Wo Kinder gequält werden
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Donnerstag, 10. Oktober 2019
Anke Ballmann klagt in ihrem Buch "Seelenprügel - was Kindern in Kitas wirklich passiert" die schwarzen Schafe unter den Erziehern an.
13 Millionen Kinder in Deutschland werden in ihren ersten Lebensjahren psychisch misshandelt - und zwar in der Kita. Das jedenfalls behauptet die Münchner Pädagogin Anke Ballmann. "Seelenprügel" heißt ihr aktuell erschienenes Buch, das bundesweit hohe Wellen schlägt. Der provokante Untertitel "Was Kindern in Kita wirklich passiert" hat nicht nur bundesweit Presse, Funk und Fernsehen neugierig gemacht, die Reaktionen von Eltern, Pädagogen und Erziehungswissenschaftlern zeigen deutlich, dass die 50-Jährige ein Tabuthema aufgebrochen hat.
Kein unbeschriebenes Blatt
In Coburg saßen 2017 zwei ehemalige Mitarbeiterinnen einer Kindertagesstätte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und vorsätzlicher Körperverletzung auf der Anklagebank. In den sozialen Medien wurde heiß darüber diskutiert und Fälle von psychischer Gewalt aus anderen Einrichtungen der Region geschildert.
Wer das Buch von Anke Ballmann liest, erfährt, dass Kinder bundesweit gequält werden. "Da werden Kinder angeschrien und in allen Varianten beschämt, sie werden zum Essen gezwungen, müssen zur Strafe in dunklen Zimmern sitzen und kriegen gesagt, was sie alles nicht können", sagt die Erzieherin, die sich seit über 25 Jahren für kindgerechtes Lernen und eine gewaltfreie Pädagogik einsetzt. In mehr als 500 Kitas, vorwiegend in Bayern, hat sie Prüfungen abgenommen oder Entwicklungsprozesse begleitet. Sie hatte mit Hunderten von Erzieherinnen persönlichen Kontakt.
2007 gründete sie das Institut "Lernmeer" für die Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte. Aufrüttelnde Vorträge zu ihren Kernthemen brachten der langjährigen Bildungsreferentin in der Wirtschaft den Ruf einer innovativen Bildungsexpertin ein.
Tatsächlich rangiert "Seelenprügel" auf Platz 1 der Amazon-Buchliste in der Rubrik Bildung. Es sind die eindringlichen Fallbeispiele, die beim Lesen erschrecken: "Wenn Kinder von Erzieherinnen am Stuhl festgebunden oder am Arm herumgezerrt werden, dann ist die Gewalt offensichtlich. Es ist aber auch erniedrigend, wenn ein Kind sich vor seiner Gruppe umziehen muss, weil es in die Hose gemacht hat." Anke Ballmann geht es, wie sie im Gespräch sagt, um die schwarzen Schafe unter den Pädagogen. Natürlich sei nicht die Erzieherin als solche im Fokus. "Es gibt in der überwiegenden Mehrheit gutes und engagiertes Personal. Aber es müssen eben alle auch hinschauen und gucken, wo etwas falsch läuft", sagt sie gegenüber dem Tageblatt.
"Auf den Ton kommt es an - ganz besonders in der Kommunikation mit Kleinkindern. Wenn Worte wie Pfeile verschossen werden, brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn sie verletzen." Sich nicht wegducken , sondern in solchen Fällen auch einmischen, das fordert Anke Ballmann von einem Team.
Ihr Buch entwickelt sich von der Anklageschrift zum Leitfaden für Kitas. Wie Erziehung ohne Seelenprügel gelingen kann, formuliert sie in einem Zehn-Punkte-Plan. Liebe und Achtsamkeit sind dabei die zentralen Tugenden. Übrigens referierte Anke Ballmann auf Einladung der Stadt bereits zwei mal vor hiesigen Pädagogen über Entwicklungspsychologie.