Wahres Coburg für den Film
Autor: Simone Bastian
Coburg, Freitag, 12. Juni 2015
Gute Geschichten, die so nur in Coburg spielen können: Die suchten das Stadtmarketing und der Film-Fernseh-Fonds Bayern. Zwei Autoren haben nun eine Woche lang für ihre Drehbücher recherchiert.
Wo in Coburg könnte ein Pfarrhaus stehen, in dem ein schwuler Pfarrer mit seinem atheistischen Lebensgefährten und dessen drei pubertierenden Töchtern wohnt? Eine Frage, die zumindest Isabell Serauky aus Berlin und Michael Böhm beantworten müssen, der Stadtmarketing-Koordinator. Denn Isabell Serauky hat einen Preis im Coburger Drehbuchwettbewerb gewonnen und muss nun ihr "Treatment", also ihre Filmidee, weiter entwickeln zu einem Drehbuch für einen Serien-Pilotfilm. Deshalb braucht sie hier ein Pfarrhaus.
Tilman Braun dagegen braucht eine Metzgerei, eine urige Kneipe, einen Dönerladen und ansonsten, wie Isabell Serauky, sehr viel Coburger Ambiente: Marktplatz, Kirchen, der Biergarten am Theaterplatz ... Das alles sind Orte, die in den Geschichten der beiden vorkommen.
"Absoluter Luxus" sei das, finden beide. Denn normalerweise haben Drehbuchautoren kaum eine Möglichkeit, den Ort, wo ihre Geschichten spielen, so ausführlich kennenzulernen. Etwas, was man dem ersten Franken-Tatort angemerkt habe, merkt Tilman Braun an. "Der Drehbuchautor war Münchner." Aber in Coburg hat zusammen mit dem Film-Fernseh-Fonds (FFF) Bayern den Drehbuchwettbewerb ausgelobt, um die Stadt ins (Fernseh-)Bild zu setzen. Und damit auch wirklich ein Film rauskommt, sollte die fünfköpfige Jurye die rund 40 eingereichten Treatments vor allem auf ihre Produzierbarkeit hin abklopfen.
Außerdem sollten es Coburger Geschichten sein - Erzählungen, in denen die Stadt mehr abgibt als nur eine pittoreske Kulisse. Tilman Brauns "Bratwurst Klaus" ist Coburger - wobei die Grundidee, dass ein Handwerksmeister wegen Überarbeitung, Stress und besonderer äußerer Umstände in eine Krise kommt, auch in einer anderen Stadt in einem anderen Metier spielen könnte. Aber so ist es eben ein hochgeschätzter Bratwursthersteller, dessen Geschäft unter der Coburger Bratwurstkrise (Stichworte: Kiefernzapfen, verbranntes Fett, Benzoapyren) leidet, der der Geschäftstüchtigkeit des neuen Döner-Inhabers nebenan wenig entgegensetzen kann und der aufgrund von Stammtischgerede in jedem Türken einen Islamisten vermutet - bis es eben zur Krise kommt. "Ich wollte schon länger was mit fränkischer Wurst und Bier machen", sagt Braun, der in Naila und Bad Windsheim aufgewachsen ist und nach Stationen in Deutschland und Großbritannien in Neustadt an der Aisch lebt. Er hat auch schon selbst Regie geführt und arbeitet auch als Dozent für Drehbuch und Regie.
Isabell Serauky hatte angefangen, über Coburg zu recherchieren, nachdem sie von dem Drehbuchwettbewerb erfahren hatte. Aber eine Idee für eine Filmhandlung hatte sie noch nicht - bis sie eine Reportage über ein schwules Pfarrerspaar in Berlin im Fernsehen sah. Als "Dramedy" bezeichnet sie ihre Geschichte, die zwischen Screwball-Comedy und Melodram changiert. "Zwischen ,Mein Gott, Herr Pfarrer‘ und ,Ich heirate eine Familie‘" sei die Handlung angesiedelt, sagt sie. Es fehlen weder die patente Haushälterin mit dem Herz am rechten Fleck noch die kessen Gören mit dem flotten Mundwerk.
Facetten des Stadtgeschehens
Nun versuchen Braun und Serauky, dem Wesen der Coburger auf die Spur zu kommen. Dass die Coburger stolz sind auf ihre Geschichte als Residenzler, hätten sie schon festgestellt, erzählen beide. Auch, dass manche ihrer Einschätzungen gar nicht so falsch sind: Coburger Gemeindeglieder gehen entspannt mit der Tatsache um, dass es schwule Pfarrer gibt, und beim realen Sambafest spielen Bratwürste in Coburg inzwischen eher eine Nebenrolle - so, wie es Braun in seinem "Bratwurst-Klaus" widerfahren lässt.
Aber ansonsten ist die Bratwurst "hier echt ein Grundnahrungsmittel - das essen hier alle Schichten", hat Isabell Serauky mit einigem Staunen beobachtet. "Diese Identifikation mit der Bratwurst wie in Coburg hat man in Würzburg nicht", sagt auch Tilman Braun, der sich als "Mischfranke" bezeichnet. Der Coburger Identität auf die Spur kommen zu können, "pusht in der Recherche und in der Ausgestaltung", betont er. Selbstverständlich hat er auch die Gelegenheit genutzt, bei einem Metzgermeister zuzuschauen, wie der Bratwürste herstellt. "Der streichelt die regelrecht, wenn er sie in die Kiste legt."
Zum Besichtigungsprogramm gehörten selbstverständlich Veste, Ehrenburg und malerische Altstadtwinkel. Aber auch das Nachtleben im Steinweg stand am Freitagabend auf dem Programm und am Donnerstag die Hochschuldiskussion zum Thema "Wahrheitsfindung" am Beispiel Max Brose. Kleinstadtleben halt.
"Man merkt es, wenn die Autoren das Lebensgefühl eines Ortes rüberbringen, und das noch mit schönen Bildern unterlegt", sagt Michael Böhm. Ihm wäre es natürlich am liebsten, wenn am Ende alle drei Drehbücher, die nun für den Wettbewerb entstehen, verfilmt werden könnten. Schließlich geht es um Marketing - nicht nur bei den Fernsehzuschauern von Kiel bis Kempten, sondern auch bei denen daheim. "Auch die Coburger könnten bei so etwas entdecken, wie breit Coburg aufgestellt ist."
Hintergrund
Wettbewerb Zusammen mit dem Film-Fernseh-Fonds (FFF) Bayern hatte das Stadtmarketing den Drehbuchwettbewerb ausgeschrieben. Im ersten Schritt mussten eine Handlungsskizze und zwei Seiten fertig ausgearbeitetes Drehbuch für einen Film vorgelegt werden. Die Bewerber sollten zeigen, dass sie ihr Handwerk beherrschen.
Preisverleihung Drei Treatments wurden ausgewählt, deren Autoren eine Woche in Coburg verbringen können, um sich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen. Bis 15. September müssen die Drehbücher ausgearbeitet sein, dann wird über die Reihenfolge in den Platzierungen entschieden. Die drei Preisträger werden am 23. Oktober beim Hofer Filmfest prämiert.