Wurzeln, Werte und ein Wunsch
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Mittwoch, 12. Dezember 2012
Irmgard Clausen hat bundesweit die Initiative "Buy local" mitgegründet. Ihr Plädoyer für den regionalen Einzelhandel stimmt nachdenklich.
Viele Innenstädte werden heutzutage immer austauschbarer, während andernorts großer Leerstand zur Verödung führt. Einkaufszentren mit den überall selben Filialisten und der zunehmende Einkauf bei Amazon, Zalando & Co. entziehen dem ortsansässigen Einzelhandel die nötigen Umsätze. Die Einzelhändler-Initiative "Buy local" will dieser Entwicklung etwas entgegensetzen.
"Jeder Euro, der in der Region verbleibt, sorgt für den Erhalt von Arbeitsplätzen und erhöht durch die hier entstehenden Steuereinnahmen die Lebensqualität aller Menschen. Kindergärten, Schulen, soziale Einrichtungen und Vereine, alle profitieren von ,Buy local'", sagt Irmgard Clausen, einziges Mitglied der Initiative in Coburg.
Die engagierten Einzelhändler möchten dem Bürger und den Kunden klar machen, dass ihre Kaufentscheidung maßgeblich das Aussehen und die Lebensqualität ihrer Region beeinflusst. Wir sprachen mit der Coburger Buchhändlerin über diese "Mission".
Frau Clausen, wie sind Sie auf "Buy local" aufmerksam geworden und was hat Sie dazu bewogen, Mitglied zu werden?
Irmgard Clausen: Seit Jahren beobachte ich diese Initiative von unabhängigen Buchhändlern in Amerika. Und immer habe ich mir gewünscht, dass es sowas auch in Deutschland gäbe. Im Mai diesen Jahres habe ich mich dann mit Kollegen in Frankfurt getroffen und wir haben "Buy local" in Deutschland ins Leben gerufen.
Kann eigentlich jeder Einzelhändler beitreten oder gibt es Aufnahmebedingungen?
Jeder kann beitreten, aber natürlich gibt es gewisse Aufnahmebedingungen. Wichtig ist uns, dass jedes unserer Mitglieder seine Steuern in der jeweiligen Region bezahlt. Außerdem muss es sich kulturell, sozial und gesellschaftlich in seiner Heimat engagieren und dort verwurzelt sein.
"Buy local" klingt ja nicht gerade nach regionaler Bindung. Hätte es da nicht auch einen anderen Namen dafür gegeben?
Da haben Sie recht. Ja, wenn wir einen griffigeren Namen gefunden hätten, hätten wir ihn gerne genommen.
Worin sehen Sie als Buchhändlerin Ihre lokale Verantwortung?
Auf alle Fälle in der kulturellen Arbeit einer Buchhandlung. Ich denke da besonders an die vielen Lesungen, die wir anbieten. Unsere soziale und gesellschaftliche Aufgabe sehe ich in der Leseförderung, die wir seit Jahren sehr engagiert betreiben.
Gehören alle, die im Internet bestellen zu den Totengräbern der Innenstädte?
Nur, wenn die Menschen keinen Zusammenhang zwischen Click und regionaler Verwurzelung erkennen, wird es fatale Folgen haben. Wenn gewohnte Einkaufs- und Kommunikationswege wegfallen, wird es still in den Innenstädten.
Was muss Ihrer Meinung nach den Bürgern am meisten bewusst werden, wenn Sie es vorziehen, bei großen Ketten im Internet zu bestellen?
Die Menschen müssen sehen, dass der Einzelhandel vor Ort zwar kleinteilig wirkt, doch gleichzeitig bildet er die Netzwerke, die für die Menschen wichtig sind und ein Gemeinwesen zusammenhalten. Damit meine ich das Urbedürfnis nach Begegnung und Austausch. Das alles kann jedoch nur bestehen, wenn diese Netzwerke den wirtschaftlichen Rahmen behalten.
Für wie wichtig halten Sie ein gesundes Werteempfinden im Hinblick auf das Kaufverhalten der Menschen?
Das finde ich ein bisschen kompliziert ausgedrückt. Im Grunde geht es darum: Wo ich mich beraten lasse, da sollte ich auch kaufen. Die Dienstleistung, die ich in Anspruch nehme, sollte ich auch bezahlen. Tradition ist ein hoher Wert. Es muss den Menschen klar werden, dass das, was schon ewig da ist, nicht so selbstverständlich bestehen bleibt. Vielmehr muss es ständig bestätigt und immer wieder neu wert geschätzt werden.
Und wenn etwas nicht in Ordnung ist, dann kann man es im Miteinander ansprechen und in etwas Positives verwandeln. Konkret: Wir regeln etwas von Mensch zu Mensch und nicht von Hotline zu Hotline.
Wie sieht Ihre Vision von den Innenstädten der Zukunft aus?
Eine Vision habe ich nicht, aber einen Wunsch: Die Menschen mögen verstehen, dass der Mensch den Menschen braucht und nicht eine anonyme Bestellwunschbearbeitungsmaschinerie.
Das Gespräch führte Christiane Lehmann.