Mit Spickzettel und Taktiktafel
Jede Minute ein Tor - die Zuschauer kamen auf ihre Kosten: Beim Stand von 9:9 (18.) nahm Ankersen seine erste Auszeit. Mit einem kleinen, weißen Spickzettel in der Hand und einer Taktiktafel mit etlichen, zweifarbigen, runden Magneten, die er hektisch von links nach rechts und von oben nach unten schob, justierte der Däne nach. Kurz darauf wechselte der neue Hoffnungsträger erstmals den Torsteher. Jan Kulhanek machte Platz für Jan Jochens.
Erster Drei-Tore-Rückstand
Hamm war zäh, schwer zu bespielen. Die großen, kräftigen Gästespieler scheuten keinen Zweikampf, suchten das Eins-gegen-Eins und spielten ihre Angriffe extrem lang, aber effektiv aus. Nach 20 ausgeglichen Minuten legte Hamm noch eine Schippe drauf: Über 10:12 (26.) und 11:13 (28) hieß es zur Pause 12:15 - der erste Drei-Tore-Rückstand. Vor allem Hamms 15. Treffer mit der Pausensirene - ein verdeckter, sehr cleverer Wurf aus der Hüfte - war der Hammer. Halbzeit-übergreifend kassierten die Coburger einen 4:11-Negativlauf. Aus der 9:7-Führung wurde schnell einen 13:18-Rückstand. Neuer Trainer, alte Probleme!
Zu groß waren die Lücken am eigenen Kreis, zu wenig Esprit im Angriff. Die zündenden Ideen fehlten - ohne den weiter verletzten Spielgestalter Tobias Varvne ist der HSC in der Offensive nur die Hälfte wert. Varvne-Vertreter Lukas Juskenas war bemüht, hatte immer wieder seine Kreisläufer im Blick, doch darauf war Hamm bestens eingestellt (15:20/38.) - Auszeit Ankersen!
Fabian Apfel durfte ran
Er brachte seinen dritten Torwart: Weil Jochens die Beine nicht zusammen bekam und ein paar flache Bälle durch die "Hosenträger" kassierte, schlug die Stunde von Fabian Apfel. Darauf hatte das HSC-Eigengewächs in den letzten Monaten lange gewartet. Endlich durfte auch er ran. Der Sohn des Vorstandssprecher parierte zweimal und leitete eine vermeintliche Aufholjagd ein. Endlich richtig Stimmung im Hexenkessel. Jetzt wurde es laut und die von Ankersen erhofften Tore über die Außenpositionen fielen: zweimal Billek, zweimal Preller. Der Rückstand schrumpfte - nur noch 20:22 (43.).
Doch dieser Zwischenspurt entpuppte sich zum Entsetzen des erwartungsfrohen HSC-Anhangs schnell als Strohfeuer. Technische Fehler, die eine oder andere umstrittene Entscheidung der beiden konsequent-leitenden Schiedsrichterinnen, der zweite verworfener Siebenmeter und die zu keinem Zeitpunkt nachlassende "Hammer-Power" sorgten für Ernüchterung. Mehr noch: Blankes Entsetzen im Oval, denn beim Stand von 21:27 war die Vorentscheidung gefallen. Ankersen zückte zum letzten Mal die grüne Karte (48.). Was hatte der Däne jetzt noch im Köcher?
Viel Arbeit für Ankersen
Jedenfalls nichts, was seine Spieler in der Schlussphase noch erfolgreich umsetzten. Die Schlinge zog sich zu, der westfälische Würgegriff war hart und erbarmungslos. Spätestens jetzt registrierte wohl auch der immer leiser werdende Ankersen, dass er mit dieser Coburger Mannschaft in den nächsten Wochen und Monaten noch sehr viel Arbeit hat. Längst verschränkte er seine Arme etwas ratlos vor der Brust - ein Zeichen früher Kapitulation? Das sicher nicht, doch beim Stand von 24:29 (54.) gab keiner mehr einen Pfifferling auf die "Gelb-Schwarzen" - mit Ausnahme von Tim Pechauf, dem Zweckoptimisten am Hallenmikrofon.
Wie schon unter der Regie des entlassenen Alois Mraz kamen von den sogenannten Führungsspielern zu wenig Impulse: Schröder ballerte weiter ins Fangnetz, Billek beobachtete nach einigen Fehlversuchen das Scheibenschießen frustriert von der Reservebank und "Hexer" Jan Kulhanek war dieses Mal auch kein Faktor. Der mit viel Vorschusslorbeeren vom HC Erlangen gekommene Jan Schäffer fehlte verletzungsbedingt ebenso wie Tobias Varvne - zweifelsohne der Lenker und Denker auf dem Feld.
Die Messe war gelesen (26:31/58.) - auch deshalb, weil die Abwehrarbeit des HSC einem ambitionierten Zweitligisten wieder nicht würdig war. Der verdiente Sieger hieß ASV Hamm-Westfalen. Schwere, aber auch spannende Zeiten für Handball-Coburg!
Randnotizen
Gänsehaut und Hass-Gefühle Gänsehaut-Feeling. Es sei ein wirklich überragendes Erlebnis gewesen. Als er die HSC-Hymne beim Einlaufen hörte, stockte ihm das Blut in den Adern. Es lief ihm kalt und heiß den Rücken hinunter. Eine solche Stimmung hat Brian Ankersen nach eigenen Worten in seiner jungen Trainer-Karriere bisher noch nicht erlebt. In Bietigheim, wo er vier Monate lang als Feuerwehrmann ran durfte, erlebte er nur Corona-Heimspiele. Zuletzt vor maximal 500 Fans.
Ob der Däne in seiner Amtszeit in Coburg auch eine volle Arena erleben darf? "Ich hoffe es und freue mich total darauf". Doch bis es soweit ist, will er vor allem die "persönlichen Fehler, die auf diesem Niveau nicht passieren dürfen" schnell abstellen. Gerade die "unbedrängten Fehlpässe, die uns zweimal ohne jeden Druck in der zweiten Welle unterlaufen sind", wurmen den 33-Jährigen.
Noch etwas ist Ankersen negativ aufgefallen: "Den Spielern fehlt das Selbstvertrauen. Das bekommst du aber nur mit Siegen zurück". Dafür will der neue Trainer ab sofort härter und intensiver arbeiten: "Wir müssen das Training unbedingt hochschrauben und dort mit fast gleicher Intensität arbeiten wie im Spiel."
Im Klartext: Die Spieler müssen raus aus ihrer Komfortzone. Denn eines mag ihr neuer Chef überhaupt nicht: "Ich hasse es zu verlieren. Erst recht daheim. Und dann noch mit sechs, damit bin ich überhaupt nicht einverstanden. Das muss sich ändern!"