Anderes tun.

Ist bei all den Nahostkonflikten Ihrer Meinung nach ein dauerhafter Friede dort vorstellbar?
Nicht im Augenblick, nicht in den kommenden zehn Jahren. Ich sehe schwarz für eine politische Lösung. Es wird noch kriegerischer werden. Es werden noch mehr Flüchtlingsströme nach Europa kommen, weil wir in einer Zeit des riesigen Umbruchs im Nahen Osten leben. Die alte Stabilität - unter den alten Diktatoren - kommt nicht wieder. Alle Karten werden jetzt neu gemischt. Europa muss sich neue Verbündete suchen, damit die dort dieses Chaos zumindest begrenzen. Die alten Verbündeten brechen zusammen, wie zum Beispiel Saudi-Arabien. Neue Kräfte wie die Türkei und der Iran werden wichtige Rollen spielen. Wir, also Europa, müssen uns mit diesen verbünden.

Das Gespräch führte
Pauline Lindner