Wenn Stoiber kommt und der Strom verschwindet
Autor: Oliver Schmidt
Coburg, Sonntag, 04. Oktober 2015
Bei der gemeinsamen Einheitsfeier der Kreise Coburg, Sonneberg, Hildburghausen, Haßberge und der Stadt Coburg dankt Edmund Stoiber den mutigen Bürgern in der ehemaligen DDR und fordert für Helmut Kohl den Friedensnobelpreis. Vor und nach der Festrede feiern tausende Menschen in der ganzen Stadt.
Plötzlich war der Strom weg. Zehn Minuten vor der Rede von Edmund Stoiber kam aus den großen Lautsprecherboxen im Festzelt in Sonneberg kein Mucks mehr. Was nun? Moderator Torsten Donau sagte augenzwinkernd zum Publikum: "Also wir haben in Sonneberg Strom - nicht, dass Sie sich jetzt falsche Vorstellungen machen!" Andererseits: Gibt es 25 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer falsche Vorstellungen beziehungsweise Vorurteile? Von wegen, "die im Osten" leben rückständig (etwa ohne Strom), und "die im Westen" wissen alles besser.
Sehr wohltuend waren die Reaktionen beim Stromausfall am Samstag: Niemand im proppenvollen Zelt murrte, noch nicht mal irgendein "Wessi". Und dank des Improvisationstalents, das den "Ossis" seit jeher - anerkennend! - nachgesagt wird, war schnell eine Ersatzleitung gelegt. Die Boxen hatten wieder "Saft" und Stoiber konnte zum bayerischen Defiliermarsch, gespielt von der Stadtkapelle Neustadt, einmarschieren.
Gänsehaut und volles Herz
Die Sonneberger Landrätin Christine Zitzmann (CDU) sprach emotionale Eröffnungsworte: "Das ist unser Tag", betonte sie und fügte freudestrahlend an: "Ich habe Gänsehaut, mein Herz ist voll." Später stellte sie noch zufrieden fest: "Wir sind zusammengewachsen, weil wir schon immer zusammengehört haben. Wir sind eine Region!" Und diese Einigkeit zeige sich ja letztlich auch in der gemeinsamen Feier des Tags der Deutschen Einheit.Edmund Stoiber (CSU) erzählte, dass er speziell mit dem Raum Coburg/Sonneberg sehr viele Erinnerungen an den Mauerfall und die Deutsche Einheit habe. Am 12. November 1989 war's, als der Grenzübergang Gebrannte Brücke geöffnet wurde - und Stoiber, damals bayerischer Innenminister, kam spontan vorbei und feierte mit. "Die Stimmung war euphorisch und ergreifend - das werde ich nie vergessen", bekannte Stoiber.
Stoiber zog, was das Gelingen des Vereinigungsprozesses betrifft, eine positive Bilanz. "Ich kenne Leipzig, Dresden oder auch Erfurt noch aus den 1970er und 1980er Jahren. Und wenn ich mir diese Städte heute anschaue, geht mir das Herz auf!"
Stoiber skizzierte zwar auch die Verdienste vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), für die er den Friedensnobelpreis bekommen sollte. Er stellte aber ebenso fest: "Viele Menschen haben Anteil an der Überwindung der deutschen Teilung. Der tiefe Dank gilt der Bürgerrechtsbewegung und den Menschen in der DDR." Stoibers Rede wurde immer wieder von spontanem und zum Teil gar frenetischem Beifall unterbrochen. Etwa auch, als er sagte: "Die DDR war ein Unrechtsstaat - ja was denn sonst?"
Zwischen Hoffen und Bangen
Ebenso wurde Stoiber bejubelt, als er thematisch eine Brücke zur aktuellen Flüchtlingspolitik schlug. Er erinnerte an die "dramatische Stimmung zwischen Hoffen und Bangen!", die in den Wendemonaten geherrscht habe. "Das könnte uns ermutigen, die Herausforderungen von heute mit Zuversicht anzupacken." Er sehe in der Integration der vielen Flüchtlinge aber sogar eine noch größere Herausforderung als 1989.
Stimmen zur Einheit - ein Genuss!
Die Menschen in Südthüringen und Nordwest-Oberfranken haben allerhand Gemeinsamkeiten. Außer dem Dialekt und wirtschaftlich der Liebe zur Spielzeugindustrie steht natürlich vor allem die Bratwurst als verbindendes Element. "Die Sonneberger sind selbstverständlich die Besten", sagt Werner Heymann im Brustton der Überzeugung; bei der Einheitsfeier am Samstag stand er am Rost des Kleintierzuchtvereins Judenbach. Werner Heymann gibt aber zu: "Die Coburger Bratwürste sind schon auch gut. Aber sie sind eben nicht so stark und saftig wie die Sonneberger. Und nicht so fettig." Die Menschen in Coburg, so seine These, wollen schlanker bleiben. Sagt's, streicht sich schmunzelnd über seinen Bier- beziehungsweise Bratwurstbauch und brutzelt zufrieden weiter.So manchen guten Tropfen gab es am Stand des Tourismusverbands Haßberge zu probieren. Marianne Tetzel vom Weingut Rudi Russ aus Sand am Main zeigte sich aber nicht nur glücklich über die gute Resonanz am Samstag, sondern auch allgemein über die Wiedervereinigung: "Ich bin ein Einheits-Fan! Es ist toll, dass wir wieder ein Deutschland sind. Das Zusammenwachsen hat gut geklappt, es gibt keine Animositäten mehr."
Im Kleinen kann das Kerstin Rentsch aus Kleintettau nur bestätigen Sie hatte zusammen mit ihrer Freundin aus Sonneberg die Idee für einen "Wiedervereinigungsstand": Die beiden koch- und backbegeisterten Frauen bieten Spezialitäten aus Ost und West an. "Wenn es im Großen so gut funktionieren würde wie bei uns, dann gäbe es keine Probleme mehr", sagt Kerstin Rentsch.
Rund um die Einheitsfeier
Neustadt wandert Auf eine riesige Resonanz stieß heuer die Aktion "Neustadt bewegt sich - Neustadt wandert", zum fünften Mal ausgerichtet von der Sektion Neustadt des Alpenvereins. Mehrere hundert Menschen schnürten ihre Wanderschuhe und liefen von der bayerischen Puppenstadt in die deutsche Spielzeugstadt und feierten dort gemeinsam mit vielen Freunden das 25. Jubiläum der Wiedervereinigung. Coburg tanzt Samba Rolf Beyersdorf von Sambaco war mit zwei Trommlern und drei Tänzerinnen in Sonneberg, um Werbung fürs Coburger Samba-Festival zu machen. Am frühen Nachmittag hatten sie die Idee zu einem kleinen Samba-Umzug über die Festmeile. Kurz vor dem Festzelt wurde für sie sogar von Mitgliedern eines Schützenvereins Spalier gestanden - naja, um ehrlich zu sein: Das Spalier war für Edmund Stoiber gedacht, der sich auch prompt in diesem Moment aus der entgegengesetzten Richtung der Samba-Truppe näherte. Die Sicherheitskräfte gerieten kurz in Hektik, mussten aber nicht eingreifen. Alles blieb friedlich und feundlich.
Genussregion Außer der Festmeile gab es beim Einheitsfest auch eine "Genussmeile". Dort präsentierte sich die Genussregion Coburger Land.