Sie sorgen dafür, dass niemand Hunger leidet
Autor: Sandra Hackenberg
Coburg, Freitag, 15. Oktober 2021
Wir haben die Ehrenamtlichen in der Essensausgabe besucht. Manchmal müssen sie auch mal "Nein" sagen. Doch vor allem machen sie Menschen glücklich.
Das Lächeln ihrer Augen kommt von Herzen. Doch ihre Hände sagen "Halt". Das hier ist kein gewöhnlicher Supermarkt, und Ortrud ist keine Verkäuferin.
"Wir sind eine super Tafel." Und das sagt die 73-Jährige aus voller Überzeugung. Nach 46 Jahren Arbeitsleben könnte die Frau mit den kurzen, grauen Haaren und ihren Lebensabend genießen, mit Freundinnen Kaffee trinken oder auf Kreuzfahrtschiffen die Welt bereisen. Doch die rüstige Seniorin steht lieber bis zu sechs Stunden am Tag in der Coburger Tafel und gibt Essen an Bedürftige aus.
Ihr Hoheitsgebiet ist die Molkereiabteilung, über das die Witwe mit Argusaugen wacht. Neben den schnell verderblichen Milch- und Joghurtprodukten muss Ortrud auch die haltbaren Lebensmittel - Mehl, Öl, Zucker, Brotaufstriche - rationieren.Bedürftig sind alle ihrer Kunden, doch auch hier manche mehr als andere. "Nein, Sie haben schon eine Marmelade bekommen", sagt Ortrud also bestimmt zu einer alleinstehenden Frau, die nach dem letzten Glas Nougatcreme greift. Die Finger der Rentnerin sind flinker.
Helfer suchen Helfer
Rund 45 Ehrenamtliche in der Tafel sorgen dafür, dass niemand Hunger leiden muss. Die Helfer sind selbst ein Querschnitt der Gesellschaft: alleinerziehende Mütter, die den Papa-Tag nutzen, um vor der Arbeit noch zwei Stunden Gemüse zu putzen. Menschen mittleren Alters, die aufgrund eines körperlichen Handicaps auf dem Arbeitsmarkt keinen Fuß fassen und in der Tafel Kisten schleppen.
Hartz-IV-Empfänger, die nicht untätig zuhause sitzen wollen. Juristen, die Lebensmittel sortieren.
Und Senioren wie Ortrud, die noch zu fit sind um "bloß" Rentner zu sein. "Niemand ist hier überflüssig", betont Jürgen Kroos von der Tafel. "Wir können immer Hilfe gebrauchen, sei es für die Essensausgabe, dem Sortieren der Lebensmittel oder um an der Kasse zu sitzen." Je mehr helfen, desto weniger hat jeder Einzelne zu tun.
"Jeder findet hier jemandem, mit dem er zurecht kommt. Das gefällt mir hier so", sagt Ortrud. Die 73-Jährige kam vor sechs Jahren in die Tafel, zwei Monate nachdem ihr Mann gestorben war. "Wir waren 48 Jahre lang verheiratet." Die Goldene Hochzeit war dem Paar nicht vergönnt, die beiden Kinder sind längst aus dem Haus. "Manchmal", sagt Ortrud, während sie gerade auf den nächsten Kunden wartet, "ist der Tod eine Erlösung. Und ich wollte nach seinem Tod in kein Loch fallen." Die älteste Helferin sei 80 Jahre alt. Das, sagt Ortrud, will sie mindestens auch schaffen. Und wer sie erlebt, hat keinen Zweifel daran, dass ihr das gelingt.