Druckartikel: Zurück aus der Zukunft greinen die Gene

Zurück aus der Zukunft greinen die Gene


Autor: Dr. Carolin Herrmann

Coburg, Donnerstag, 27. November 2014

Der satirische Realist und Fantast Markus Orths, schon häufiger zu Gast in Coburg und Bamberg, hat eine Apokalypse für Anfänger geschrieben. Darin erzählt ein Quadrupelhirn aus dem Jahr 2524, wie Omega unsere Welt rettete.
Markus Orths, immer wieder auch zu Gast in Coburg und Bamberg, steckt seine Nase jetzt in kosmische Belange. Sein Buchumschlag zeigt einen Ausschnitt aus Hieronymus Boschs "Aufstieg in das himmlische Paradies".


Der Mensch neigt zur Fantastik. Generell und selbstverständlich erst Recht in der Literatur. Schon immer. Gegenwärtig aber ganz besonders. Das mag daran liegen, dass sich in atemberaubenden Tempo die Verlässlichkeiten unserer bisherigen Welt auflösen. Und nun? Nun steh ich da, ich armer Tor, vor erschreckenden neuen, ungeordneten Weiten, schwarzen Löchern voller Materie, kosmischen Ozeanen voller brodelndem Nichtwissen, der eigenen Endlichkeit, ohne dass mir noch ein wirksames Beruhigungsmittel zur Verfügung stünde.

Was tun in solch auswegloser Lage die Denkenden und zwanghaft Sagenden, die Literaten? Manche konzentrieren sich streng auf ihr unmittelbares Umfeld, das, was sie für die real existierende Welt halten. Andere springen vor lauter Schreck mitten hinein in die dunkle Materie.

Die schreiben dann "fantastische Romane", rückwärtsgewandte, die alles durcheinander bringen, oft in letzter Zeit aber auch zukunftsgewandte mit höchst interessanten Spekulationen über den Fortbestand der unangenehmen Spezies Mensch und ihres Planeten und ihrer Psyche und ihrer Seele.

Warum ich Ihnen das alles erzähle, jetzt, wo Sie durchaus einiges zu tun haben? Da war und ist doch dieser Markus Orths. Erst letztes Jahr hat er einen ganzen Saal voller Jugendlicher und Erwachsener an der Coburger Fachoberschule mit satirischer Ader und Einfallsreichtum in Begeisterung versetzt. Auch bei den Coburger Literaturtagen hatte man ihn erlebt. In Bamberg war er schon ganz oft zu Gast. Na, auf den guckt man doch.


Per Zeitmaschine ins Heute

Dieser Markus Orths springt gern überall hin. Und wenn er schon dabei ist, darf's auch gerne gleich eine "Apokalypse" sein, erst mal "für Anfänger". "Alpha & Omega" heißt kein bisschen anmaßend sein neuer Roman. Und in dem können Sie ganz schön was erleben:

Wir befinden uns im Jahr 2525, im Jahr 525 nach Omega in der neuen Zeitrechnung. Das Ende steht schon wieder bevor. Warum also, wenn ohnehin nichts mehr zu verlieren ist, sollte sich Elias Zimmermann nicht von einem freundlich-hinterhältigen Bibliothekars-Roboter per Zeitmaschine zurückversetzen lassen in die Lebensgeschichte der damaligen, also in unserem Heute lebenden Weltretterin Omega. Eine kleine Chance, als erster einen solchen Ausflug zu überleben, hat Elias auch. Schließlich hat er ein Quadrupel-Hirn, dass es unter Umständen verkraftet, wenn das Bewusstsein, an Kalladabs-Oboren gekoppelt, innerhalb weniger Sekunden ganze Leben in der Vergangenheit miterlebt, und zwar zunächst gänzlich körperlos (was zu weiteren skurrilen Situationen führt). Kalladabs-Oboren sind übrigens die einzigen überlichtschnellen Teilchen, die man einfangen, programmieren und wieder losschicken kann, was erstmals 167 nach Omega Prof. Dr. Wayne John gelang. Nicht mit dem Lasso, wie Elias Zimmermann ziemlich blöde fragt. Das war ein anderer Wayne John.


Esoterikerin und Asozialer

Da hätten wir also schon mal die eine Welt, die demnächst apokalyptische des Jahres 2525. Aus deren Blickwinkel nutzt Markus Orths seine zufällig (?) 525 Romanseiten zur witzigen Wissenschaftsparodie, was nicht ohne grandiose Philosophie-Schlenker über das Alles und das Nichts geht.

Dann, zurück aus der Zukunft, versetzt uns Elias Zimmermann in unsere Gegenwart. Hier wird herkömmlich verrückten Menschen neben ihrem eigenen Sohn, dann Alpha genannt, ein aus dem Undefinierbaren kommendes schwarzes, gänzlich haarloses Mädchen mit drei Gehirnhälften und erstaunlichen Fähigkeiten untergejubelt: Omega. Dazu gesellt sich unvertreibbar ein Hohler Hund, der Husky Escher mit Schwarzem Loch im Bauch.


Ein schwuler Buddha

Was nun alles geschieht in unserer Zeit, gesellschaftlich, wissenschaftlich, konkret personal existenzlich, kann ich Ihnen hier gar nicht beschreiben. Es wäre wirklich gut, zu Ihrem größten Vergnügen und seelisch Bestem, würden Sie selbst lesen: Wie die coole Esoterikfrau Bitch zum kommunikativ unterbelichteten Kolja kommt. Wie Bitchs schon immer renitenter, asozialer Vater sein Großvater-Sein für Alpha und Omega annimmt. Statt "Schöner Grüße" sendet Gusto beispielsweise hartnäckig "Schöne Füße". Zudem hat er eine Philosophie der Exkremente entwickelt.

Lesen Sie, wie Eli as es nicht mehr aushält und sich per korporal-zerebral-kalladabs-oboraler Quint-Existenz- und -Essenz im Körper von Kolja breit macht. Schwuler Buddha, sexbesessene Teilchenphysikerin, mutige und feige Menschen. Ja, ob in der Zukunft oder der Gegenwart, es geht, verdammt noch mal, sehr um uns, im mittlerweile zehnten Roman dieses Markus Orths, virtuos absurd, satirisch, lebens- und liebevoll, großmütig und genau dargestellt.


Dass da mal was gewesen sei

Nur eines wollen wir absolut nicht glauben, diesen "Pikosekundenprolog" von Markus Orths: "Am Anfang war der Ort - Am Ende ist er fort", auch noch erschreckend grafisch verschwindend auf die erste Seite des Buches geschrieben. - Obwohl, wie ist das mit den jetzt so allmählich eingestandenen Erkenntnissen über den Mars, dass da mal "etwas" gewesen sein muss? Leben? So in etwa, wie wir uns das vorstellen können? Grünlich vielleicht?

Markus Orths: Alpha und Omega. Apokalypse für Anfänger. Roman. Schöffling & Co Frankfurt am Main, 525 Seiten, 24, 95 Euro.

Markus Orths, 1969 in Viersen, studierte Romanistik, Englisch und Philosophie an der Universität Freiburg, arbeitete als Fremdsprachenassistent für Deutsch in Paris, war als Studienreferendar für Englisch und Französisch tätig, was ihn zu seinem ersten, sehr erfolgreichen und polarisierenden Roman "Lehrerzimmer" animierte. Seither widmet er sich ausschließlich dem Schreiben von Romanen und Erzählungen. " Hirngespinste" und "Die Tarnkappe" sind weitere erfolgreiche Romane Orths. Seine Werke wurden mittlerweile in 18 Sprachen übersetzt. Orths lebt in Karlsruhe. wp