Druckartikel: Wie Ernst Fleischmann Bahn-Geschichte mitgeschrieben hat

Wie Ernst Fleischmann Bahn-Geschichte mitgeschrieben hat


Autor: Berthold Köhler

Neustadt bei Coburg, Samstag, 08. Oktober 2016

Vor 25 Jahren wurde der Bahnverkehr zwischen Neustadt und Sonneberg wieder aufgenommen. Ernst Fleischmann war der Mann, der den ersten Zug gefahren hat.
"Vielleicht vermache ich sie irgendwann einmal der Stadt": Ernst Fleischmann und seine Erinnerungsstücke von der Eröffnungsfahrt.


Diese Chance konnte sich Ernst Fleischmann natürlich nicht entgehen lassen. Nach fast vier Jahrzehnten in den Führerständen saß der Wildenheider inzwischen in der Lichtenfelser Betriebszentrale, als im Herbst 1991 der Zugführer für die Eröffnungsfahrt der Bahnstrecke zwischen Neustadt und Sonneberg gesucht wurde. "Das will ich machen!", sagte Fleischmann - und sein Vorgesetzter überließ ihm die Fahrt. "Die größte Fahrt meines Lebens", sagt Fleischmann heute noch.


Werkstattfahrt über die ehemalige Grenze hinweg

Wobei das Wildenheider Bahn-Urgestein nach ein bisschen Überlegen gar nicht einmal mehr so sicher ist, ob die offizielle Fahrt am 28. September wirklich an erster Stelle seiner Erinnerungen stehen soll. Denn neun Tage vorher stand der heute 78-Jährige auch bei der ersten Werkstattfahrt über die ehemalige Grenze hinweg im Führerstand.



Ein Klassiker der Bahngeschichte


An die erinnert sich Fleischmann noch genau. Das fängt schon mit der im Einsatz befindlichen Nostalgielokomotive Typ 144-119 an - ein Klassiker der Bahngeschichte, der inzwischen restauriert im Nürnberger Verkehrsmuseum steht. Die war perfekt für die langsame Werkstattfahrt, bei der wichtige Messungen an der Stromversorgung stattfanden. "Zuschauer", erinnert sich Ernst Fleischmann, "hatten wir da kaum".


Am 28. September war das ganz anders. "Absoluter Wahnsinn, was da los war", erzählt der gelernte Maschinenschlosser, der seine Zulassung als Zugführer schneller in der Tasche hatte als seinen Gesellenbrief. Die Menschenmassen standen entlang der Strecke zwischen Neustadt und Sonneberg, Ernst Fleischmann freute sich wie ein Schneekönig, vorne aus dem Zugführer-Fenster den Menschen zuwinken zu dürfen.


Was dann kurz vor Sonneberg geschah, darüber lachen Ernst Fleischmann und Ehefrau Inge heute noch herzhaft, wenn sie am Frühstückstisch sitzen. Denn schon 1991 musste bei jeder Lokomotive, und war sie auch nur mit 13 Kilometern pro Stunde auf Premierenfahrt zwischen Neustadt und Sonneberg unterwegs, regelmäßig die "Wachsamkeitstaste" gedrückt werden.

Die ist dafür da, dass Züge - zum Beispiel, weil der Lokomotivführer eingeschlafen ist - nicht unkontrolliert auf den Gleisen unterwegs sind. "Ich hab die Taste vor lauter Winken total vergessen", erzählt der 78-Jährige lachend. Die Folge war eine Schnellbremsung des mit allerlei Prominenten besetzten Zuges. Sie ging glimpflich aus - "aber meine Cheffen hinten haben ganz schön mit den Armen gefuchtelt", weiß es Fleischmann noch ganz genau.


Für zwei Mark war man dabei

Nach der Rückkehr aus Sonneberg hatte Ernst Fleischmann gar nicht viel Zeit, um groß mit den anderen Ehrengästen der Sonderfahrt zu fahren. Er musste die "Eröffnungslok" - ob es nun eine "51er" aus dem Güterverkehr oder eine "111er" aus dem Personenverkehr war, ist beim Lokomotivführer nicht einmal mehr hängen geblieben - möglichst schnell wieder nach Coburg bringen. Immerhin: Zeit, um sich allerlei interessante Erinnerungsstücke zu sichern, hatte Ernst Fleischmann.

Bei der großen Tafel von der Zugspitze fragte der Lokomotivführer lieber gar nicht erst groß nach, er schnappte sie sich einfach. Seltenheitswert hat auch der Sonderdruck mit einem Grußwort der Bahn-Verantwortlichen sowie verschiedenen Fahrkarten. Zwei Mark mussten Erwachsene für die Premierenfahrt nach Sonneberg bezahlen, Kinder eine Mark.


Die Fahrt nach Sonneberg war die Krönung einer Bahn-Laufbahn, die 1952 in der Schlosserei des Coburger Bahnhofes begann. Ernst Fleischmann hat danach den rasanten technischen Fortschritt bei der Bahn hautnah miterlebt - als Lok-Putzer, Kohlelader, Heizer (ja, noch auf echten Dampflokomotiven) und Lokomotivführer. Daran geglaubt, dass die alten Bahngleise nur wenige hundert Meter hinter seinem Haus in Wildenheid irgendwann einmal wieder vom Bewuchs befreit und reaktiviert werden, hätte Fleischmann "nie im Leben". Nach der Wende, da geht es dem ehemaligen Betriebsinspektor wie vielen Neustadtern, überschlugen sich die Ereignisse derart, dass detaillierte Erinnerungen kaum hängen geblieben sind.
Dass es mit der Reaktivierung der Bahnstrecke ratzfatz gehen würde, sagt Ernst Fleischmann, sei aber schon kurz nach der Grenzöffnung 1989 "ziemlich schnell" klar gewesen.