So spannend und lebhaft kann eine Diskussion über Europa sein
Autor: Berthold Köhler
Rödental, Donnerstag, 23. Mai 2019
Beim gemeinsamen Regionentalk von Sparkasse Coburg-Lichtenfels, Coburger Tageblatt, Radio Eins und iTVCoburg waren sich alle einig, dass es zu Europa keine Alternative gibt. Aber im Detail wurden sehr wohl Unterschiede deutlich.
Da soll noch einmal jemand sagen, es sei angesichts der verkrusteten Strukturen vergebene Müh, über Europa und seine Bedeutung zu diskutieren. Bei "Auf den Punkt", dem Regionentalk der Sparkasse Coburg-Lichtenfels, dem Coburger Tageblatt, Radio Eins und iTV Coburg, hat die Gesprächsrunde in der Alten Orangerie gezeigt, dass Europa alles andere als langweilig sein kann - sondern vielfältig, lebendig und gerne mal streitbar.
Gerade einmal eine Viertelstunde ließ Martin Lücke (SPD) verstreichen, ehe er auf Angriffsmodus schaltete. Sein Ziel, wenig überraschend: Monika Hohlmeier, fast schon ein Urgestein, was die CSU und die Europapolitik angeht.
Wo kommt denn das Geld her?
Die EU-Parlamentarierin hatte zuvor die bekannte Klage gebracht: Immer, wenn auf nationaler Ebene etwas schief oder zu bürokratisch laufe, sei die EU daran schuld. Ziemlich "heuchlerisch" war für Lücke - den Coburger Arzt, der zum zweiten Mal für einen Sitz in Brüssel kandidiert - diese Argumentation. Schließlich sei die CSU-Landesregierung in Bayern "geradezu vorbildlich darin, Europa zu diskreditieren", klagte Lücke und nannte den Bau von Umgehungsstraßen als Beispiel: Da lasse sich die Landesregierung feiern, von den meist reichlich geflossenen EU-Fördermitteln sei hingegen fast nie die Rede.
Fragen im Gegenwind
Noch kontroverser waren die Ansichten zum europaweit gültigen Mindestlohn. Da plädierten Ina Sinterhauf (keine Kandidatin, aber europapolitische Sprecherin der Coburger Grünen) und Martin Lücke auf einen Satz in Höhe von 60 Prozent des durchschnittlichen Lohns im jeweiligen Land. Monika Hohlmeier wehrte sich da mit allem, was sie hatte - insbesondere mit vielen Worten. Sie befürchtete, dass der Mindestlohn, wenn er für ein Land nicht finanzierbar sei, über deutsche Transfergelder finanziert werden müsse. "Wollen Sie das?", fragte Hohlmeier nicht nur einmal in Richtung des im wahrsten Sinne des Wortes linken Flügels des Podiums. Und für diese Sorge bekam sie Gegenwind: "Plattitüden" unterstelle ihr Martin Lücke in diesem Punkt. Ina Sinterh auf erntete kräftigen Applaus für ihre Feststellung, dass es entgegen vorheriger Bedenken "für die deutschen Firmen nach Einführung des Mindestlohns auch weiterging". Constantin Hirsch-Roppelt (Radio Eins), der gemeinsam mit Tageblatt-Redaktionsleiter Oliver Schmidt die Diskussion leitete, freute sich über den offensiv ausgetragenen politischen Diskurs: "Schön zu sehen, dass die großen Parteien inhaltlich doch nicht austauschbar sind."
Bei den wirklich wichtigen Sache waren sich jedoch alle einig: Europa ist ein Erfolgsmodell! Hubertus Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha, CSU-Stadtrat in Coburg und bekennender Europäer, berichtete von seiner Erfahrung aus zahlreichen und langjährigen Auslandsaufenthalten: "Die Menschen wollten, dass wir weiter zusammenwachsen." Und das sei auch gut so, denn im globalen Wettbewerb werde selbst ein starkes Land wie Deutschland auf Dauer nicht erfolgreich sein: "Wir sind zu klein, um in der Welt zu bestehen." Bei der Frage, wie die EU bilaterale Wirtschaftsverträge aushandeln solle, gingen die Meinungen dann schon wieder auseinander.
Der Freihändler von Coburg
Der "bekennende Freihändler" Prinz Hubertus hätte schon gerne die jetzt auf Eis liegenden TTIP-Handelsverträge mit den USA unter Präsident Obama geschlossen gesehen, das Duo Sinterh auf/Lücke war der unbegrenzte Handel (Stichwort: Chlorhühnchen) nicht so recht.
Über allem stand freilich Europa als Friedensprojekt. Damit dieses weiterlebt, würde Martin Lücke sogar Geld in eine europäische Armee investieren. Aber nicht, um so als geopolitische Weltmacht aufzutreten, sondern um damit ein kontinentales Versprechen abzugeben: "Wir wollen nie mehr die Waffen gegeneinander erheben." Offensiven Widerspruch gab es da nicht einmal von Ina Sinterhauf, für die der Frieden angesichts der weltweiten Entwicklungen keine Selbstverständlichkeit mehr ist. "Wo kein Frieden ist, sind Kriege wieder möglich", warnte sie.