Tschernobyl-Kinderhilfe Neustadt plant nächste Hilfsaktion
Autor: Rainer Lutz
Neustadt bei Coburg, Mittwoch, 21. Oktober 2015
Noch nicht lange ist Dieter Wolf mit seinen Freunden von der Tschernobyl-Kinderhilfe Neustadt aus der Katastrophenregion in der Ukraine zurück, da plant er schon den nächsten Hilfstransport und einen Erholungsaufenthalt.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit startete Ende August die 38. Hilfsaktion der Neustadter Tschernobyl-Kinderhilfe. Vor Ort überzeugten sich die Neustadter von der Umsetzung der Hilfsprojekte, die sie mit finanzierten. Sie trafen viele ehemalige Gastkinder, die früher zur Erholung in Deutschland waren. Es sind inzwischen mehr als 400, und manche sind erwachsen und haben schon eigene Kinder. Jetzt steht die nächste Reise an. Im November geht es darum, Kinder auszusuchen, die im kommenden Sommer ins Coburger Land geholt werden sollen.
"Von ,unseren' Kindern haben wir viele gesehen und mit ihnen schöne Stunden verbracht. Auch die Mütter und Großmütter haben sich herzlich für alles bedankt, was Neustadt für ihre Kinder im Dorf Fedoriwka im verstrahlten Shytomer Gebiet getan hat.
Aber er hatte auch Grund zur Freude. Zum Beispiel über die endlich funktionierende Heizung in der Schule. "Die nette Dorfärztin hat sich hierfür auch mehrmals bei uns bedankt, sie hofft, dass man in Zukunft mit weniger Erkältungskrankheiten bei den Schulkindern rechnen muss", berichtet Wolf. Regelrecht "erdrückt" fühlten sich die deutschen Besucher zeitweise von der Gastfreundschaft der Ukrainer. "Gelungen ist uns allerdings wieder die Flucht vor der traditionellen Wodka-Flut", schildert der Vorsitzende des Hilfsvereins. Schließlich hätten die Gastgeber eingesehen, dass die Deutschen nicht zum Feiern, sondern zum Arbeiten bei ihnen im Dorf waren.
Begegnung mit dem Krieg
Tief gerührt erzählt Wolf von einer Begegnung.
Ein gerade 20-Jähriger, aktives Mitglied des von uns unterstützten Dorf-Fußballvereins, übergab der Neustadter Delegation ein Gastgeschenk in Form eines Trainingsanzuges in den ukrainischen Nationalfarben. Wolf: "Peinlich war das für mich, denn ich kann mir vorstellen, was das die jungen Sportler gekostet hat. Aber ich konnte es keinesfalls ablehnen." Der junge Mann, erfuhr Wolf, war erst am späten Nachmittag aus der Ost-Ukraine in sein Heimatdorf Fedoriwka zurückgekehrt, ein paar Tage Heimaturlaub. Er hatte das Bedürfnis, den Gästen aus Deutschland von den Kämpfen im Osten der Ukraine zu erzählen. "Der Junge war ausgehungert. Er brach ständig in Tränen aus, als er von den aussichtslosen Verteidigungsbemühungen der hoffnungslos unterlegenen ukrainischen Soldaten und Freiwilligen berichtete", erzählt Wolf.Aufregend endete der eigentlich harmlose Besuch, zu dem die Rektorin der Schule von Fedoriwka eingeladen hatte. Es ging nach Radomyschl. Ziel war dort das Museum der ukrainischen Hausikone, das die Gäste sehr beeindruckte. Spannend wurde es allerdings, als sie den Rückweg antreten wollten. "Da wurden unsere Gastgeber sichtlich sehr nervös, schauten ratlos und ängstlich umher, griffen zu ihren Handys, konnten aber die eingetretene Änderung der Atmosphäre nicht klären", berichtet Wolf. Der vorher strahlende Sonnenschein sowie die meisten Leute auf der Straße waren verschwunden, die wenigen Autos fuhren mit eingeschalteten Licht, es war neblig, den Deutschen wurde unheimlich. Wolf: "Unser erster Gedanke war Tschernobyl - es wird doch nicht schon wieder irgendwo etwas Schreckliches passiert sein. Unsere Gastgeber wollten uns mit einer Sonnenfinsternis beruhigen, aber diese war meines Wissens nicht angesagt." Erst am späten Abend kam dann die Nachricht, dass verheerende Waldbrände die Ursache waren.
Hilfstransport gut gelandet
Nachdenklich kehrten die Helfer in ihre Heimatstadt zurück. Im Gepäck Bitten und Wünsche, Hilferufe von Not leidenden Müttern sowie von alleine gelassenen Kindern. "Das war mit ein Grund, dass wir uns sofort unserem nächsten Hilfstransport zugewandt haben, der jetzt vor wenigen Tagen vollständig in den ukrainischen Dörfern angekommen ist und ordnungsgemäß an die von uns bestimmten Empfänger ausgeliefert wurde", erklärt Dieter Wolf.Anfang November 2015 starten die Neustadter zur nächsten Hilfsaktion in die Ukraine. Nur wenige Vereinsmitglieder, so Wolf, haben den Mut oder finden die Zeit, sich an diesen beschwerlichen und nicht ungefährlichen Reisen zu beteiligen. Doch er ist überzeugt: "Diese Reise muss sein, wenn wir im Sommer 2016 wieder bedürftige strahlengeschädigte Kinder zu einem Erholungsaufenthalt nach Neustadt und ins Coburger Land einladen wollen. Aus drei Dörfern wurden uns insgesamt 26 Mädchen und Buben vorgeschlagen, die eine sorgenfreie Zeit in unserer schönen unverstrahlten Heimat nötig hätten", sagt er.
Er und seine Helfer werden alle diese Kinder vor Ort in ihren Familien besuchen und sich ein Bild über die meist unvorstellbaren schlechten Familien- und Lebensverhältnisse machen. Außerdem befinden sich in den Unterlagen des Vereins noch etliche Kinder aus den vergangenen Jahren, die aus verschiedenen Gründen die Reise nicht antreten konnten. Dort werden die Helfer wieder vorbeischauen. Schließlich schlägt Wolf die Stunde, vor der er sich jedes Jahr fürchtet: "Am Ende müssen wir wieder unser Urteil fällen. Wer darf mit - wer darf nicht. Wir haben ja nur 20 Plätze."
Dringende Not
Zudem gibt es immer wieder Sonderfälle, die Wolf und seine Helfer berücksichtigen wollen. Er nennt Yana Novak aus Kiew. Die junge Frau war als junges Mädchen im Jahr 2001 als Gastkind zu Besuch in Neustadt. Wolf: "Jetzt fleht uns die junge Frau an, ihr und ihren drei Kindern zu helfen. Ihre älteste Tochter Elena, behindert, acht Jahre, kann weder sitzen noch gehen. Als Vorsitzender unserer Tschernobyl-Kinderhilfe gebe ich beim Abschied jedem Kind das Versprechen, immer da zu sein, wenn dringend Hilfe benötigt wird. Und mein Wort habe ich schon immer gehalten. Wir werden Yana Anfang November in Kiew suchen und finden.
Wir werden unserem ehemaligen Gastkind helfen."
Neuer Transport in Arbeit
Ende November schickt die Tschernobyl-Kinderhilfe den nächsten Hilfstransport in die Ukraine. Er soll Kindern in den Kindergärten, Schulen und sozialen Einrichtungen das Gefühl geben, dass sie auf der Welt nicht vergessen sind. Dieter Wolf ist entschlossen: "Ich werde dafür sorgen, dass bei besonders bedürftigen Familien zum Jahresende nicht nur Nürnberger Lebkuchen, sondern auch einmal Wurst und Fleisch auf den wackligen Küchentisch kommt."Bankverbindung Wer den Verein Tschernobyl-Kinderhilfe Neustadt finanziell unterstützen möchte, kann das mit einer Spende über folgende Bankverbindung tun:
Konto der Tschernobyl-Kinderhilfe Neustadt:
Sparkasse Coburg - Lichtenfels
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