"Wiener Blut" in Coburg: eindringlicher Reigen amouröser Verwicklungen
Autor: Jochen Berger
Coburg, Sonntag, 28. November 2021
Wie die letzte Strauß-Operette"Wiener Blut" mitten in der Corona-Krise als Neuinszenierung auf die Bühne des Landestheaters Coburg kommt.
Kann Musik Sorgen vertreiben, Ängste besiegen? Können magische Melodien im Walzertakt die beklemmende Wirklichkeit in Schach halten - wenn auch nur für einen kurzen Abend?
Nichts ist normal in diesen vermaledeiten Corona-Zeiten, auch nicht an diesem Premieren-Abend im Landestheater Coburg, der mit rund einem Jahr Verspätung der Strauß-Operette "Wiener Blut" gewidmet war. Denn eine Frage schwebte durch den Raum - leise, aber dennoch nicht zu überhören: Ist dieser Theaterabend vielleicht auf längere Zeit wieder der letzte Abend, an dem das Landestheater seinem Publikum eine veritable Live-Premiere präsentieren darf?
Bemerkenswerte Ausdruckskraft
Wie aber klingen die Melodien des Walzerkönigs in den Ohren des Publikums in diesen seltsamen Zeiten, in denen Inzidenzwerte, Hygieneregeln und Einlasskontrollen viel wichtiger sind als irgendwelche amourösen Verwicklungen in einer typischen Operetten-Handlung mit unvermeidlichem Happy End? Ist das vermeintlich nur unterhaltsame Genre gerade jetzt überhaupt noch erträglich oder lediglich Ausdruck einer besonderen Art von Weltflucht?
Seltsamerweise aber geriet dieser Premieren-Abend im Zeichen der drastisch verschärften Corona-Krise auch in Coburg eben nicht zur wohlfeilen Weltflucht. Vielmehr gewannen die Strauß-Melodien vor diesem Hintergrund bei aller Eleganz eine bemerkenswerte Ausdruckskraft. Diese blanke Ausdruckskraft der Musik verwandelte die durchaus klischeehaften Verwicklungen des Librettos von Victor Léon und Leo Stein in eine Geschichte, die die Zuschauer berühren kann.
Don Juan aus der Provinz
Das gelang auf einfühlsame Weise, weil Gastregisseurin Jasmin Zamani die auf seltsamen Wegen entstandene letzte Operette des Walzerkönigs mit ihren Figuren ernst nimmt und sich nicht darauf beschränkte, Musizieranlässe szenisch irgendwie zu motivieren. Die Geschichte um den vermeintlich allzu biederen Gesandten eines Provinz-Fürstentums, der in Wien plötzlich zum Don Juan mutiert - diese Geschichte steckt natürlich voller Klischees und kann nicht annähernd mit einem Meisterwerk wie der "Fledermaus" mithalten.
Dennoch bieten sich mancherlei Ansatzpunkte, in den amourösen Verwicklungen rund um den Grafen Zedlau (Peter Aisher), seine Ehefrau Gabriele (Francesca Paratore), die Demoiselle Cagliari (Sophie-Magdalena Reuter), den Kammerdiener Josef (Andreas Sauerzapf) und die Probiermamsell Pepi (Dimitri Kotidou) durchaus aktuell anmutende Aspekte über das Verhältnis der Geschlechter zueinander zu entdecken.
Fassung für Kammerorchester
Das gelang auch deshalb, weil das Ensemble unter den prekären Rahmenbedingungen mitreißende Spielfreude demonstrierte und stimmlich viele Glanzlichter setzte.