Theater in Coburg: Und wer bin ich?
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Freitag, 13. April 2018
Demenz wird unsere Gesellschaft zunehmend belasten. Florian Zellers Stück "Vater" führt hinab ins Bedrängende, drückt aber nicht nieder.
"Bei uns geschehen merkwürdige Dinge." Das müssen alle Beteiligten, alle Betroffenen feststellen. Und wenn auf die Dauer merkwürdige Dinge geschehen, dann fällt die Welt in sich zusammen. Nicht nur für den Demenzkranken, auch für die Angehörigen, die aber immerhin noch die Chance haben, sich herauszuziehen aus dem Wirbel. Wenn sie den Dementen geliebt haben, tun sie es oft erst im allerletzten Moment, bevor sie selbst mit im Wirbel der Realitätsauflösung verschwinden.
"Vater" heißt das nahe gehende Stück des französischen Schriftstellers Florian Zeller, das am Donnerstag Premiere hatte im Theater in der Reithalle, weil es eben nicht nur um ein Krankheitsbild geht, das in unserer älter werdenden Gesellschaft immer mehr droht, sondern um einen weit größeren sozialen Zusammenhang. Wenn sich die Persönlichkeiten der Eltern auflösen, brechen auch (ja meist mühsam errichtete) Lebenskonstruktionen der Kinder zusammen. Von der Bewältigung des Alltages gar nicht zu sprechen.
Die Gesten verändern sich
Gastregisseur Kay Link hat die spannende Szenenfolge im klinisch-nüchternen weißen Raum von Ausstatter Frank Albert sensibel und durchaus humorvoll inszeniert. Mit minimalen äußeren Mitteln ist es die Stunde der Schauspieler, die die immer abstruser werdenden Situationen und Gespräche durchleben (lassen ). Allen voran Thomas Straus als zunehmend verwirrter André in einer meisterhaft präzisen und tiefreichenden Darstellung. André wird nicht "nur" alt und gebrechlich. Straus zeigt, wie sich im Verschwinden der geistigen Stützen und Ordnungssysteme die Haltungen, Gesten, Zeichen des Körpers verändern. Sie werden auch reicher, verblüffender, identischer, was das Leben für Momente auch intensiviert, authentischer macht.
Und natürlich noch gefährdeter. Die Angehörigen, die "anderen" sind verblüfft, manchmal brechen alle gemeinsam in Gelächter aus. Was jetzt nichts beschönigen soll. Tochter Anne, von Eva Marianne Berger sehr einnehmend gezeigt, die mit dem Mut der Verzweiflung auch das zunehmend Bösartige ihres Vaters unbedingt aushalten will, gerät selbst an die Grenzen ihrer Identität und Kraft. Ihr Lebensgefährte Pierre (Thomas Kaschel) will gut bleiben in der unerträglichen Lage, kann sich aus seiner bestehenden Distanz aber früher wehren. Die Betreuerin Laura (Solvejg Schomers) will sich auf das Verrückte, das Verhalten, das unsere schützenden Gewohnheiten hinter sich gelassen hat, einlassen, wird aber ebenfalls schnell an die Grenzen des persönlich Erträglichen geschleudert. Kerstin Hänel und Benjamin Hübner tauchen in weiteren Rollen auf, in von André tückisch erinnerten oder verwechselten Gestalten.
Und am Ende, nach eindreiviertel intensiven Stunden: Mich wundert, dass ich so fröhlich bin. Denn Stück wie Inszenierung glauben trotz allem an eine Leichtigkeit des Seins, die das Bedrohliche nicht übermächtig werden lässt. Sie schicken uns am Ende, wie immer nach dem Eintauchen in das Düstere unserer Existenz und dem geglückten Wiedererstehen, sogar ruhiger, gelassener wieder hinaus auf die Straße.
Der Autor Florian Zeller wurde 1979 in Paris geboren. Er studierte am Sciences Po Paris und ist dort inzwischen Professor für Literatur. Zeller schreibt Romane und Theaterstücke, seine Werke wurden in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Er gilt als einer der begabtesten zeitgenössischen Autoren Frankreichs. Bereits 2004 wurde er mit dem "Prix Interallié", dem wichtigsten Literaturpreis Frankreichs, ausgezeichnet. Im selben Jahr erschien sein erstes Theaterstück "Der Andere" in Paris und wurde zu einem Überraschungserfolg.
Die Produktion Landestheater Coburg: "Vater". Schauspiel von Florian Zeller. In Kooperation mit dem Demenz-Netzwerk-Coburg des Landkreises Coburg und der Gesundheitsregion Plus.
Inszenierung Kay Link, Bühnenbild und Kostüme Frank Albert, Dramaturgie Carola von Gradulewski. Darsteller: Thomas Straus, Eva Marianne Berger, Thomas Kaschel, Solvejg Schomers, Benjamin Hübner, Kerstin Hänel
Weitere Vorstellungen 18., 20., 22. April, 3. Mai, 20 Uhr, 4. Mai, 11 Uhr