"Tagebuch der Anne Frank" in Coburg: Mut der Jugend kämpft gegen Verzweiflung
Autor: Jochen Berger
Coburg, Sonntag, 02. Februar 2020
Wie die Premiere der Oper "Das Tagebuch der Anne Frank" das Publikum in der Coburger Reithalle in Bann schlägt.
Anne kämpft gegen die Verzweiflung. Sie kämpft mit dem Mut der Hoffnung, mit der ganzen Kraft ihrer Jugend gegen die Aussichtslosigkeit. Gegen die zermürbende Angst. Das Leben der jungen Anne Frank und ihrer Familie im Hinterhausversteck in der Prinzengracht 263 in Amsterdam - in der Coburger Reithalle wird es auf beklemmende, bedrückende und berührende Weise hörbar und in eindringlichen Bildern sichtbar.
Seelische Not
Grigori Frids Mono-Oper nach dem Tagebuch der Anne Frank", 1969 als "Partitur für Klavier und Gesang" in Moskau entstanden, bringt in der Neuinszenierung von Katarzyna Bogucka die seelische Not eines jungen Mädchens mit großer Intensität auf die Bühne der Coburger Reithalle.
Chronologie des Untergangs
Die 21 Szenen, in die Frid seine Oper aufgeteilt hat, verwandelt die ebenso einfühlsame wie präzise Regie in die Chronologie eines unentrinnbaren Untergangs. Eine Chronologie, die dennoch Raum lässt für Momente der Hoffnung - Momente der Hoffnung gegen jede Vernunft, Momente der Hoffnung gegen die schier erstickende Gewalt der Verzweiflung. Schrank, Kommode, Tisch, Stuhl und eine stilisierte Treppe - aus diesen Versatzstücken hat Ausstatterin Susanne Wilczek mit scheinbar einfachen Mitteln ein suggestiv wirkendes Bühnenbild geschaffen.
Zuflucht im Hinterhaus
Die beklemmende Enge, die Ausweglosigkeit dieses Verstecks, in dem die Familie Frank von Juli 1942 bis zur Verhaftung durch die Gestapo im August 1944 Zuflucht fand, bildet den Rahmen für einen äußerlich kurzen, dafür aber umso intensiveren Musiktheaterabend, der das Premierenpublikum in der ausverkauften Reithalle von den ersten Tönen an in Bann schlägt.
Das Schicksal eines jungen Mädchens
Denn Katarzyna Boguckas Lesart macht aus dem "Tagebuch der Anne Frank" kein dokumentarisches Musiktheater, das das Schicksal einer historischen Person erzählt. Für Boguckas Regie ist das Schicksal der Anne Frank das Schicksal eines jungen Mädchens, das sich so oder ähnlich jederzeit irgendwo auf dieser Welt wiederholen könnte. Francesca Paratore ist deshalb nicht als vermeintliches Double der historischen Anne Frank zu erleben, sondern als ein junges Mädchen namens Anne, das seinen verzweifelten Kampf gegen die Verzweiflung kämpft.
Intensives Spiel
Faszinierend, wie intensiv und doch nirgends übertrieben Francesca Paratore die Gefühle dieses Mädchens an der Schwelle zur jungen Frau in ihrem Gesang und ihrem äußerst intensiven Spiel Klang und Gestalt werden lässt. Mit ihrem schlanken, stets sicher geführten Sopran lässt sie Angst und Hoffnung, Freude und Verzweiflung hörbar werden. Mit beeindruckender Textverständlichkeit lotet sie das gesamte Ausdrucksspektrum der Partitur mit ihren Ausbrüchen sehr intensiv aus.
Ausdruckskraft
Bei der Coburger Erstaufführung im November 2003 war Frids Oper in der ursprünglichen Klavierfassung zu hören. Bei dieser Neuproduktion erlebt das Publikum eine kammermusikalische Fassung mit neun Instrumenten. Der junge Coburger Kapellmeister Paul Willot-Förster entfaltet die Ausdruckskraft der vornehmlich auf Expressivität getrimmten Partitur mit großer Genauigkeit und fein herausgearbeiteten Nuancen. Beeindruckend, wie Musiker des Philharmonischen Orchesters kammermusikalische Feinheit und orchestrale Fülle zu verbinden wissen. Willot-Förster und das Orchester spüren hochkonzentriert auch den Zwischentönen der Musik nach.