Sie trauen sich kaum noch aus dem Haus
Autor: Helke Renner
Coburg, Freitag, 19. Februar 2016
Für Menschen mit Angststörungen gibt es in Coburg eine neue Gesprächsgruppe. Nur dort trauen sich diese Menschen Kontakte zu.
Sie stehen mitten im Leben, sind fast alle berufstätig, freundlich und angenehme Gesprächspartner. Niemand sieht diesen Männern an, dass sie unter Angstzuständen leiden. Oft wissen nur sie um den Seelenschmerz, der seit Jahren ihre Lebensqualität enorm beeinträchtigt und der wissenschaftlich als Sozialphobie bezeichnet wird. Was nichts anderes als Angst vor anderen Menschen, vor Ablehnung bedeutet.
"Ich vermeide Kontakte und habe immer weniger Freunde", erzählt einer dieser Männer, die sich seit kurzer Zeit einmal in der Woche in einer Selbsthilfegruppe treffen. "Seit etwa zehn Jahren schon bin ich extrem schüchtern. Das ist immer schlimmer geworden. Muss ich telefonieren, brauche ich manchmal tagelang, bis ich mich dazu aufraffe. Ich kann oft nicht einmal einkaufen", sagt er.
Angst vor dem Versagen
Was aber ist daran so schlimm? Von Sozialphobie betroffene Menschen haben Angst davor, in Gegenwart anderer etwas zu tun, wofür sie kritisiert werden könnten. Sie haben Angst vor dem Versagen. Deshalb versuchen sie ständig, Situationen zu vermeiden, die sie in diesen Zustand bringen. Doch diese Vermeidungsstrategie bringt nur kurzzeitig Erleichterung.Der Betroffene wollte so nicht mehr weiterleben, fragte seinen Hausarzt um Rat, der ihn zu einem Therapeuten schickte. Die Gespräche dort und später die Medikamente hätten ihm schon geholfen, erläutert der junge Mann. Doch das reichte ihm nicht. Der Therapeut riet zu einer Selbsthilfegruppe. Die aber gab es in Coburg noch nicht. "Ich habe ihm vorgeschlagen, eine zu gründen", sagt Sabine Doehrenkamp-Steiner, die im Haus "Sozial aktiv" unter anderem für die Selbsthilfegruppen zuständig ist. "Mal sehen, ob sich jemand meldet."
Ungewöhnlich viele Männer
Sie sei selbst überrascht gewesen, dass gleich beim ersten Mal fünf Männer gekommen sind. Inzwischen habe es auch schon Wechsel gegeben, aber die Gruppe sei stabil. Zurzeit moderiere sie noch die Treffen, aber nicht mehr lange, erläutert Sabine Doehrenkamp-Steiner.
"Die können das sehr gut allein und brauchen mich nicht unbedingt." Dass bisher nur Männer das Angebot annehmen, sei für sie ungewöhnlich, ergänzt sie. "In anderen Selbsthilfegruppen überwiegen die Frauen."Die Männer, die regelmäßig zu den Gruppentreffen kommen, wissen den Austausch zu schätzen. "Es ist gut, über Dinge zu sprechen, über die man mit anderen nicht reden kann", sagt einer von ihnen. Ein anderer ist froh über die positive Resonanz, die er woanders nicht bekommt. "Man ist schnell isoliert."
Den Job aufgegeben
Was die Gruppenmitglieder erleben, ähnelt sich. Der Student zum Beispiel konnte irgendwann keine Vorlesung mehr besuchen und das Studentenwohnheim war ihm ein Graus. Er setzte aus, wurde in einer Klinik behandelt und will nun einen Neustart versuchen. Ein anderer hat seinen Job aufgegeben.
Einer erzählt, dass er zum Einkaufen am liebsten in eine fremde Stadt fährt, wo ihn niemand kennt. "Ich hatte manchmal tagelang nichts zu essen im Haus, weil ich mich nicht rausgetraut habe", ergänzt der Student.Auch die Auslöser für ihre soziale Phobie sehen die Männer ähnlich: seelische Verletzungen, oft schon in der Kindheit, Enttäuschungen, Ablehnung durch andere, der Verlust geliebter Menschen, traumatische Erlebnisse. Während ein gesunder Mensch mit derartigen Erlebnissen irgendwie umgehen kann, werden die Phobiker davon schwer getroffen. Sie reagieren mit Verunsicherung und Selbstzweifel. "Das Selbstbewusstsein sinkt bis ins Unterirdische." Oder: "Du hast ein Gefühl, als ob Du allein auf einer Bühne stehst."
Manch einem helfen dann gute Freunde ein wenig weiter. Aber die sind ja auch nicht immer zur Stelle. Da ist die Selbsthilfegruppe ein wichtiger Fixpunkt. Beim Treffen in dieser Woche ist wieder ein neues Mitglied hinzugekommen.