Druckartikel: Ein Weg mit Schauer-Geschichte

Ein Weg mit Schauer-Geschichte


Autor: Natalie Schalk

, Dienstag, 24. April 2012

Der Unterfranke Andreas Erhard besitzt drei Grenztürme in Thüringen. An einem führt die Etappe "Grenzerfahrung" unserer Radeltour Franken vorbei: Dort sieht es aus wie zu DDR-Zeiten.
Andreas Erhard vor einem seiner Grenzdenkmäler: dem Turm in Gompertshausen Fotos: Barbara Herbst


Die Türme haben nicht viel gekostet. "Wir haben einen symbolischen Betrag bezahlt." Andreas Erhard steht in der dritten, der obersten Ebene des Grenzturms von Gompertshausen vor den Anlagen der Führungsstelle. Alles ist original: die Dienstvorschriften und das halbe Dutzend Telefonanlagen auf den Schreibtischen, an der Decke darüber die Neonröhre und die Kurbel für den Suchscheinwerfer auf dem Dach. Nur der Kommandeur selbst ist eine uniformierte Puppe, leblos wie die Fliege, die in der Original-DDR-Tasse gestorben ist.
Über Landkarten, Gewehren und klobigen Apparaturen der Vor-Internet-Zeit liegt ein blasser Grauschleier: als hätte der Staub die Geschichte sanft zugedeckt. Selbst die Spinnwebe hängt ungenutzt und braun am gelben Vorhangsaum. Nichts bewegt sich. Der Turm ist in der DDR-Zeit stehen geblieben - genau wie von Andreas Erhard beabsichtigt. Er, seine Frau Elke und Sohn Manuel wollen die Denkmäler an der ehemaligen Grenze erhalten.
Am Turm führt die 1600 Kilometer lange "Erlebnisstraße der Deutschen Einheit" vorbei. Auch die touristische Route wurde von der Familie initiiert. "Besonders für Radfahrer ist unsere Region sehr interessant. Sie können die Teiletappen mit dem Erlebnis historischer Stätten verbinden", sagt Erhard. Er führt öfter Radler-Grüppchen durch den Turm, fährt selbst aber normalerweise mit dem Auto. "Wenn ich hier in Gompertshausen 'was mache und dann eine Stunde später 'ne Führung in Behrungen habe, geht's nicht anders." In Behrungen steht ein weiteres Grenzdenkmal der Familie.

Der verkannte Grenz-Wert

Andreas Erhard schaut über die Schulter von Genosse Pappkamerad durch die Fensterfront. 1200 Quadratmeter Ackerland gehören zum Turm bei Gompertshausen. Zum Denkmal Behrungen gehören 20 000 Quadratmeter. Die Familie hat also doch einiges investiert. "Och", sagt Andreas Erhard. "Ich habe gutes Geld verdient. Ich war in der Mineralölwirtschaft tätig." Er zieht seine Aufmerksamkeit aus der ruhigen Landschaft zurück, grinst, zwinkert: "Oder Mineralölmafia, wie ich gern sage." Den Scherz streut er mit der Routine eines Menschen ein, der oft Vorträge hält. Im Plauderton erzählt er weiter: von der Stiftung, die er mit seiner Familie 1986 gründete, um etwas Sinnvolles zu tun.
Erhards kommen aus Üchtelhausen bei Schweinfurt, hatten mit der DDR nichts zu tun und investierten in Naturschutzprojekte. "Am 22. Dezember '89 sind wir zum ersten Mal über die Grenze nach Meiningen gefahren." Sofort war klar: Dort soll sich die Familienstiftung engagieren. Der Versuch, 1992 eine Begegnungsstätte in Meiningen einzurichten, scheiterte. "Alle waren wie im Goldrausch. Da wollte keiner mehr was von der DDR wissen." Die Grenzbefestigung wurde rasch abgerissen.
Ein Dröhnen in den Betonplatten des Turmes zerreißt die Erinnerung: Im Erdgeschoss bohrt Manuel Erhard nach Originalplänen die Originalschaltkästen fest. 15 Jahre nachdem sie jemand ausgebaut hatte, bekam die Familie sie zufällig zurück. Erhards nutzen jede Gelegenheit, den Urzustand des Turm wiederherzustellen.
Sohn Manuel war von Anfang an beim Projekt Grenzgeschichte dabei: Vor zehn Jahren entdeckte er eine Tretmine in der Nähe des Turmes bei Behrungen. "Da war er elf", sagt sein Vater. Manuel wusste, was er vor sich hatte, und warnte Forstarbeiter. Dass er dafür ausgezeichnet wurde, steht im Internet - Andreas Erhard erzählt davon genauso wenig wie von den anderen Ehrungen für die Initiative der Familie.
Den ersten Turm kauften sie 1999. "Diesen hier haben wir 2001 gekauft, 14 Tage, bevor er abgerissen werden sollte." Heute ist das Areal Bau- und Bodendenkmal des Freistaats Thüringen - so wie alle Grenzanlagen der Familienstiftung: Erhards erwarben ein Stück der Mauer am Grenzort Görsdorf, gründeten das deutsch-deutsche Freilandmuseum Behrungen, widmeten ihren Grenzturm Billmuthausen im Sinne des ursprünglichen Stiftungsgedankens dem Fledermausschutz. Inzwischen haben sie ein Dutzend Denkmäler gerettet. Sie erfassen Armeegräben, recherchieren in Bibliotheken und Archiven, sprechen mit Zeitzeugen und veröffentlichen Dokumentationen. Sie wollen, dass Straßen und Brücken nach der Einheit benannt werden - auch Bundespräsident Gauck hat schon einen Brief erhalten."Das Ganze hat eine eigene Dynamik angenommen", sagt Andreas Erhard.
Fördergeld wollte die private Initiative nie. "Die Gestaltung der Einheit ist für uns eine Lebensberufung, da muss man für geboren sein." Andreas Erhard lächelt. "Vor 150 Jahren gab's Leute, die haben den Nordpol erforscht. Heute gibt's kaum noch was, das nicht erforscht ist." Der Rentner hat sein Forschungsobjekt gefunden. Wenn Schulklassen zu Führungen kommen, die Kinder als erstes nach dem Cola-Automat fragen und Viertklässler mit Internet-Handys spielen, bemüht sich der Denkmalhistoriker um Nachsicht. "Wir wollen kein riesiges Grenzmuseum mit Grillbuden, Eisstand und Souvenirladen. Aber die Kinder sind uns sehr wichtig." Für die Nachgeborenen will der Unterfranke die Geschichte der DDR lebendig halten.


Führungen:
In Turm und Bunker erklärt Andreas Erhard den Aufbau der Grenzanlagen, er weiß aber auch über die Arbeit der Soldaten und Zwischenfälle an der Grenze Bescheid. Anmeldung bei Familie Erhard: 09720/890 (3 Euro pro Person, keine Einzelführungen) .

Die Etappe:
Etwa 75 Kilometer von Coburg nach Bad Neustadt: in Coburg im innerstädtischen Radnetz bis Neuses, vorbei am Goldbergsee (Panoramablick auf Veste Coburg und Schloss Callenberg) über Beiersdorf, Kösfeld, Wiesenfeld, Neida, Breitenau und Gauerstadt nach Bad Rodach (gut beschildert), hier den Schildern des FSR (Fränkische Saale-Rodach-Radweg) Richtung Bad Königshofen folgen (in Roßfeld an der T-Kreuzung links). Bei Streufdorf ließ sich die genaue Wegführung der Test-Tour im Nachhinein nicht rekonstruieren. Das bayerisch-thüringische Radnetz hat noch Lücken, aber es geht: Wir folgten dem grünen Schild eines Wanderweges und fragten eine Passantin. Derzeit werden weitere Schilder aufgestellt. Weiter geht die Route vorbei am Flora-Fauna-Habitat-Gebiet "Schlechtsarter Schweiz" Richtung Gompertshausen (Grenzturm der Familie Erhard) und Alsleben nach Bad Königshofen. Alternativ gibt es von Westhausen die Möglichkeit nach Schlechtsart zu radeln und dort in den Grenzgänger-Wanderweg entlang des Kolonnenwegs einzusteigen: über Gompertshausen und Linden nach Trappstadt, Eyershausen und Bad Königshofen (Museum für Grenzgänger). Ab hier folgt die Route dem gut beschilderten Fränkische Saale-Radweg (weitgehend auf der asphaltierten ehemaligen Bahntrasse) über Saal an der Saale bis Bad Neustadt an der Saale (mit Burg Salzburg auf der Hochebene).

 

https://www.infranken.de/fileadmin/sonstiges/radeltour/Coburg-BadNeustadt.gpx