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Tod im Schützenhaus: Ein Unglück?


Autor: Ulrike Nauer

Coburg, Donnerstag, 24. Januar 2013

Rechtsanwalt Hans-Heinrich Eidt geht in seiner Verteidigung davon aus, dass der Coburger Wirt Ulrich S. seine Frau im vergangenen Oktober nicht vorsätzlich erschossen hat. Der Prozess soll noch in diesem Jahr beginnen.
Schwierige Spurensuche: Was genau sich in der Nacht zum 7. Oktober 2012 in den Privaträumen des Wirtsehepaars in der Coburger Traditionsgaststätte abgespielt hatte, konnten auch die Ermittler bis heute nicht zweifelsfrei klären. Foto: CT-Archiv / Oliver Schmidt


"Ich weiß, dass sich die Geschichte abenteuerlich anhört." Das gibt Rechtsanwalt Hans-Heinrich Eidt unumwunden zu. Dennoch stützt er die Verteidigung des Coburger Wirts Ulrich S., dem vorgeworfen wird, in der Nacht zum 7. Oktober im "Alten Schützenhaus" seine Ehefrau umgebracht zu haben, darauf, dass das Ganze ein tragischer Unglücksfall gewesen sei.

Die Ermittler der Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass sich in jener Nacht in den Privaträumen der bekannten Coburger Gastwirtschaft im Weichengereuth ein Beziehungsdrama abgespielt hat. Der 55-jährige Coburger habe demnach seine 44-jährige Ehefrau aus Eifersucht und Trennungsangst mit einer doppelläufigen Schrotflinte erschossen. Anschließend soll er versucht haben, sich mit der Waffe selbst zu töten.

In der Darstellung der Verteidigung klingt das ganz anders. Zunächst stellt sich die Frage nach der Waffe. Ulrich S. habe sie im Haus gehabt, um damit im Keller Ratten vom Teich hinter dem Schützenhaus zu jagen, so Eidt. Geliehen habe er sich die zweiläufige Schrotflinte von seinem Neffen. Der Rechtsanwalt geht in seiner Darstellung davon aus, dass Ulrich S. zunächst seinen Hund Gassi geführt hatte und anschließend im Keller auf Ratten schießen wollte. Daher habe er das Gewehr bereits in der Wohnung geladen.

Über den Hund gestolpert
Im 14-seitigen Schriftsatz (Eidt: "Die Länge ist völlig unüblich bei Strafverfahren"), den der Anwalt bei der Staatsanwaltschaft eingereicht hat, liest sich das nachfolgende Geschehen in etwa so: Die Ehefrau des 55-Jährigen hält sich im Bad auf und ruft Ulrich S. etwas zu. Er versteht den Zuruf nicht, läuft deshalb auf die 44-Jährige zu und stolpert dabei über den kleinen Hund der Familie. Aus der Schrotflinte löst sich ein Schuss und verletzt die Frau tödlich. Eidt zufolge war die Schusswunde bei der 44-Jährigen "etwa so groß wie ein Fünf-Mark-Stück".
Aus Verzweiflung versucht Ulrich S. anschließend, sich selbst das Leben zu nehmen. Die Garbe aus der Schrotflinte tritt etwa rechts unterhalb der Rippen in seinen Körper ein und unter der linken Achsel wieder aus.

Hans-Heinrich Eidt ist bewusst, dass dem Leser bei dieser Version "die Haare zu Berge stehen" werden. Zumal es für den Hergang keinerlei Zeugen gibt. Nur ein einziger Mensch weiß, was am Tattag wirklich passiert ist: Ulrich S. "Wir wissen nicht, was geschehen ist", sagt Eidt. "Deshalb klopfe ich drum herum das Geschehen ab; ebenso klopft die Staatsanwaltschaft drum herum an den Tatsachen und so versuchen beide Seiten, der Wahrheit nahezukommen."

Die Anklage der Staatsanwaltschaft stütze sich im Prinzip auf zwei Hauptpunkte, erklärt Eidt: Zum einen auf die Herkunft der Waffe, zum anderen darauf, dass Ulrich S. seine Ehefrau aus Trennungsangst vorsätzlich erschossen haben soll. Hier setzt Eidts Verteidigungsstrategie an: "Diese beiden Punkte lassen sich widerlegen."

Dass es einige Zeit vor der Tat Streit zwischen den Eheleuten gegeben hatte, will Eidt gar nicht bestreiten. Die Staatsanwaltschaft gehe wohl davon aus, dass die Ehefrau einen Freund in München hatte und ihren Ehemann deshalb verlassen wollte. Er solle ihr dafür mit dem Rausschmiss gedroht haben, so Eidt. "Das stimmt aber alles nur zum Teil." Zum Tatzeitpunkt habe längst wieder "eitel Sonnenschein" in der Beziehung der beiden geherrscht.

Kontakt war rein beruflich
Dass die 44-Jährige im vergangenen Frühsommer in München den Generalmanager eines Vier-Sterne-Hotels kennen gelernt und er ihr angeboten hatte, dort als Hausdame zu arbeiten, lässt sich durch Zeugen belegen. Ihr Ehemann sei darüber natürlich nicht glücklich gewesen, sagt Eidt. Damals habe es tatsächlich heftig Streit gegeben, unter anderem deshalb, weil Ulrich S. befürchtete, dass die Beziehung zwischen seiner Frau und dem Hotelmanager nicht nur rein beruflich gewesen sein könnte. Der Aussage des Managers und mehrerer Zeugen zufolge, war sie aber genau das.

Die 44-Jährige war von dem beruflichen Angebot sehr angetan und wollte nach München. Ulrich S., der seine Frau laut Hans-Heinrich Eidt "abgöttisch geliebt" hatte, wollte sie dagegen in Coburg halten oder notfalls sogar mit nach München ziehen. Er soll sich dort sogar schon nach einer neuen Stelle umgesehen haben. Auf der anderen Seite soll Ulrich S. mit Hilfe seiner Ex-Ehefrau nach Möglichkeiten gesucht haben, seiner Ehefrau eine verantwortungsvollere Tätigkeit im eigenen Betrieb zu schaffen.

Anfang Herbst sei das Thema München dann vom Tisch gewesen. Das Paar habe sich sogar erneut kirchlich trauen lassen wollen und auch ein Kind sei geplant gewesen. Dies alles könne durch Zeugen belegt werden, sagt Eidt. Nachweisen lasse sich wohl auch, dass die Tatwaffe schon früher zur Rattenjagd verwendet worden sei.

Vier Wochen im Koma
Ulrich S. sitzt nach wie vor in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. "Er ist gerade noch einmal operiert worden, weil die Wunde nicht heilte", berichtet Eidt. Der 55-Jährige schwebte nach der Tat zunächst in Lebensgefahr und lag gut vier Wochen im Klinikum Coburg im Koma. Nachdem sich sein Gesundheitszustand gebessert hatte, wurde gegen Ulrich S. Haftbefehl wegen Totschlags erlassen und die Überstellung ins Gefängnis-Krankenhaus Stadelheim angeordnet. Die JVA Bayreuth wäre, Eidt zufolge, eigentlich zuständig gewesen, doch dort habe man S. wegen Umbauarbeiten nicht aufnehmen können.

So wurde der 55-Jährige also zunächst in Stadelheim untergebracht. "Er hat da in einer Fünf-Mann-Zelle gesessen und fürchterlich abgenommen", berichtet Eidt. Weil die Schusswunde nicht heilen wollte, musste sich Ulrich S. jetzt in Schwabing einer weiteren Operation unterziehen. "Stadelheim will ihn aber nicht unbedingt", sagt Eidt. "Sobald Bayreuth von der Kapazität her möglich ist, kommt er dorthin."

Noch keine Reaktion vom Staatsanwalt
Eine Reaktion auf seinen Schriftsatz habe er von der Staatsanwaltschaft noch nicht erhalten, sagt Hans-Heinrich Eidt. "Die Staatsanwälte werden jetzt sicher erst einmal die von mir genannten Zeugen vernehmen und die vorgelegten Beweismittel prüfen." Seine Prognose: Die Staatsanwaltschaft werde Ulrich S. nach Aktenlage wohl wegen Totschlags anklagen. Eidt geht jedoch davon aus, dass am Ende der Nachweis geführt werden kann, dass es sich doch um einen Unglücksfall gehandelt hat. Sicher ist sich der Anwalt aber auch, "dass Ulrich S. nicht freigesprochen wird. Das ist ihm auch selbst klar."

Wann der Fall vor Gericht verhandelt werden wird, kann Leitender Oberstaatsanwalt Anton Lohneis zwar noch nicht sicher sagen, aber "mit Bestimmtheit noch in diesem Jahr." Zu Eidts Schriftsatz könne und wolle er sich noch nicht äußern. "Wir werden die Einlassung überprüfen" und - soweit erforderlich - werde dann weiter ermittelt.