Urban Priol entlarvt in Coburg die jammernden Deutschen
Autor: Jochen Berger
Coburg, Freitag, 18. Oktober 2013
Den Dienst in der ZDF-Satiresendung "Neues aus der Anstalt" hat Urban Priol gemeinsam mit Frank Markus Barwasser quittiert. Als kabarettistischer Welterklärer hat er nichts von seiner analytischen Schärfe eingebüßt, wie ein Gastspiel im im ausverkauften Coburger Kongresshaus beweist.
"Jetzt". So lapidar hat Urban Priol sein neues Programm getauft. Jetzt - das klingt brandaktuell, unmittelbar am Puls der Zeit. Wer das Gastspiel des Kabarettisten im ausverkauften Coburger Kongresshaus besucht, braucht jedenfalls keine Angst zu haben, irgendeine wichtige Nachricht von der großen Politikbühne zu versäumen.
"Nein, wir haben noch keine neue Regierung", begrüßt Priol sein Publikum, platziert sein Tablet auf den einen Tisch, sein obligatorisches (alkoholfreies) Weißbier auf den Bistrotisch und legt dann los mit seiner schonungslosen Wahlanalyse. Mag Urban Priol gemeinsam mit Frank Markus Barwasser alias Erwin Pelzig auch seinen Dienst in der Satiresendung "Neues aus der Anstalt" quittiert haben - der Anstalt namens Deutschland bleibt er gleichwohl erhalten.
Unverbesserlicher Moralist
Wenn Priol, die Haare zum Proteststurm toupiert, über die politischen
Aber eigentlich ist das, was Urban Priol da sezierend auflistet, wirklich nicht zum Lachen - von der US-Finanzkrise bis zur zynischen Kaltschnäuzigkeit, mit der Europas Staaten die jüngsten Katastrophen mit Flüchtlingsbooten vor Lampedusa so lange folgenlos bereden, bis das Thema mal wieder ergebnislos zerredet ist. Zurück bleibt mit Blick auf die Grenzschutz-Agentur der EU-Staaten nur diese fast zynisch klingende Erkenntnis: "Frontex - schon der Name klingt wie ein Schädlingsbekämpfungsmittel."
Verbaler Seziertisch
Was sucht das Publikum, das Urban Priols Auftritte besucht? Wortgewandte und pointenreiche Bestätigung seines eigenen Unbehagens an der Politik? Oder doch ein Fünkchen Hoffnung, dass sich politisches Elend mit der Kraft kabarettistischer Überzeichnung kurieren ließe?
Im Grunde, so will es scheinen, ist Urban Priol ein unverbesserlicher Moralist. Was bei Priol polemisch klingen mag, ist doch oft nur sein Gespür dafür, Details mit zielsicherer satirischer Zuspitzung erhellend zum Sprechen zu bringen. Sein bewährter Helfer dabei: sein parodistisches Talent. Angela Merkel oder Horst Seehofer, Ronald Pofalla oder Hubertus Heil, "der Dicke" oder Franz Müntefering - Urban Priol entlarvt die Riege der Politi-Darsteller einst und jetzt quer durch alle Parteien mit ihren charakteristischen Gesten, mit ihrem markanten Tonfall. Deutschlands Politiker - bis zur schonungslosen Kenntlichkeit entstellt. Priol begnügt sich freilich nicht mit der Politikerkaste.
Was sagen die Märkte?
Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die - vermeintlich oder tatsächlich - meinungsbildenden oder die Meinung manipulierenden großen Printmedien landen bei Priol auf dem verbalen Seziertisch. Wenn in der Anmoderation des Börsenberichts nach den neuesten Nachrichten über den syrischen Giftgaseinsatz die Frage gestellt wird: "Welche Aktien leiden denn unter der neuen Syrien-Krise" - ist das dann nur gedankenlos oder doch schon zynisch?
Da fragt sich Priol schließlich schon händeringend: "Haben wir so gewählt, dass die Märkte zufrieden sind?" Wer also ist schuld am Elend im politischen Leben in Deutschland? Priol erspart seinen Zuhörern auch diese Schlussfolgerung nicht: "Wir sind ja sehenden Auges in die Wahlkabine gestolpert."
Längst hat Priol die Kunst subtiler Andeutungen perfektioniert. Routiniert hält er die thematischen Fäden seines Programms zusammen, stellt immer wieder Verbindungen auch dort her, wo man sie zunächst gar nicht vermuten würde.
Priols Pointen, das beweist auch dieser Abend, sind keine Kalauer vom kabarettistischen Wühltisch. Priols Pointen sind vielmehr klug komprimierte Analysen gesellschaftlicher und politischer Wirklichkeit.
Ausdauernder Beifall
Das altersmäßig beachtlich bunt gemischte Publikum dankt mit ausdauerndem Beifall und bekommt noch eine Franz-Josef-Strauß-Parodie als Zugabe.