Spurensuche im Coburger Landkreis: Dorfidyll und Doppelagent
Autor: Natalie Schalk
Rudelsdorf bei Coburg, Freitag, 06. Sept. 2019
Wo sich Fuchs und Marder Gute Nacht sagen, finden wir die Geschichte eines Spions - und die Reporterin ein Stück eigene Vergangenheit.
Was Armin Bühling mit dem Doppelagenten erlebt hat, ist eine Geschichte, von der die Leut' sagen: Das müsste mal einer aufschreiben! Dass dieser Tag heute gekommen ist, ahnt der 62-Jährige aber nicht, als er morgens sein Muskelshirt überzieht. Es sitzt ein wenig straff am Bauch; es ist bequem. Armin Bühling bereitet sich auf einen sonnig-heißen Tag hinterm Steuer des Gambert-Lasters vor. Er lebt in Föritztal im thüringischen Landkreis Sonneberg und liefert als Fahrer Getränke aus. Am Mittag begegnet er uns: im fränkischen Rudelsdorf, einem Ortsteil von Bad Rodach im Landkreis Coburg. Wir wurden von zwei schwäbischen Touristen hierher geschickt.
Zwei Schwaben weisen den Weg
Nada und Thomas Hagmeister wohnen in Ludwigsburg, zehn Kilometer vom Zentrum Stuttgarts entfernt. Sie machen Urlaub in Bad Rodach, kommen seit 2006 regelmäßig wegen der schönen Therme, der Natur und der Ruhe. "In Franken könnte man auf der Autobahn Fußball spielen. Bei uns daheim ist immer Stau", sagt der 68-Jährige. Das Paar wandert genau dort durch den Wald, wo der Sommerserien-Pfeil uns hingeschickt hat. Und das genau in dem Moment, als ich die Stelle gefunden habe und zum Fotografenkollegen Ronald Rinklef sage: "Hier gibt es nichts!"
Ich muss es ja wissen. Ich bin hier aufgewachsen. Normalerweise entdecken wir in der Sommerserie unbekannte Gefilde, aber ich habe mit dem Pfeil meinen Heimatort auf der Frankenkarte getroffen. Ein Glückstreffer? Daran zweifle ich. Was sollen wir hier Interessantes finden? "Wenn man da runtergeht", Hagmeister zeigt den Waldweg entlang, "kommt man in ein Dorf, das heißt Rudelsdorf. Da ist der Grenzweg noch zu sehen." Nada Hagmeister ergänzt, es fühle sich komisch an, auf dem Plattenweg zu laufen. Sie hat Recht. Doch eine Ost-West-Geschichte wollte ich gar nicht schreiben. Wir, die wir am ehemaligen Zonenrand leben, sehen die Grenze im Alltag meist nicht. Aber sie ist Teil unseres Lebens.
Meine Mutter machte nur leise Witze
Während wir nach Rudelsdorf fahren, erzähle ich dem Bamberger Fotografen von meiner Kindheit, von Sonntagsspaziergängen an dem erschreckenden, endlosen Zaun. Meine Mutter verkniff sich ihre üblichen Witze weitgehend und mein Vater verdrehte die Augen, wenn sie in den Osten winkte. Die DDR-Soldaten sollten nicht auf die Idee kommen, uns einen Angriff auf die Grenze zu unterstellen. Jahre zuvor, als der Zaun noch nicht überall stand, hatte mein Vater sich einmal mit dem Hund in den Osten verlaufen und ist dort eingesperrt worden.
Wir konnten bis zum Zaun spazieren. Armin Bühling konnte das nicht. Dabei hatte er die Grenze als junger Mann sogar mit gebaut. Gut 40 Jahre später beliefert er wie selbstverständlich Walter Bogner in Rudelsdorf. Die Männer plaudern gern über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Beide sind 62 Jahre alt, haben graue Haare bekommen, tragen Tanktop. Beide prägte die Teilung Deutschlands. Walter Bogner erinnert sich an seine Jugend 500 Meter vom Grenzstreifen entfernt. Ständig BGS, Zoll, Grenzpolizei vor Ort. "Manchmal sind die Amerikaner mit Panzern vorbeigefahren." Und wenn die im Osten mit ihren Zwei-Taktern den Plattenweg entlangrumpelten, war das in seinem Elternhaus nicht zu überhören.
Ein Tarnkleid für Tantchen
Magda Rittweger kommt über den hübschen Dorfplatz dazu - Rudelsdorfs gut 50 Einwohner haben bei der Dorferneuerung viel geleistet - die 76-Jährige schaut, was es da zu reden gibt und erzählt dann von ihrer Tante aus dem Osten. Die durfte als Rentnerin in die BRD. Aber nicht bis an die Grenze. Sie sagte: "Gebt mir was anderes zum Anziehen, damit die mich nicht erkennen mit ihren Ferngläsern." Die Ostler beobachteten den Westen vom Straufhain aus, einem nahe gelegenen Berg mit Burgruine. Viele Rudelsdorfer stapften gleich nach der Grenzöffnung hinauf. "Man hat den Straufhain immer gesehen, konnte aber nie hin", sagt Bogner. Von drei Seiten war sein Dorf eingezäunt. "Für uns junge Leute war hier tote Hose."
Auf der anderen Seite der Grenze war Armin Bühling als junger Mann ein linientreuer Sozialist. Heute fährt er den Getränkewagen, Ende der 70er Jahre ebnete er mit einer Planierraupe den Boden für Plattenweg und Grenzbefestigung. Er erzählt, wie die Amis versuchten, die Bauarbeiter gen Westen zu locken. "Die hatten schöne Frauen dabei", er lacht laut, "leichte Mädchen". Er blieb in der DDR. "Ich war überzeugt vom System." Eine Zeitlang. Mitte der 80er wollte er sein SED-Parteibuch zurückgeben. Vieles habe er aber erst nach der Wende begriffen.