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Warum Alexander Merzyn sein Cello gegen den Taktstock getauscht hat


Autor: Jochen Berger

Coburg, Freitag, 04. Dezember 2015

Alexander Merzyn ist seit September neuer Erster Kapellmeister am Landestheater. Welche Musik der in Kiel geborene und in Hamburg aufgewachsene Künstler besonders schätzt und was ihn mit Coburg verbindet, verrät er im Gespräch.
Alexander Merzyn bei der Probenarbeit mit dem Philharmonischen Orchester Coburg. Am Samstag (20 Uhr) dirigiert er das Adventskonzert im Landestheater. Auf dem Programm: Tschaikowsky, Bruch und Dvorák. Foto: Jochen Berger


Reichlich Arbeit in diesen Wochen für Coburgs neuen Ersten Kapellmeister ALexander Merzyn. Kurz vor Weihnachten leitet der 32-Jährige seine erste Opernpremiere am Landestheater: Otto Nicolais "Die lustigen Weiber von Windsor". Zuvor aber dirigiert er an diesem Samstag ein Adventskonzert mit Musik von Tschaikowsky, Bruch und Dvorák.

Sie haben zunächst Cello studiert, anschließend in zwei renommierten Berliner Orchestern musiziert. Was hat den Ausschlag gegeben, zusätzlich ein Dirigierstudium zu absolvieren?
Alexander Merzyn: Dirigent werden wollte ich eigentlich schon als Jugendlicher. Ich komme aber nicht vom Klavier, sondern vom Cello. Deshalb habe ich zunächst Cello studiert, weil ich das Cello sehr liebe. Aber schon damals hatte ich im Hinterkopf, dass ich sehr gerne dirigieren würde.

Als ich dann im Orchester gespielt habe, hat sich dieser Wunsch eigentlich immer mehr verstärkt.

Was waren die ersten praktischen Schritt auf dem Weg ans Dirigentenpult?
Als ich in der Kammerphilharmonie Hamburg gespielt habe, bekam ich dort irgendwann die Gelegenheit, vertretungsweise eine Probe als Dirigent zu leiten. Das hat mir sofort Spaß gemacht, ich habe positive Erfahrungen gesammelt und auch positive Rückmeldungen erhalten. Später hat mich dann der Dirigent der Kammerphilharmonie gefragt, ob ich sein Nachfolger werden möchte. Auf diese Weise hatte ich schon ein eigenes Kammerorchester, bevor ich mein Dirigierstudium begonnen habe. Das war natürlich sehr schön. Nach einem Jahr Studium bin ich dann ins Dirigentenforum des Deutschen Musikrats aufgenommen worden.

Inwieweit helfen Ihre Erfahrungen als Orchestermusiker bei der Arbeit als Dirigent?
Das hilft sehr. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, meinen Beruf als Dirigent auszuüben, ohne diese Erfahrung gemacht zu haben.

Bleibt noch Zeit für das Cello?
Das ist eine sehr gute Frage. Im Moment viel zu wenig. Ich habe jetzt zwei Monate fast keinen Ton mehr gespielt - und das ist schlimm. Das möchte ich unbedingt wieder ändern. Ich habe eigentlich immer regelmäßig gespielt, weil man ja auch relativ schnell schlechter wird.

Kann das Publikum Sie vielleicht auch als Kammermusiker erleben?
Das könnte ich mir durchaus vorstellen.

Gibt es Konzerterlebnisse, die Sie als Musiker geprägt haben?
Ich bin in Hamburg aufgewachsen und war relativ oft in Konzerten des NDR-Sinfonieorchesters. Damals hat dort oft Günter Wand dirigiert. An ein Konzert kann ich mich ganz besonders erinnern - mit Schuberts "Unvollendeter" und der 9. Symphonie von Bruckner. Diese Bruckner-Sinfonie unter Günter Wand - das war für mich etwas ganz, ganz Besonderes.

Wo liegen Ihre stilistischen Schwerpunkte?
Im sinfonischen Bereich die deutsche Romantik mit Bruckner. Und bei den Opern ist es eigentlich die gleiche Epoche - Wagner, Strauss, aber auch die Italiener, Puccini liebe ich auch wahnsinnig.

Wie würden Sie die Musik Otto Nicolais in den "Lustigen Weibern von Windsor" beschreiben?
Nicolai changiert ein bisschen. Zum Teil ist es deutsche Spieloper - ein bisschen Lortzing ist da drin, auch Weber - manchmal schwappt es aber ein bisschen in Richtung Wagner, Wagner light könnte man sagen.

Wie liegen bei diesem Werk die Herausforderungen für den Dirigenten?
Nicolai ist nicht einfach. Das ist sehr gut komponiert, die Musik ist unglaublich spritzig und virtuos, gleichzeitig muss es sehr durchsichtig klingen. Daneben gibt es viele Stellen, die relativ massiv besetzt sind im Orchester. An den Stellen, wo auf der Bühne viel passiert, ist es besonders wichtig, dass es transparent bleibt. Schlank und virtuos - so muss es klingen. Man muss aufpassen, nicht in die Biedermeierfalle hinein zu tappen. Ich glaube, man unterschätzt dieses Stück sehr leicht. Das Orchester hat eine wichtige Funktion, das ist keine reine Begleitoper. Die Aufgabe für das Orchester ist letztlich dankbarer, als man zunächst denkt.

Wie sieht es generell aus mit Lieblingsstücken auf der Opernbühne?
"Tosca" von Puccini - die habe ich bereits als Orchester-Cellist in Baden-Baden gespielt, die habe ich aber auch schon im Knabenchor gesungen in Hamburg. Wenn ich diese Oper irgendwann mal als Dirigent machen dürfte, wäre das schon toll.

Welche dirigentischen Vorbilder haben Sie?
Ganz viele - auf unterschiedliche Art. Carlos Kleiber natürlich - den nennen irgendwie alle. Sehr viel gelernt habe ich von Marek Janowski in meiner Zeit beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, wo er Chefdirigent ist. Der probt wahnsinnig gut und unglaublich effektiv. Kirill Petrenko finde ich auch ganz toll - ihn zeichnet einiges aus, was ich wirklich vorbildlich finde. Er ist extrem gut vorbereitet, er brennt für die Musik und ist zugleich unprätentiös und bescheiden. Er ist jemand, der mit seiner Begeisterung die Musiker ansteckt.

Was zeichnet aus Ihrer Sicht einen guten Dirigenten aus?
Das Allerwichtigste ist, dass man eine sehr genaue Vorstellung von dem hat, was man hören möchte. Und man sollte natürlich mit Menschen umgehen können. Die Aufgabe des Dirigenten ist es auch, jedem einzelnen zu ermöglichen, das Beste aus sich herauszuholen. Sänger zu begleiten macht mir sehr viel Spaß. Und ich arbeite auch sehr gern mit jungen Menschen. Ich habe gerade eine Arbeitsphase mit dem Landesjugendorchester Schleswig-Holstein gehabt mit der Ersten Mahler, das ist natürlich auch eine tolle Ergänzung.

Sind Sie innerlich schon in Coburg angekommen?
Ja, das würde ich schon sagen. Mein Vater war ja auch hier am Theater in den 70er Jahren, er war zunächst ein Jahr Solorepetitor und dann zwei Jahre Chordirektor. Das war damals seine erste Stelle am Theater - genau wie bei mir. Später war er dann auch einige Jahre in Hof. Ich bin also fränkisch "vorbelastet".

Wo wohnen Sie jetzt?
Ein bisschen außerhalb - in Lautertal. Die Strecke ist eigentlich ganz schön. Wenn es nicht gerade in Strömen regnet, fahre ich mit dem Fahrrad, das tut mir total gut. Meine Zeit ist auch schon besser geworden - ich bin jetzt bei 18 Minuten statt bei 23 am Anfang.




Alexander Merzyn am Pult des Philharmonischen Orchester



Adventskonzert Samstag, 20 Uhr, Landestheater - Tschaikowsky, Bruch und Dvorak

Premieren-Tipp Nicolai "Die lustigen Weiber von Windsor", Samstag, 19. Dezember, Landestheater Coburg

Alexander Merzyn 1. Kapellmeister am Landestheater Coburg, ist künstlerischer Leiter der Kammerphilharmonie Hamburg seit 2008. Von 2011 bis 2013 war er außerdem Chefdirigent des Harvestehuder Sinfonieorchesters. In der Saison 2014/15 debütierte er mit dem Tonkünstlerorchester Niederösterreich im Wiener Musikverein sowie mit dem Orchester des Jungen Ensembles Berlin in der Berliner Philharmonie. Seit dem Gewinn des MDR-Dirigierwettbewerbes 2010 ist Merzyn international als Dirigent tätig. Merzyn ist Stipendiat der Charlotte-Krupp-Stiftung, der Hermann-Hildebrandt-Stiftung sowie der Neuen Liszt-Stiftung Weimar. 2010 folgte die Aufnahme in das Dirigentenforum des Deutschen Musikrates, seit 2014 ist er in der Künstlerliste "Maestros von Morgen" des Deutschen Musikrates. 1983 in Kiel geboren, studierte Merzyn Violoncello in Berlin bei Jens Peter Maintz. 2009 folgte ein Dirigierstudium in Weimar bei Nicolás Pasquet, Gunter Kahlert und Anthony Bramall.