Druckartikel: Zwangsarbeit in Neustadt

Zwangsarbeit in Neustadt


Autor: Gabi Arnold

Neustadt, Freitag, 13. März 2015

In den Jahren 1944/45 gab es in Neustadt ein Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Die Jüdinnen wurden im Kabelwerk eingesetzt. Heimatpflegerin Isolde Kalter ist den historischen Spuren nachgegangen.
Auf dem Gelände des Kabel-und Leitungswerkes Siemens war in den Baracken von September 1944 bis April 1945 ein Außenlager des KZ Buchenwald untergebracht.  Quelle: Isolde Kalter


Seit dem Jahr 2000 sammelt die Heimatpflegerin der Stadt Neustadt, Isolde Kalter, Informationen zum Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Das Lager auf dem Gelände des Kabel- und Leitungswerkes der Firma Siemens existierte knappe sieben Monate, vom 26. September 1944 bis zur Auflösung am 6. April 1945. 403 ungarische Jüdinnen hausten in dem Baracken und mussten schwerste Zwangsarbeit für die Firma Siemens leisten.

Der Vortrag basierte auf dem Besuch von zwei ehemaligen Häftlingsfrauen. Weiterführende Forschungen der Referentin haben die Aussagen der Zeitzeuginnen verdichtet. Isolde Kalter hat vor 15 Jahren eine Namensliste der Frauen aus dem Konzentrationslager Buchenwald erhalten. Damals, sagt sie, konnte sie noch nichts weiter unternehmen.

Erst als in den Jahren 2004 und 2005 zwei Ungarinnen aus dem ehemaligen Außenlager nach Neustadt zu Besuch kamen und das "Netzwerk Buchenwald" die Arbeit aufnahm, forschte Kalter intensiv weiter und erschloss neue Quellen, von denen sie über dieses Treffen erfahren hatte. Seit dem Jahr 2012 betrieb sie eine besonders intensive Recherche.

Berichtete mehrerer Zeitzeugen

Am Ende des einstündigen Vortrag verlas Isolde Kalter Berichte mehrerer Zeitzeugen, allerdings konnte sie abschließend kein einheitliches Bild der Zustände im ehemaligen Außenlager des KZ Buchenwald liefern. Dies liegt vor allem daran, dass die Aussagen der Häftlingsfrauen voneinander abweichen. Von"Sie schlugen uns ständig" bis "Es gab keine Strafen" reichen die Aussagen. Dies hänge auch damit zusammen, dass jede Frau ihre eigene Geschichte in der Baracke erlebt habe. Auch die Situation der Vernehmung und die psychische Verfassung der Frauen könnten die Aussagen beeinflusst haben.

Rückblende: Im Jahr 1944 fehlten dem Neustadter Kabelwerk kriegsbedingt Arbeitskräfte, sodass das Werk einen Bedarf von 300 Frauen und Männern anforderte. Das Kabelwerk beschäftigte damals Fremdarbeiter und Kriegsgefangene. Am 7. September 1944 wurden 400 ungarische Jüdinnen in Viehwagons vom KZ Ravensbrück nach Neustadt transportiert. Die Frauen waren bei einer Selektion in KZ Auschwitz für arbeitsfähig erklärt worden und somit dem Tod in der Gaskammer entgangen. Den Häftlingsfrauen, so Kalter, wurde überraschenderweise ein medizinisches Team hinterhergeschickt; ehemalige Lagerinsassen erinnern sich an die polnische Ärztin Maria Prussynska, die als Rassenschänderin mit einem schwarz-gelben Davidstern gekennzeichnet war.

In Baracken auf dem Gelände der Firma Siemens

Die Zwangsarbeiterinnen waren in Baracken auf dem Gelände der Firma Siemens in der Ausstraße untergebracht. Nördlich des Geländes wurden im Jahr 1941 die ersten Baracken aufgestellt, im Jahr 1942 folgten im Süden weitere Häuser, im Jahr 1944 wurde der Osttrakt erweitert. Das Neustadter Lager war eines von vielen Außenlagern des Hauptsitzes des KZ Buchenwald. Im Jahr 2004, so Kalter, wurde ein Wohnbaracke abgebrochen, die vermutliche die letzte der ehemaligen KZ-Außenstelle war.

22 Aufseherinnen, größtenteils waren dies sehr junge Frauen, wachten über die Zwangsarbeiterinnen. Sie kamen meist aus der näheren Region, meldeten sich entweder freiwillig oder wurden laut Kalter auch unter Druck gesetzt. Die Aufseherinnen erwarteten bis zu achtfach höhere Löhne als etwa in der Puppenindustrie, die Rede war von vorher 150 Reichsmark auf 1200 Reichsmark. Auch Kleidung, und dies war für damalige Zeit nicht uninteressant, bekamen die Wärterinnen gestellt.

Schwerste Arbeit, kaum Nahrung

Einige Zeitzeugen berichteten, dass die Aufseherinnen ihre Machtpositionen ausnutzen und die Häftlinge demütigten, schlugen und beschimpften. Die Arbeit war sehr hart, die Frauen mussten in zwei Schichten zu zwölf Stunden schwerste Männerarbeit verrichten und es gab kaum Nahrung. Die Berichte der Zeitzeugen sind mündlich, schriftlich oder per Videoaufnahme überliefert. Eine Zeitzeugin berichtet von grausamen Schlägen des Lagerführers mit dem Gummiknüppel bis zur Ohnmacht und Peitschenhieben, von Essensentzug und stundenlangem Appellstehen in klirrender Kälte. Andere berichten, dass die Neustadter Verhältnisse gemessen an Auschwitz oder Ravensbrück vergleichsweise gut waren. Es gab demnach bessere Verpflegung, Betten, Strohsäcke und Decken. Auch von Siemensarbeitern wird berichtet, die belegte Brote für die Zwangsarbeiterinnen in die Müllkörbe legten und Zeichen gaben, diese zu abholen. "Es gab vermutlich einen Unterschied zwischen einem Arbeits- und einem Vernichtungslager" sagte Kalter. Im Außenlager Neustadt kam den Überlieferungen zufolge zu keinen Todesfällen.

Auf einen tödlichen Marsch geschickt

Das Neustadter Lager wurde am 6. April 1945 kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner aufgelöst. "Es sollten keine Lebenden zurück gelassen werden." Die Frauen wurden unter SS-Begleitung auf einen Marsch geschickt, etliche Frauen verloren ihr Leben, etliche flohen. 120 Frauen kamen schließlich im tschechischen Domazlice an. Deutschland hatte bedingslos kapituliert. Die Stadt Neustadt, so Kalter, müsse diesen Teil ihrer Geschichte mit Mut und Geduld aufarbeiten.

Klaus Dimler berichtete, dass sein Vater als politischer Gefangener im KZ Buchenwald inhaftiert war und auch er recherchier habe. "Man darf nicht meinen, dass es in Neustadt nicht so schlimm war. Die Frauen haben ihre Familie verloren, wurden ohne Grund ihrer Freiheit beraubt und mussten hart arbeiten. Sie hatten in Neustadt lediglich bessere Überlebenschancen als in Buchenwald," sagte der Besucher.