Wolff küsst die Handball-Nation aus ihrem Dornröschenschlaf
Autor: Christoph Böger
Coburg, Mittwoch, 20. Januar 2016
Handball-Deutschland ist am Montagabend aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Ausgerechnet ein "böser Wolff" küsste die einst so stolze Handball-Nation wieder wach. Der reaktionsschnelle Torwart aus Wetzlar zog Schweden den Zahn und ebnete dem DHB-Team den Weg in die Hauptrunde der letzten Zwölf.
Am Mittwochabend legte die jungen Truppe eindrucksvoll mit dem 25:21-Sieg gegen Slowenien nach und schaffte den von vielen Experten nicht für möglich gehaltenen Durchbruch bei diesem Turnier. Wie wertvoll diese bärenstarken Husarenritte waren, wird sich in den nächsten Tagen herausstellen. Klar ist, dass der deutsche Handball dringend solche Erfolgserlebnisse braucht. Denn bundesweite Strahlkraft besitzt nur das Nationalteam.
Seit dem Titelgewinn bei der Weltmeisterschaft 2007 im eigenen Land wurde es still um das DHB-Flaggschiff. Zwei fünfte Plätze bei Weltmeisterschaften, ein vierter bei der EM. Für die Olympischen Spiele 2012 in London hat sich das DHB-Team nicht qualifiziert. Die Teilnahme an den Spielen in Rio im August führt nur über ein Qualifikations-Turnier im April, bei dem schwere Gegner drohen. ARD und ZDF kehrten letztes Jahr den Handballern bereits den Rücken. Bei der WM in Katar blieben die Öffentlich-Rechtlichen zu Hause. Wäre Wolff & Co. nicht diese märchenhafte zweite Halbzeit am Montagabend geglückt und hätte die DHB-Sieben gestern gegen Slowenien nicht so entschlossen nachgelegt, wahrscheinlich hätten die Sender ihre Kameras in Polen wieder eingepackt.
Doch jetzt flippen die handballverrückten Franken in Coburg, Erlangen oder Rimpar plötzlich wieder vor der Klotze aus. Über Nacht herrscht erneut diese für unser Land typische deutsche Begeisterung für eine Nationalmannschaft. Fast so wie vor neun Jahren, als Brandt, Schwarzer, Baur & Co. das Wintermärchen schrieben.
Der Glaube, dass das DHB-Team auch ohne Rückraum-Ass Drux, ohne Rechtsaußen Groetzki, ohne Linksaußen Gensheimer und ohne ihren etatmäßigen Kreisläufer Wiencek, Edelmetall gewinnt, ist groß. Und Handball-Deutschland lechzt geradezu danach.
Die Wenigsten hatten diese Euphorie erwartet. Von einer "Mannschaft an Krücken" war die Rede, nur Zweckoptimisten trauten dem Rumpfteam in dieser schweren Vorrundengruppe mit 2013-Weltmeister Spanien, 2004-Vize-Europameister Slowenien und den jeweils vierfachen Welt-, Europameister und Olympiasieger aus Schweden etwas zu.
Doch auch ohne, oder gerade wegen der vielen Verletzten, scheint die Willensstärke der Sigurdsson-Schützlinge so stark zu sein, wie schon lange nicht mehr. In der Jahrhunderthalle von Wroclaw, dem ehemaligen Breslau, zeigten die Youngster zwei Trotzreaktionen und vor allem wieder den seit einigen Jahren vermissten Biss, mit dem Berge versetzt werden.
Hoffentlich gelingt das diesen Burschen nächste Woche noch ein paar Mal in Krakau, wenn die EM-Finalspiele stattfinden. 100 Jahre Geduld, wie bei Dornröschen, hat die Handball-Nation bestimmt nicht.