Landestheater Coburg lockt mit verzauberten Klängen und Bildern
Autor: Jochen Berger
Coburg, Sonntag, 17. Oktober 2021
Wie Gastregisseur Tibor Torell zwei Opern-Einakter von Maurice Ravel anspielungsreich und lebendig auf die Bühne des Landestheaters Coburg bringt.
Dieser Opernabend im Landestheater Coburg beginnt politisch höchst inkorrekt. Zumindest würde dieses Etikett heute dem 1911 uraufgeführten Einakter "Die spanische Stunde" von Maurice Ravel unweigerlich verpasst werden. Denn die Geschichte, die Ravel nach einem Libretto von Franc-Nohain in Musik gesetzt hat, erzählt von zielstrebig organisiertem Ehebruch, der in einem chaotischen Durcheinander zu enden droht. Im Zentrum: eine Frau, die freilich nicht Opfer, sondern selbstbewusst agierende Täterin ist.
Denn Concepcion, die Ehefrau eines vielbeschäftigten Uhrmachers in Toledo, bekämpft die Tristesse ihres Ehealltags durch einen straff organisierten Dienstplan für zwei Liebhaber, die freilich nichts voneinander wissen dürfen. Als dann allerdings - zunächst höchst ungelegen - ein dritter Seitensprungs-Kandidat im Uhrgeschäft ihres Ehemanns Torquemada auftaucht, gerät die Situation für eine turbulente "Spanische Stunde" außer Kontrolle - oder zumindest fast. Ein grotesker Balanceakt am Rande des Abgrunds — so bringt Gastregisseur Tibor Torell Maurice Ravels "Comédie musicale" auf die Bühne des Landestheaters.
Das Bühnenbild, das Ausstatterin Nicola Reichert entworfen hat, suggiert dem Publikum einen ironisch verfremdeten Blick in den Spiegel. Schließlich zitiert Reichert den Zuschauerraum in Gestalt der Proszeniumslogen des Landestheaters gleich in mehrfacher Kopie leicht verwandelt herbei — als Hintergrund für die in ironischer Brechung in Szene gesetzte Ehebruchs-Geschichte, aber auch für das Zaubermärchen im zweiten Teil.
Märchenhafte Abenteuer
Mit seiner ersten Opern-Einstudierung am Landestheater setzt Coburgs neuer Generalmusikdirektor Daniel Carter gleich ein programmatisches Zeichen und präsentiert zwei selten gespielte Werke an einem Abend. Schließlich zählt "Die spanische Stunde" auch heute noch ebenso zu den Repertoire-Raritäten wie der zweite Einakter von Maurice Ravel, der nach der Pause den Abend komplettiert - die "lyrische Fantasie" namens "Das Kind und der Zauberspuk" ("L'Enfant et les sortilèges"). Dieses Werk, 1925 am Grand Théatre in Monte Carlo uraufgeführt, erzählt von den märchenhaften Abenteuern eines Kindes, das im Zorn nach einem Streit mit seiner Mutter in seinem Zimmer wütet und dabei nicht nur Hefte zerreißt und Möbel demoliert, sondern auch Tiere malträtiert.
Die Konsequenz: tote Materie wie Hocker und Stuhl, Standuhr und Teekanne werden lebendig und bedrängen das unartige Kind ebenso wie die Tiere des Gartens. Der Bann wird erst gebrochen, als das Kind sich um eine verletzte Eule kümmert.
Regisseur Tibor Torell erzählt die Geschichte der selbstbewusst ihr Liebesleben organisierenden Ehefrau und die Geschichte des ungezogenen Kindes mit genauem Gespür für die Balance zwischen effektvollem Karikieren und einfühlsamer Personenführung.
Kurzfristige Umbesetzungen
Daniel Carter nutzt den doppelten Premieren-Abend zu einem klaren, unmissverständlichem künstlerischen Statement. Schließlich bietet ihm dieser Doppelabend die seltene Gelegenheit, praktisch das gesamte Solistenensemble des Musiktheaters in einer Vielzahl an (kleinen) Rollen auf der Bühne agieren zu lassen - zumindest in der Theorie. Denn in der Praxis muss gleich wegen mehrerer Krankheitsfälle jenseits von Corona kurzfristig umgesetzt werden. Der intensiven Spielfreude auf der Bühne, dem durchweg hohen sängerischen Niveau tut dies jedoch keinen Abbruch.