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Wenn Sprache uns wüten lässt...


Autor: Dr. Carolin Herrmann

Coburg, Mittwoch, 30. November 2016

Das Landestheater Coburg lässt Elfriede Jelineks neues Stück auf seinen Wut-Gehalt hin theatralisch untersuchen.
Thorsten Köhler wurde wütend - bei der Probe zu Elfriede Jelineks neuem Stück "Wut", das am Samstag Premiere hat.  Fotos: Henning Rosenbusch


Elfriede Jelinek - da kriegen viele doch erstmal Angst? Radikale Sprache, radikale Stücke, harte Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Na und, sagte man sich am Landestheater Coburg, das verspricht auch Einsicht in die Zusammenhänge, theatralische Wucht, Überraschendes. Keinesfalls Langeweile, so viel weiß jeder über die angebliche Provokateurin Elfriede Jelinek. Ohnehin wird mittlerweile eher ihre hohe Sprachkunst wahrgenommen, ihre Fähigkeit zu zeigen, wie die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse vor allem durch Sprache gefügt und zementiert werden.
Als Nobelpreisträgerin (2004) blieb die österreichische Autorin bis heute umstritten, aber was sagt das schon. Im Frühjahr kam ihr neuestes "Stück" an den Münchner Kammerspielen auf die Bühne, "Wut" betitelt, Elfriede Jelineks Reaktion auf die Terroranschläge von Paris, und von Monat zu Monat, von Anschlag zu Anschlag brennender in seiner Brisanz. An die Nachrichten von immer weiteren Terroranschlägen haben wir uns furchtbarer Weise fast schon gewöhnt. Brauchen wir da nicht "Wut", um lebendig zu bleiben? Um nicht aufzugeben?
Das Landestheater hat sich den 1974 in Wien geborenen Regisseur Axel Sichrovsky geholt, um "Wut" in der Reithalle zu erzeugen. Premiere ist am Samstag. Des hohen emotionalen Gehaltes zum Trotz spricht Sichrovsy beim Tageblatt eher analytisch kühl über diese Produktion. Jelinek-Texte sind Theatervorlagen, die Interpretationsspielraum bieten, die Akzentsetzung verlangen. Es ist eben Jelineks Auseinandersetzung mit der Sprache als konstitutivem Element der Gesellschaft, das er in den Bewusstseins-Brennpunkt rücken will.


Die Maske der Sprache

Welche Sprache führt zu Gewalt und Unterdrückung? Welche Begriffe stellen Machtanspruch dar? "Elfriede Jelinek will der Sprache die Maske vom Gesicht reißen", erklärt Sichrovsky. Das hat sie im Hinblick auf die zutiefst patriarchalische abendländische Erzähltradition versucht und in ihrem Roman "Lust", ihrem meistverkauften, auf die Geschlechterbeziehungen bezogen. Jelinek und mit ihr Sichrovsky auf der Reithallen-Bühne wollen Bewusstsein für Sprachbilder schaffen, rhetorische Mittel sinnfällig und spürbar aufdecken.
In "Wut" geht es, ohne dass eine fortlaufende Geschichte erzählt wird, um Terrorismus und Islamismus, um die neue Rechte in Europa, um Religion im Allgemeinen und um Fanatismus. Manchmal wechselt Jelinek die Perspektive mitten im Satz, vom Terroristen zum Neonazi, und zeigt die Parallelen im Denken.
Was macht Sprache, was macht Wut, was macht der Jelinek-Text "Wut" mit dem Menschen, dem Individuum und der Gemeinschaft? Der Grundfrage lässt Axel Sichrovsky in seiner (deutlich gekürzten) Bühnenfassung das Ensemble in einer Art Labor nachgehen. Es wird verschiedene Versuchsanordnungen geben, Emotionen werden hervorgerufen, bei den Darstellern wie bei den Zuschauern, um sie dann nüchtern zu analysieren.


Da gibt es auch Poesie und Musik

Dass es dabei auch zu eher humorvollen Erkenntnissen kommen kann, ist nicht auszuschließen. "In dem assoziativen Material von Elfriede Jelinek steckt immer wieder auch Poesie", findet der Regisseur. Und viel Musik, für die Oliver Baesler sorgt.
Sichrovsky befürchtet, dass sich die Welt zunehmend spaltet in zwei Lager, das repressiv-autoritäre gegen das an liberalen Freiheitsidealen festhaltende. Wie sich Argumentations- und Verhaltensmuster ähneln in alten und neuen Ideologien, bei IS und Pegida, ist einer seiner Erklärungsziele. Auslöser für diese Spaltung ist für ihn die zunehmende Entgrenzung der Welt, dass sich die vermeintlich Sicherheit gebenden Grenzen, zwischen politischen Lagern, kulturellen Ausrichtungen, zwischen den Geschlechtern, verwischen. In der zunehmenden Verunsicherung greifen mehr und mehr Menschen nach vordergründigen Heilsversprechungen und simplen Erklärungen.
Was auch immer bei diesem Theaterversuch herauskommen mag - wenn Eva Marianne Berger, Sarah Zaharanski, Nils Liebscher, Thorsten Köhler und Oliver Baesler gemeinschaftlich wütend werden, ist das mutmaßlich sehenswert.

Elfriede Jelinek, geboren 1946, aufgewachsen in Wien, erhielt früh eine umfassende musikalische Ausbildung. 1960 begann sie am Wiener Konservatorium Klavier und Komposition zu studieren, anschließend, nach dem Abitur 1964, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Wien. Nach Abbruch des Studiums 1967 begann sie zu schreiben; sie zählt mittlerweile zu den bedeutendsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren. 2004 erhielt Elfriede Jelinek den Nobelpreis für Literatur.
Die Produktion Inszenierung Axel Sichrovsky, Bühnenbild und Kostüme Michael Greassner, Moritz Nitsche, Musik Oliver Baesler, Dramaturgie Carola von Gradulewski. Darsteller:
Eva Marianne Berger, Sarah Zaharanski, Nils Liebscher, Thorsten Köhler, Oliver Baesler

Premiere Samstag, 3. Dezember, 20 Uhr in der Reithalle

Der Regisseur Axel Sichrovsky wurde 1974 in Wien geboren. Er studierte unter anderem an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Seit 1999 wirkt er als Schauspieler, parallel dazu schon immer auch als Regisseur. Zeitgenössische Stücke stehen für ihn im Vordergrund. Engagiert war er an zahlreichen deutschen Theatern. Sichrovsky arbeitet auch für Kino und Fernsehen. In dem Fernsehfilm "Ich hab es nicht gewollt - Anatomie eines Mordfalls" (2002) von Norbert Kückelmann spielte er an der Seite von Franziska Walser die männliche Hauptrolle. Als Schauspieler tritt er gegenwärtig in Schwerin und Potsdam auf.