Streit auf Kosten der Patienten
Autor: Simone Bastian
Coburg, Mittwoch, 08. Juni 2016
Altenheimbewohner werden von ihren Hausärzten betreut. Doch Demente brauchen auch Neurologen. Aber das wird in Coburg und Umgebung schwierig.
Jahweed Abo-Shawish ist seit acht Jahren als Nervenarzt und Psychiater in Coburg tätig. Als er die Praxis seines Vorgängers übernimmt, gehören zum Patientenstamm auch rund 250 Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Abo-Shawish macht es wie sein Vorgänger und sieht regelmäßig in den Heimen nach den Patienten, spricht - weil viele nicht mehr sagen können, was ihnen fehlt - mit Angehörigen und Pflegekräften. "Visite" nennt das Abo-Shawish, so, wie in einem Krankenhaus. Bei Fragen steht er dem Pflegepersonal und den Angehörigen auch außerhalb der Besuchsheiten zur Verfügung.
Inzwischen sind es 450 Patienten, die der Neurologe in Heimen betreut. Oder werden es bald gewesen sein. Denn Abo-Shawish liegt mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) im Clinch, um es salopp zu sagen.
Das Problem dabei ist nicht, dass Abo-Shawish falsch abgerechnet hätte, wie er betont: Wenn er Patienten in den Altenheimen besucht, gibt er die vorgesehenen Kostenschlüssel an. Diese Kostenschlüssel sind jedoch mit Zeiten hinterlegt. Am Ende hat der Arzt für einen Patienten im Altenheim rechnerisch 50 Minuten gebraucht, obwohl es vielleicht nur 20 waren, weil seine Anfahrtszeit kürzer ist, weil er für den Patienten, den er schon lange kennt, nicht mehr so viel Zeit braucht.
Mit 450 Patienten kommt Abo-Shawish also in der Abrechnung auf völlig unrealistische Zeiten. Weil ihm das klar ist, hat er sich einen Anwalt genommen, der schon andere Ärzte in ähnlichen Fällen vertreten hat. Doch "die KVB ist anscheinend ein schwarzes Loch", sagt der Arzt bitter: Die Anwaltschreiben blieben unbeantwortet. Mehr noch: So, wie Abo-Shawish es schildert, werden Tatsachen je nach Situation unterschiedlich dargestellt.
KVB bleibt stumm
Im März informierte Abo-Shawish die Heimleiter über das laufende Verfahren und dass er die gewohnte Versorgung der Heimpatienten einstellen müsse, um seine Position in dem laufenden Verfahren und seine Praxis nicht zu gefährden. Nur die Notfälle werde er weiterhin versorgen, wie er betont. Die Heimleiter wandten sich an die KVB mit der Bitte um Auskunft, wie es für ihre Patienten weiter gehen solle. "Drei haben eine Antwort erhalten, und das war eher eine Eingangsbestätigung", sagt Matthias Ernst, Leiter des Ernst-Faber-Hauses.Die Heimleiter, die sich im Arbeitskreis "Heimleiter regional" zusammengeschlossen haben, beschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen und die Politik einzuschalten. Doch sie ließen sich überreden, noch einmal abzuwarten. Es gab ein Krisengespräch, an dem Vertreter der KVB, Jonas Tilhof als Geschäftsstellenleiter der Gesundheitsregion Plus von Stadt und Landkreis Coburg, Ärzte sowie Heimleiter teilnahmen. Darin bot Abo-Jawish an, die Versorgung der Heimbewohner noch bis zum Ende des zweiten Quartals zu übernehmen. Denn die KVB hatte, so wie Abo-Shawish es schildert, bis dahin keinen anderen Facharzt überreden können, in einem oder mehreren Heimen Patienten zu übernehmen. Inzwischen werde ihm sein Angebot von der KVB so ausgelegt, dass er kurzfristig die Versorgung einstellen wolle, berichtete Abo-Shawish am Mittwoch den versammelten Heimleitern im Ernst-Faber-Haus.
Die sehen ein"Riesenproblem" auf sich zukommen, wenn Abo-Shawish seine Versorgung einstellt, sagte Gunter Weiß, Leiter des BRK-Heims in Ebersdorf. Denn Psychopharmaka, wie sie Demente oder psychisch Kranke erhalten, könnten oft auch nicht so einfach abgesetzt werden. "Unsere Bewohner haben profitiert von Ihrer Arbeit", bestätigte Weiß dem Mediziner. In Ebersdorf habe ein niedergelasssener Neurologe zwar zugesagt, die Patienten vorübergehend zu betreuen, doch dauerhaft wolle dieser Arzt das nicht übernehmen. "Sonst hat der auch zu viel."
Facharzt wird gebraucht
"Unsere Pflegedienstleiter beknien die Hausärzte, Medikamente weiter zu verordnen", berichtete Margit Welscher, Leiterin der AWO-Altenheime in Neustadt und Rödental. Dort seien insgesamt 110 Patienten betroffen, wie sie sagte. "Zum Glück haben die Hausärzte noch Geduld", bestätigte Patrick Wilhelm, Chef des Phönix-Hauses in Neustadt. Wie er sagte, wollen die Hausärzte keine Psychopharmaka verordnen, weil sie die Facharztausbildung nicht haben.
Das sei auch besser so, bekräftigte Shawish: "Psychopharmaka können verheerende Nebenwirkungen haben." Die KVB wollte sich am Mittwoch zur Angelegenheit mit dem Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äußern. Sie wies allerdings darauf hin, dass laufende Prüfverfahren den Vertragsarzt "nicht von seiner Pflicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung" befreie. Rechne ein Arzt vorsätzlich falsch ab, sei die KVB verpflichtet, Strafanzeige zu erstatten. Wenn ein Arzt seinen Vertragspflichten als Kassenarzt nicht nachkomme, drohe ein Disziplinarverfahren oder gar er Entzug der Zulassung. "Welche Konsequenzen in dem vorliegenden Fall folgen werden, ist derzeit noch nicht abzusehen", heißt es in dem Schreiben der KVB - und wann das Verfahren ende, auch nicht, wie ein Sprecher auf Nachfrage sagte. Nicht einmal Fragen zum Abrechnungsverfahren wollte der Sprecher des Ärzteverbands beantworten, also die Frage, ob es nicht möglich sei, eine Regelung zu finden für den Fall, dass ein Arzt mehrere Patienten in einem Heim direkt betreut.
Es ist ja nicht so, dass Jaweed Abo-Shawish diese Patienten abgeben müsste: Wenn sie zu ihm in die Praxis kommen, kann er sie weiterhin behandeln und auch die Angehörigen beraten. "Wer soll denn diese Leute begleiten, die nicht wissen, wer sie sind und wo sie sind?", kommt ein fassungsloser Zwischenruf aus der Heimleiterrunde.
Landtagsabgeordneter Jürgen Heike (CSU) habe angeboten, sich in den Fall einzuschalten, berichtete Margit Welscher. "Das sollten wir jetzt nutzen."