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Unruhe bei Brose in Coburg: Knackpunkt ist der hohe Krankenstand


Autor: Oliver Schmidt

Coburg, Mittwoch, 01. August 2018

Michael Stoschek will, dass die Produktionskosten am Standort Coburg gesenkt werden - andernfalls müssten Arbeitsplätzen nach Osteuropa verlagert werden.
Michael Stoschek, Enkel des Firmengründers Max Brose, ist heute Vorsitzender der Brose-Gesellschafterversammlung.Foto: David Ebener/dpa


"1500 Jobs in Gefahr: Brose-Chef droht Werksschließung in Coburg an" - mit dieser Schlagzeile überraschte am Mittwochabend der Bayerische Rundfunk (BR). Auslöser waren jüngste Äußerungen von Michael Stoschek, dem Vorsitzenden der Brose-Gesellschafterversammlung. Jürgen Hoffmeister, Pressesprecher des größten Industriearbeitgebers in Coburg, versuchte die Meldung des BR in einem Gespräch mit dem Tageblatt zu relativieren. So gehe es keinesfalls um eine Schließung des gesamten Werks, sondern allenfalls um eine mögliche Verlagerung von Arbeitsplätzen. Denn: Die Produktionskosten am Standort Coburg seien zu hoch. Den Gesellschaftern sei der Stammsitz in Coburg sehr wichtig, wie Jürgen Hoffmeister erklärt, "er muss sich aber wirtschaftlich rechnen."


Erste Gespräche mit dem Betriebsrat

Was Michael Stoschek unter anderem aufgefallen sei und was er bei der Betriebsversammlung im Juli auch offen angesprochen habe, ist der hohe Krankenstand in Coburg. Mit durchschnittlich 26 Krankheitstagen pro Fertigungsmitarbeiter und Jahr sei dieser so hoch wie in keinem anderen Brose-Werk weltweit. "Auch deshalb hat Coburg im Vergleich unserer weltweiten Sitzstandorte die höchsten Lohnkosten pro Stunde", erklärt Jürgen Hoffmeister und ergänzt: "Die Halbierung des Krankenstandes ist eine der notwendigen Kostensenkungsmaßnahmen.

Und wie soll das erreicht werden? "Bis Ende des Jahres müssen verbindliche Vereinbarungen mit dem Betriebsrat beziehungsweise mit der Belegschaft getroffen sein", sagt Jürgen Hoffmeister. Wenn dies nicht gelinge, sei eine Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Osteuropa "unvermeidlich."
Wie Jürgen Hoffmeister am Mittwochabend dem Tageblatt sagte, hätten Geschäftsführung und Betriebsrat bereits "erste Gespräche" aufgenommen. Es seien aber noch keine konkreten Verhandlungen.

Manche Ursache der hohen Produktionskosten dürften sich ohnehin selbst bei intensivsten Verhandlungen kaum lösen lassen. So sieht Jürgen Hoffmeister ganz grundsätzlich einen "Wettbewerbsnachteil" in Deutschland. "Bei unseren Mitbewerbern, wie auch unseren Standorten in Osteuropa, betragen die Lohnkosten nur ein Viertel von Coburg", sagt er und rechnet vor, dass zudem die Mitarbeiter in anderen Brose-Werken "erheblich mehr" arbeiten würden. Gegenüber den Arbeitnehmern in Coburg seien es in Osteuropa zwischen 22 und 34 Tagen im Jahr mehr, in China 40 Tage und in Mexiko sogar 52 Tage mehr.

"Bei der Betriebsversammlung am 23. Juli in Coburg haben wir über die verschärfte Wettbewerbssituation informiert", sagt Jürgen Hoffmeister. Ziel sei es nun, die Arbeitskosten in Coburg zu reduzieren, um Beschäftigung und Produktion im Werk weiterhin zu erhalten.
Hoffmeister gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Brose der einzige Hersteller sei, der Sitzstrukturen in Großserie noch in Deutschland produziert. Gleichwohl stellt der Pressesprecher klar: "Die Gesellschafter der Brose-Gruppe haben ein großes Interesse daran, die Produktion und damit die Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten." Aber weil die am Produktionsstandort Deutschland entstehenden Mehrkosten nun einmal nicht an die Kunden von Brose weitergegeben werden könnten (Jürgen Hoffmeister: "Unsere Kunden akzeptieren keine höheren Preise, nur weil wir in Deutschland produzieren"), müssten andere "Maßnahmen zur Kostenreduktion" erarbeitet werden.


Hintergrund Brose


3300 Mitarbeiter beschäftigt Brose an seinem Stammsitz in Coburg, davon 1500 in der Produktion. Weltweit hat Brose rund 26 000 Mitarbeiter an 62 Standorten in 23 Ländern.

Stammsitz 1919 gründete Max Brose in Coburg zusammen mit Ernst Jühling das Metallwerk Max Brose. Schon von Beginn an werden hier auch Automobilteile hergestellt. 1928 präsentierte Brose seine ersten Fensterkurbelapparate für Automobile.

Sitze 1968 beginnt die Produktion von Sitzbeschlägen. Daraus entwickelt sich das zweite starke Standbein des Unternehmens Brose. Das Coburger Unternehmen ist das erste, das 1979 elektrische Sitzverstellungen auf den Markt bringt.

Umsatz 2017 erwirtschaftete Brose insgesamt einen Umsatz von 6,3 Milliarden Euro. Der Bereich Sitzsysteme trug dazu über zwei Milliarden Euro bei.

Investitionen Ende 2017 hat Brose angekündigt, in den folgenden drei Jahren insgesamt 180 Millionen Euro am Stammsitz investieren zu wollen. 2017 wurden bereits 50 Millionen Euro investiert.

Verlagerungen Immer wieder hatte Michael Stoschek in den vergangenen Jahren mögliche Verlagerungen weg von Coburg in die Diskussion gebracht. Die Ursachen waren unterschiedlich. 2003 drehte sich der Streit um die Tafel im Kreisverkehr an der Coburger Südzufahrt. Die Stadt wollte zunächst nicht das Brose-Logo genehmigen. In den vergangenen Jahren unterstützte Brose den Bau eines neuen Verkehrslandeplatzes in der Region. Der sei nötig, um den Standort Coburg zu sichern. Bei der Eröffnung des Brose-Werks in Bamberg Mitte 2016 deutete Michael Stoschek an, dass weitere Arbeitsplätze von Coburg nach Bamberg verlagert werden müssen, falls es in oder bei Coburg keinen zukunftsfähigen Verkehrslandeplatz gibt.

Headquarter Brose Coburg ist das Headquarter Sitzsysteme; von hier aus wird der Bereich gesteuert - sowohl die Entwicklung als auch die Produktion weltweit. In Coburg werden Komplettsysteme für Autositze, aber auch Komponenten und Verstellungen hergestellt. Kunden sind nach Brose-Angaben Audi, Volkswagen, Daimler, BMW und Jaguar Land Rover.

Steuerung Die Fertigungsplaner in Coburg betreuen europaweit alle Sitz-Projekte, von der Konzeptionierung bis zur Inbetriebnahme der Fertigungsanlagen. Sie definieren auch die Grundlagen und Standards für die Produktionsanlagen weltweit.

Gesundheit Auf seiner Homepage weist Brose auf seine sozialen Leistungen und da wiederum speziell auch auf sein Gesundheitsmanagement hin. Es diene dem "Erhalt der Fitness und zur Vorsorge". So gibt es auch ein betriebseigenes Fitness-Studio, das von allen Mitarbeitern kostenlos genutzt werden darf.