Afghanistan: Szenen aus dem Vietnamkrieg wiederholen sich
Autor: Rainer Lutz
Ebersdorf, Mittwoch, 18. August 2021
William Nelson ist Veteran des Vietnamkrieges. Der Einsatz der westlichen Allianz in Afghanistan zeigt in seinem Scheitern für ihn deutliche Parallelen dazu.
William Nelson erinnert sich noch gut an seine Reaktion, als er 2001 hörte, dass die USA Truppen nach Afghanistan schicken werden. "Ich habe gesagt, oh mein Gott! Schon wieder." Als Veteran des Vietnamkrieges sah er Parallelen, rechnete fest damit, dass der Einsatz am Hindukusch für die Truppen der USA und ihre Verbündeten ähnlich enden werde, wie der Kampf in Vietnam: Mit einer Rückkehr zum Zustand vor dem Eingreifen in kurzer Zeit nach dem unvermeidlichen Abzug.
William Nelson lebt schon lange im Coburger Land. Aber er ist wie die Mehrheit der Amerikaner (nach Umfragen) überzeugt, dass die grundsätzliche Entscheidung, die US-Truppen abzuziehen, richtig war. "Nach 20 Jahren war es Zeit, dass die Soldaten heim kommen", sagt er. Obwohl er von Anfang an überzeugt war, dass nach einem Abzug der westlichen Allianz die Taliban wieder die Macht im Land ergreifen würden, sagt er: "Auch, wenn zu 100 Prozent klar war, dass es passieren würde, hätte niemand erwartet, dass es so schnell gehen könnte." Wenn US-Präsident Joe Biden jetzt betont, dass er trotz der aktuellen Ereignisse fest zu seiner Entscheidung stehe, die Truppen zurück in die Heimat zu holen, erinnert William Nelson daran, dass es nicht die alleinige Entscheidung des Präsidenten war - auch wenn die Kritik der Opposition und teilweise auch aus den eigenen Reihen der Demokraten vor allem ihn trifft.
Parallelen zum Vietnamkrieg
Soldaten und Militärbeobachter aller beteiligten Nationen hatten stets gewarnt, dass es kaum möglich sein werde, Afghanistan wieder in seine eigene Verantwortung zurück zu führen, ohne ausländische Militärpräsenz. Dass nach einem Abzug die Taliban wieder erstarken und früher oder später wieder die Macht übernehmen würden, galt als wahrscheinlichster Ausgang. Gleichzeitig ging kaum jemand davon aus, dass die Truppen für immer in dem Land bleiben können würden. Es schien also von Anfang an klar, dass es irgendwann einen Abzug geben würde - in welcher Form auch immer.
Was hätten die USA, was hätten die an der Allianz beteiligten Nationen also anders, besser machen können? "Diese Frage kann ich nicht beantworten. Denn, egal wann, wenn alle raus sind, dann wäre es immer genau so gekommen", sagt William Nelson. Und so wie er schon bei der Entscheidung zum Eingreifen die verhängnisvolle Parallele zum Vietnamkrieg gesehen hat, so sieht er sie jetzt, wenn er die Bilder und Nachrichten zum Chaos auf dem Flughafen von Kundus sieht. Er selbst war schon aus Vietnam zurück, als die Bilder von den letzten Stunden der US-Truppen dort um die Welt gingen.Bilder, die ihn "zu 100 Prozent" an die letzten Stunden des Abzugs aus Vietnam erinnern. "Es ist ganz das gleiche Bild, nur, dass diesmal mehr Nationen beteiligt sind."
Und es gibt noch eine bittere Parallele. "Wir hatten auch Vietnamesen, die für uns als Übersetzer oder in anderer Weise tätig waren. Es ist keine gute Erinnerung daran, was aus ihnen teilweise wurde, als die US-Truppen das Land verlassen hatten."
Gerade weil der Ausgang mehr oder weniger vorauszusehen war, ist William Nelson überzeugt: "Es war ein großer Fehler, da überhaupt rein zu gehen."
Eine Demokratie nach westlichem Vorbild war nie das Ziel
Joe Biden betonte in der Rede, mit der er die Entscheidung zum Abzug verteidigte, dass es nie das Ziel gewesen sei, Afghanistan in eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu führen. Der Militäreinsatz habe vielmehr der Jagd auf Terroristen gegolten. Das hatte der damalige Präsident George W. Bush so erklärt. Barack Obama hatte den Amerikanern im Wahlkampf versprochen, die Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Er konnte sein Versprechen nicht halten. Einer der wenigen Punkte, die im jüngsten US-Wahlkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden unstrittig waren, war der, dass die US-Truppen aus Afghanistan abziehen sollten. Joe Biden wird nun dafür kritisiert, dass ihm der von der Mehrheit gewünschte Abzug ins Chaos entglitten ist.