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Tempo 30 auf dem Prüfstand


Autor: Ulrike Nauer

Coburg, Freitag, 04. März 2016

Der Bundesverkehrsminister will die rechtlichen Hürden für Tempolimits herabsetzen. In Coburg sollen dagegen eher Beschränkungen abgebaut werden.
Die langgezogene Kurve an der Einmündung Sauerbruchstraße macht die Seidmannsdorfer Straße an dieser Stelle unübersichtlich. Foto: Ulrike Nauer


Tempo 30 ist ein Thema, das polarisiert. Die einen hätten es gern vor ihrer Haustür, weil dort vielleicht die Straße besonders unübersichtlich ist. Die anderen würden es am liebsten abschaffen, weil ihnen 30 Stundenkilometer zu langsam sind. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hatte kürzlich angekündigt, er wolle die rechtlichen Hürden senken, um vor Schulen und Kindergärten leichter Tempo-30-Bereiche ausweisen zu können - und zwar auch in Hauptverkehrsstraßen.
Das Tageblatt hat vor diesem Hintergrund bei seinen Lesern nachgefragt, wo sie Tempo 30 angebracht beziehungsweise unnütz finden. Neben allgemeinen Anregungen wie "generell an Schulen und Kindergärten" oder "in Seitenstraßen", kamen auch zwei ganz konkrete Vorschläge: im Pilgramsroth und in der Seidmannsdorfer Straße.

Letztere weist schon mehrere Stellen mit Geschwindigkeitsbegrenzung auf, beispielsweise vor dem Gymnasium Alexandrinum und vor der Pestalozzischule. An der Einmündung der Sauerbruchstraße ist allerdings Tempo 50 erlaubt.
Ein Tageblatt-Leser, selbst Anwohner in diesem Bereich, fordert auch dort die Beschränkung auf 30 km/h. Sein Argument: Die Seidmannsdorfer Straße macht an dieser Stelle eine lange Kurve, deshalb sei die Situation sehr unübersichtlich. Er müsse rückwärts aus seiner Ausfahrt ausparken und Fahrzeuge aus Richtung Seidmannsdorf, gerade wenn sie etwas schneller unterwegs sind als erlaubt, sehe er oft erst im letzten Moment. Messungen seien laut Polizei vorgenommen worden, sagt der Tageblatt-Leser. Das Ergebnis: Der Großteil der Autofahrer halte sich an die erlaubte Geschwindigkeit. "Das hilft mir aber nicht weiter."
Rechtlich gesehen seien die Voraussetzungen für die Anordnung eines Tempolimits an dieser Stelle nicht erfüllt, sagt Hauptkommissar Ulrich Bosecker, Sachbearbeiter Verkehr bei der Polizeiinspektion Coburg. Wie er erläutert, gilt hier Paragraf 45 (9) der Straßenverkehrsordnung (StVO). Der besagt, dass Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, "wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung [...] erheblich übersteigt". Die Gefährdung müsse also schon außergewöhnlich hoch sein, um eine Geschwindigkeitsbegrenzung zu rechtfertigen, so Bosecker. Oftmals, das gilt auch für Stadt und Landkreis Coburg, sind diese Voraussetzungen an Stellen mit Tempolimit jedoch gar nicht erfüllt.
Das bayerische Innenministerium hat sich daher in seinem Verkehrssicherheitsprogramm 2020 unter anderem zum Ziel gesetzt, den "Schilderwald" zu reduzieren und, damit einhergehend, die Rechtmäßigkeit von Tempolimits zu überprüfen. Die Coburger Unfallkommission, bestehend aus je einem Vertreter der Polizei, der Stadt Coburg sowie des Straßenbaulastträgers, hat in diesem Rahmen in den vergangenen zwei Jahren im Landkreis Coburg Tempo-30-Beschränkungen unter die Lupe genommen. Tatsächlich wurden auch einige aufgehoben beziehungsweise reduziert - etwa in Bad Rodach, wo das Tempolimit auf der Ortsdurchfahrt (Staatsstraße 2205) nun auf einem deutlich verkürzten Abschnitt gilt.
Als nächstes will die Kommission das Stadtgebiet Coburg genauer betrachten. Auch hier seien über Jahrzehnte neue Tempo-30-Bereiche dazugekommen, die den rechtlichen Anforderungen nicht immer genügen. Bosecker nennt beispielsweise die Max-Brose-Straße, in der nach der Umbenennung auch ein Tempolimit eingeführt wurde. "Es gibt einen Zebrastreifen, die Straße ist kerzengerade und übersichtlich. Eine besondere Gefahrenlage besteht also nicht", sagt Bosecker. "Eine politische Entscheidung." Doch auch die könne jederzeit rückgängig gemacht werden.


Genaue Formulierung abwarten

Kai Holland, Leiter des städtischen Ordnungsamts, sieht den Vorstoß des Verkehrsministers ganz gelassen. "Bisher hat er es ja nur angekündigt und es gibt noch keine gesetzliche Grundlage. Wir brauchen schon eine genaue Formulierung." Er könne sich beispielsweise nicht vorstellen, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf "höchst belasteten Straßen" sinnvoll sei. In Coburg gelte aber ohnehin - bis auf wenige Ausnahmen - schon vor den meisten Kindergärten, Schulen und Altenheimen Tempo 30.
Im Fall des Tageblatt-Lesers empfiehlt Holland, eine offizielle Anfrage bei der Stadt zu stellen. "Dann würden wir dem nachgehen." Er fahre allerdings selbst ab und zu die Seidmannsdorfer Straße entlang und könne eigentlich keine besondere Gefahr erkennen. Vielleicht helfe dem Coburger auch schon ein Spiegel gegenüber der Grundstücksausfahrt.