Wunderbar und furchterregend: US-Forscher Giordano über Technik zur Hirn-Manipulation
Autor: Natalie Schalk
Coburg, Freitag, 14. Dezember 2018
Geräte, die im Kopf eines Demenzkranken Erinnerungen speichern, Substanzen, die unsere Gene schnell mal für Lifestylezwecke verändern: James Giordano über Neurotechnik.
Unvorstellbare Fortschritte in der Medizin. Und grauenerregende Visionen vom ferngesteuerten Gehirnen: Biotechnologie verändert die Menschheit. Der Neurowissenschaftler James Giordano von der Georgetown University Washington DC spricht von einem Zeitalter einer neuen, selbst gemachten Evolution. Grenzen setzt nicht die Technik, sondern die Ethik. Darüber wird gerade bei einer internationalen Konferenz in Coburg diskutiert. Giordano ist hier Gastprofessor. Am Beispiel der ersten genmanipulierten Babys, die Ende November in China geboren wurden, erklärt der Amerikaner auch kulturelle Unterschiede und die Notwendigkeit internationaler Standards. Den Bauplan eines Menschen so verändern, dass er den Krebs oder seine Sucht besiegt - wunderbar klingen die Heilsversprechen der Gen- und Neurotechnik. Was bringen die neuen Möglichkeiten in der Medizin? James Giordano: Ziel ist eine individuelle, punktgenaue Medizin gegen Schmerz, Depression, andere neuropsychiatrische Krankheiten und Krebs. Wir haben Medikamente und neurotechnologische Geräte, mit denen wir das Erbgut so verändern können, dass wir Krebs und vererbte Krankheiten heilen können. Vielleicht können wir das Immunsystem auch so umformen, dass es künftig weniger anfällig für Umwelteinflüsse ist. Wir haben das Potenzial, Not zu lindern und den menschlichen Zustand zu verbessern. Vielleicht ist das gut. Aber was wissen wir über das Genom, über das gesamte Erbgut? Wissen wir, welche möglichen Ergebnisse eine Veränderung bewirkt? Welche Nebeneffekte? Das kann Probleme verursachen.
Trotzdem sind neurotechnologische und genetische Veränderungen des Menschen nicht beschränkt auf die Heilung von Krankheiten. Was noch? Optimierung? Lifestyle?
Die Fähigkeit, sich zu verbessern, übt einen großen Reiz auf uns Menschen aus. Wir nutzen Fitnesstracker zur Selbstoptimierung und -kontrolle und überlassen Konzernen Daten über unsere Herzfrequenz, unsere Aktivitäten und Schlafgewohnheiten. Neurotechnik geht noch viel weiter. Wieviel Macht hat die Wirtschaft darüber?
Die Wirtschaft, die Ökonomie - das ist unsere Ökologie. Wir sind ökologische Tiere. Wir haben Interaktion mit unserer Umwelt und die sollten wir nutzen. Es ist wichtig, dass wir uns vernetzen, dass wir neue ethische Perspektiven entwickeln - und das auf Weltebene. Als Wissenschaftler nutzen wir Daten aus Gehirnen, Massendaten (Big Data). Aber das ist nicht unproblematisch: Wer hat Zugang zu den Daten? Wie kann man die Daten schützen? Im US-Kongress wurde vor zehn Jahren der "Genetic Information Nondiscrimination Act" (GINA) verabschiedet, ein Verbot von genetischer Diskriminierung beispielsweise im Beruf oder bei der Krankenversicherung. Heute brauchen wir NINA: ein Verbot neurologischer Diskriminierung.
Die "Gen-Schere" CRISPR, also das neue Verfahren, mit dem Erbgut verändert werden kann, gibt's auch als Do-it-yourself-Set für Home-Forscher zu kaufen. Welche Rolle spielt der Konsument?