Zeitreisen mit Wams und Schwert
Autor: Simone Bastian
Coburg, Freitag, 04. August 2017
"Man muss sich das vorstellen wie eine Parallelwelt, nur früher", sagt der Coburger Maximilian Melville über sein Hobby: Leben im 11. Jahrhundert.
"Sind Sie echt? - Ich liebe diese Frage!", sagt Maximilian Melville. Er hört sie oft - nämlich dann, wenn er als Max von Eisenschild einen Ritter aus dem 11. Jahrhundert gibt. Dann ist alles an dem jungen Coburger so echt, wie es nur sein kann: der Rock, der Schild, das Kettenhemd, der Kragen aus Fuchspelz, die Schuhe.
Natürlich nicht echt alt. Aber so hergestellt, als wären sie's. Maximilian Melville ist Reenlarpment-Spieler (siehe Kasten), einer, der mit Haut und Haar und Kopf und Herz ins Ritterdasein des Mittelalters schlüpft. "Es ist wie Theater ohne Drehbuch", sagt er selbst. Als Max von Eisenschild ist er der Baron von Neu-Boffeld und damit Herr eines imaginären Staates mit 50 bis 70 Bewohnern.
Adelige seien bei den Reenlarpern gar nicht so häufig, sagt Melville: "Ein Ritter mit Schwert und Pferd - das kostet ein kleines Vermögen." Den Reenlarpern geht es nicht um den Schein, sondern um das Sein: Die eigene Biografie muss sich jeder erspielen; als Herzog anzufangen geht gar nicht. Einen einfachen Händler oder Wächter darzustellen, ist leichter als einen Ritter mit Gefolge - denn das Gefolge muss der Ritter erst einmal haben. "Du kannst, was du darstellen kannst", heißt diese Philosophie, abgekürzt DKWDDK. Zur Baronenwürde kam Max von Eisenschild nicht ganz beabsichtigt. "Ich habe beim Herzog von Neu-Boffeld als Leibwächter angefangen." Doch der Herzog wollte aussteigen und kündigte seinen Tod an. "Meistens fallen Gruppen dann auseinander, und ich wollte das verhindern", sagt Maximilian Melville. Die Lösung: Noch auf dem Totenbett machte der Herzog Karl Eichstätter von Neu-Boffeld Max von Eisenschild, Hauptmann der Leibgarde und Reichsrat von Neu-Boffeld, zum Baron und Reichsverweser.
Zum Gefolge des Barons von Neu-Boffeld gehören ein Reichsritter, mehrere Müller, die Leibgarde, Kammerdiener, ein Koch - rund 60 Leute insgesamt, denn das Lager mit Zelten, Thron und Kochstelle will ja auch betrieben werden. "Ein Herzog bräuchte rund 500 Leute", umreißt Maximilian Melville das Szenario, in dem sich die Bewohner der "Splitterlande" bewegen. Neu-Boffeld ist einer der Kleinstaaten in Splitterlande, das ungefähr Deutschland entspricht, und umfasst in etwa den fränkischen Raum mit Coburg, Bamberg, Bayreuth, Nürnberg.
"Ich mache Larp, seit ich 16 bin", sagt Maximilian Melville. Mit dem Mittelalter kam er freilich schon vorher in Berührung - kein Wunder bei einem bekannten Historiker als Vater, der seinem Sohn nach dem Umzug nach Coburg erst mal all die Burgen und Ruinen in der Umgebung zeigte. Das gefiel dem damals Siebenjährigen. "Ich hatte ein Holzschwert, und ich war fasziniert von den Kaltenberger Ritterspielen."
Mit 16 Jahren kaufte sich Maximilian Melville ein Metallschwert via Internet, fand dort auch heraus, was Larp ist, und entdeckte, dass es in Coburg Gleichgesinnte gab. "Dann bin ich einfach mal hinmarschiert zum Waffentraining im Hofgarten." Diese Gruppe besteht nicht mehr. Weil sich auch in der Welt des Larp die Richtungen unterscheiden, hat Maximilian Melville in der Coburger Umgebung keine Mitspieler.
Alfred Geibig, Kurator der Waffensammlung auf der Veste und zuständig für die "Zeitreisen", die alle zwei Jahre organisiert werden, unterscheidet zwischen "Living History", also Reenactment, und "Larp". Vor allem bei den Gruppen, die sich der "Living History", also dem möglichst authentischen Nachstellen der Epoche, verschrieben haben, gebe es oft Konflikte darüber, was die Gruppe leisten kann und will. "Die einen wollen ruhig vorm Zelt sitzen und ein bisschen kämpfen, die anderen wollen auch forschen, um möglichst nah an das historische Original zu kommen." Über solchen Auseinandersetzungen seien schon Gruppen zerbrochen, sagt Geibig. Andere würden sich sehr intensiv mit ihrer Geschichtsepoche befassen. "Da stimmt dann alles - bis hin zu der Anzahl der Lochbohrungen in den Knöpfen."
Gemessen daran, sei Larp von der Ausstattung her relativ dürftig, meint Geibig mit Blick auf die dort verwendeten Plastikwaffen. Sein Sohn habe "gelarpt", deshalb habe er da den Einblick, sagt er. Die Larper sind aber die größte Gruppe der Rollenspieler, sie treffen sich beim "Drachenfest" oder, wie dieses Wochenende, in "Mythodea". Das ist die größte Larp-Welt in Deutschland. Rund 8000 Spieler treten auf dem Rittergut Brokeloh in der Nähe von Hannover an, "um die Weltenschmiede zurück zu erobern und die finsteren Pläne, welche die Urzweifler dort verfolgen, zu vereiteln", wie es auf der Homepage Live-adventure.de heißt.
Mythodea lässt auch Fabelwesen wie Orks zu (beschrieben von J. R. R. Tolkien in "Herr der Ringe"), und die Waffen sind nicht echt. "Zu viel Fantasy und Plastik", urteilt Maximilian Melville. Außerdem sind in Mythodea Besucher aus der Jetztzeit zugelassen - anders als in den Conquests der Herrschaftsgebiete der Splitterlande. Da dürfen in der Regel auch keine Kinder und Jugendlichen mitspielen.
Der Verein Coburger Mittelalter und Fantasy
Sie nennen sich "Söldnerhaufen Goldfänge", ihre Mitglieder tragen Namen wie "Hauptmann Berack", "Quara" oder "Belial": Der Verein Coburger Mittelalter und Fantasy hat das Land Neu West-Barmenien auf dem Kontinent von Mythodea für sich beansprucht. Deshalb war in den vergangenen Tagen niemand von der Gruppe zu erreichen - denn seit Mittwoch findet die Conquest of Mythodea in der Nähe von Hannover statt, die noch bis zum Sonntag dauert. Die Spieler Mythodeas müssen versuchen, die Urzweifler von der Weltenschmiede zu vertreiben. Der Verein Coburger Mittelalter und Fantasy präsentiert sich aber bei vielen Gelegenheiten in Coburg wie zuletzt beim Youco-Festival und ist offen für Interessierte. Kontakt ist möglich per Internet: www.goldfaenge.de oder www.mittelalter-coburg.de.
Neu-Boffeld ist dagegen nur über Facebookzu erreichen. Weitere Informationen über Low-Fantasy-Larp gibt es auf der Homepage von Drachengard, ebenfalls ein Teil der Splitterlande. Die Spieler von Drachengard organisieren jedes Jahr das "Laufer Heerlager" in Forchheim.