Druckartikel: Wie ein US-Kriegsheld im Coburger Land gelandet ist

Wie ein US-Kriegsheld im Coburger Land gelandet ist


Autor: Bettina Knauth

Heilgersdorf, Montag, 11. Mai 2020

Er war mit 15 Jahren Kriegsgefangener, mit 35 Kriegsheld: Walter Schramm aus Heilgersdorf bei Seßlach hat eine spannende Lebensgeschichte zu erzählen.
Walter Schramm aus Heilgersdorf hat in seinen 90 Lebensjahren jede Menge erlebt.


Der Hinweis auf den Jubilar kam aus Florida: "Walter Schramm, ein Freund von uns, wird am 10. Mai 90 Jahre alt", schrieben Heidrun Tommasi und Sam Hamontree ans Coburger Tageblatt. Der Überblick über Schramms Vita, den sie anfügten, machte neugierig: Mit 15 Jahren sei der Deutsche in russische Gefangenschaft geraten und habe später in Bamberg beim amerikanischen Militär Arbeit gefunden. Durch Hilfe eines Offiziers kam er 1953 in die USA, wo er es zum Hubschrauberpiloten brachte. Zwei Einsätze in Vietnam brachten ihm hohe Auszeichnungen ein.

So fing alles an

"Ja, das stimmt alles", bestätigte Schramm auf Nachfrage am vergangenen Donnerstag. Seine Lebensgeschichte, die der rüstige Kriegsveteran dann in einem über 90 Minuten dauernden persönlichen Gespräch schildert, würde für zwei Leben reichen. Geboren 1930 im sächsischen Bautzen erlebte Schramm als 14-Jähriger 1945 die Folgen der Bombardierung von Dresden hautnah mit. "Ein Schock", so Schramm. Von der Schule aus zum Katastrophendienst verdonnert, erleidet der junge Mann eine Rauchgasvergiftung. Nach Ende der Belagerung seiner Heimatstadt durch die Russen wurde er mit vielen Gleichaltrigen in den Volkssturm integriert. "Mit 14 hat man uns in Kasernen gesteckt, an Infanteriewaffen ausgebildet und uns gezeigt, wie wir auf Panzer schießen sollen", schildert er und fügt hinzu: "Das kann sich die Jugend von heute gar nicht vorstellen." Die Gräuel, die er selbst an Kindern erlebte, sollten noch eine Steigerung erleben, als er am 19. April 1945 in russische Gefangenschaft geriet, ins schlesische Sagan marschieren musste und im dortigen Lager interniert wurde. Noch heute hat er die Schreie der dort von ehemaligen KZ-Häftlingen drangsalierten Offiziere im Ohr. "Ich wundere mich manchmal, dass all das Erlebte keine bleibenden Schäden bei mir hinterlassen hat", so Schramm rückblickend.

Jetzt geht es in die USA

Ein Grund liegt wohl darin, dass er als unter 16-Jähriger nach einem halben Jahr entlassen wird. Weil er von den Russen - wegen der erlebten Grausamkeiten - nichts mehr wissen will, kommt der Jugendliche im Herbst 1945 zu einer befreundeten Familie nach Bamberg. Sein Vater war bereits 1941 gefallen, seine Mutter verschollen. Erst 1947 sollte er sie in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) wiedertreffen. Die Tochter seiner Gastfamilie verschaffte Schramm eine Stelle als Küchenhelfer bei der amerikanischen Armee. Doch der junge Mann wollte mehr: Er lernte Jeep fahren und stieg über den Fuhrpark erst zum Hilfsarbeiter, dann zum Dolmetscher und technischen Angestellten auf. Einem US-Major, mit dem er sich anfreundete, verriet Schramm seinen Traumberuf: Pilot. "Die wird es in Deutschland nicht mehr geben" gab ihm dieser zur Antwort.

Es geht in den Korea-Krieg

Doch der Amerikaner und seine Frau hatten Gefallen an dem jungen Deutschen gefunden, sponserten ihm nicht nur die Reise in die USA, sondern vermittelten ihn auch an eine "Ersatzfamilie" in Wisconsin. Dort im Herbst 1953 eingetroffen, galt Schramm nach einem halben Jahr als eingebürgert. Der Nachteil: Er wurde zum Korea-Krieg eingezogen. "Ich hätte mich weigern können, da ich ja kein Staatsbürger war, fand es aber wegen meiner Privilegien nur fair auch die Pflichten zu erfüllen", sagt er. Nach seiner Pionier-Grundausbildung, fünf Monaten Einsatz in Korea und Stationierung in Japan hatte Schramm seinen Wehrdienst vollendet. Dann verhalf ihm sein Sponsor zur ersehnten Pilotenausbildung (18 Monate). Das nötige Geld steckte die Familie dem Ziehsohn, den sie stets "Junior" nannten, vor. Später zahlte er alles zurück. Über eine Division in Kentucky bekam der mittlerweile 30-Jährige 1960 einen Marschbefehl nach Deutschland. Bis 1964 war er beim dortigen Heeresfliegerbataillon stationiert, bevor er in Alabama lernte Hubschrauber instand zu setzen.

Der nächste Krieg: Vietnam

1965 brach der Vietnamkrieg aus. "Ich war einer der ersten, der mit seiner Division dorthin versetzt wurde", berichtet Schramm. Als er ein Jahr später zurückkehrt, hat er 1300 Flugstunden absolviert. Darunter spektakuläre Einsätze zur Versorgung der Truppen im Dschungel und Rettung von Kameraden inklusive Schwerstverletzten nach der blutigen Schlacht im Ia-Drang-Tal. Sieben Mal begab sich der Pilot mitten ins Kampfgetümmel. In dem Buch "We Were Soldiers Once...And Young" von Generalleutnant a. D. Harold G. Moore und Kriegsberichterstatter Joseph L. Galloway über diese erste große Schlacht ist Schramm namentlich erwähnt. 2002 wurde das Geschehen von Regisseur Randall Wallace mit Mel Gibson in "Wir waren Helden" verfilmt. "Bis auf den Schluss hat sich alles genau so abgespielt", beteuert Schramm. Sein selbstloser Einsatz brachte ihm den "Silver Star Orden" ein, die dritthöchste Auszeichnung der US-Armee für Tapferkeit. Auch für die "Medal of Honor" ist der Stabshauptmann a.D. noch immer vorgeschlagen. Wie 2006, als der damals 75-Jährige den Silver Star in Hanau erhielt, betont er, dass er die Ehrung mit Stolz und stellvertretend für seine gesamte Crew annahm. Diese sei den Entscheidungen der Piloten ja ausgeliefert gewesen, "und wir waren dauernd im Kampf mit den Nordvietnamesen!" Zuvor hatte Schramm bereits das Flieger-Ehrenkreuz und den Fliegerorden mit 13-fachem Ehrenlaub erhalten, letztere für seine Evakuierung von 20 Kameraden aus den Bon Son Bergen, bei seinem zweiten Vietnam-Einsatz 1968. Menschen, die gemeinsam dem Tod ins Auge geblickt haben, verbinde etwas ganz Besonderes, sagte Schramm in seiner Dankesrede. 1997 wurde ihm die Auszeichnung "Iron Soldier" verliehen.

Nächste Heimat: Hanau

Zwischen seinen Vietnam-Einsätzen und danach war der Pilot in Hanau stationiert, zuletzt bis 1974 bei der 3. US-Panzerdivision in Erlensee. Schramm: "Der Polizeipräsident forderte mich extra an, weil er jemanden wollte, der sich mit der Sprache und den Gebräuchen der Deutschen auskannte." 1974 ging er nach 20 Jahren Militärdienst in Pension, weil eine dritte Tour nach Vietnam drohte. "Ich wollte das Schicksal nicht zu oft herausfordern", begründet er. Immerhin war der Heli-Pilot einmal abgeschossen und einmal zur Notlandung gezwungen worden. In Zivil flog Schramm noch 20 Jahre weiter, als Chefpilot und Flugbetriebsleiter für eine Firma in Bad Homburg. Eine Tätigkeit, die ihn bis nach Kenia, Nigeria und Ägypten führte. 1974 war es auch, als ihn ein Freund aus Bamberger Tagen mit zur Heilgersdorfer Kirchweih nahm. Dort lernte der Stabshauptmann a.D. seine Frau Ingrid kennen. Nach der Hochzeit lebte das Paar in Hanau. Ingrid Schramm unterrichtete fortan Schüler in Frankfurt. Gemeinsame Kinder hat das Paar keine, Schramms drei Töchter aus erster Ehe leben in den USA. 1995 zog das Paar nach Heilgersdorf. Kurz zuvor hatte der 75-Jährige die Fliegerei aus Alters- und Gesundheitsgründen aufgeben müssen. Schweren Herzens, nach 16.000 Stunden am Steuerknüppel. "Ich sehe mich immer noch nach da oben", gesteht er noch 15 Jahre später.

Seine Erlebnisse schildert der nun 90-Jährige lückenlos.

Mit 90 noch richtig fit

Geistig hält sich der ehemalige Pilot u.a. als Mitglieder der Coburger Freimaurer-Loge fit, körperlich durch (Berg-)Wandern und Golfspielen im Golfclub Schloss Tambach. Bewegung an der frischen Luft schätzen Ingrid und Walter Schramm sehr. Auch Reisen unternimmt das Paar gern. In Florida, wo sein früherer Kamerad Sam Hamontree lebt, lernten Schramms auf dem Golfplatz die gebürtige Würzburgerin Heidrun Tommasi kennen. Zusammen wollten alle vier ursprünglich seinen 90. auf Hawaii feiern, bis die Corona-Krise diese Pläne ebenso durchkreuzte wie die kleinere Lösung den Tag in Weimar zu verbringen oder die geplante Feier. Doch der Jubilar hat in seinem langen Leben gelernt, sich immer wieder auf neue Gegebenheiten einzustellen. "Dann verschiebe ich die Feier eben auf den nächsten Runden!", sagt er augenzwinkernd. "Ziemlich glücklich" sei sein Leben verlaufen, meint der 90-Jährige rückblickend. Die Umstände, Freunde oder Bekannte hätten ihm immer wieder neue Türen geöffnet. Und plagt ihn auch manches "Zwickerle", so zeigt sich Schramm zufrieden. Sein einziger Wunsch: "Gesund zu bleiben!"