Sexueller Missbrauch bei Massage? Richter bricht Verhandlung ab
Autor: Katja Nauer
Coburg, Freitag, 22. Juli 2016
Der angeklagte Masseur klagte bei der Verhandlung am Freitag plötzlich über massive Kreislaufbeschwerden. Ein Urteil lässt damit weiter auf sich warten.
Immer wieder tupfte sich der Angeklagte den Schweiß von Hals und Brust. Er fühle sich schlecht, übersetzt die Dolmetscherin die Erklärungen des Deutschen mit usbekischer Abstammung, es sei zu schwül. Anwalt Alexander Schmidtgall erklärte, sein Mandant habe einen Blutdruck von 200. Im Gerichtssaal werden alle Fenster geöffnet, der Vorsitzende Richter am Landgericht, Christoph Gillot, ordnet eine Pause an, offeriert, in kühlere Räume im Keller des Landgerichtes umzuziehen.
Erst zum Arzt, dann in die JVA
Doch auch nach der Pause, als Schmidtgall seine Anträge für die Notwendigkeit weiterer Zeugenaussagen formuliert, besserte sich das Befinden des Mannes, dem die Staatsanwaltschaft sexuellen Missbrauch vorwirft, nicht. Da der Angeklagte unter Herzinsuffizienz leidet, ließ Gillot die Verhandlung vorsorglich abbrechen. Der Mann aus dem Landkreis Coburg soll erst zum Arzt, bevor er zurück in die Justizvollzugsanstalt Bayreuth gebracht wird. Schmidtgall konnte deshalb seine Anträge nicht formell einführen, übergab die Schriftstücke jedoch dem Gericht, damit zum nächsten Verhandlungstermin, der kurzfristig bestimmt wurde, schneller entschieden werden kann. Der Verteidiger des Mannes, der in seiner Praxis im Landkreis Coburg seinen Patientinnen unter Ausnutzung seines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses ungebührlich zu nahe gekommen sein soll, will Klarheit: Bei den Vernehmungen seien unterschiedliche Angaben zur Sache gemacht worden, argumentierte er. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin, die der Angeklagte auf seiner Massageliege mit Finger und Penis penetriert haben soll, sei von entscheidender Bedeutung, ebenso die Berichte zweier Polizeibeamten, die die Aussage der Frau und ihrer Partnerin im vergangenen Jahr auf der Polizeiwache aufgenommen haben.
Am vierten Verhandlungstag sagte ein Arzt aus. In einem Fall soll der Masseur seine Patientin im Jahr 2014 zur Behandlung von Unterleibsproblemen mit einer Hand penetriert haben.
Arzt darf nie alleine mit Frau sein
Der Zeuge erklärte, dass der Angeklagte über keinerlei Erfahrungen und Qualifikationen verfüge, um derartige Diagnosen stellen zu dürfen. Bei einer Senkung der Gebärmutter gebe es zudem keine manuelle Behandlung, betonte er. Außerdem wies er darauf hin, dass "kein männlicher Arzt eine Untersuchung alleine in einem Zimmer mit einer Frau" machen dürfe. "Grundsätzlich muss eine weibliche Begleitperson bei der Untersuchung dabei sein." In der gesamten Ausbildung in den verschiedensten medizinischen Fachbereichen gäbe es keine Ausbildungsordnung, die eine irgendwie geartete Massage im Genitalbereich vorsehe, erklärte er.Mit seinen Fragen, die teilweise bereits eine Antwort implizierten, und seiner Interpretation für juristische Grundsätze musste sich Schmidtgall immer wieder Einwendungen der Staatsanwältin, der Nebenklägervertreterin und des Richters Gillot anhören. "Kurzzeitig kann man sicher die Schmerzen durch manuelles Anheben der Gebärmutter lindern", bestätigte der Arzt die Frage Schmidtgalls nach dem Erfolg der manuellen Therapie des Masseurs. "Das ist aber nicht dauerhaft."
Als bei den Fragen zu Ausbildung und Qualifikation zu sehr abgeschweift wurde, schaltete sich der Richter ein: "Ich gehe davon aus, dass ein Arzt eine Prüfung macht, ebenso ein Krankengymnast, und auch für Masseure gibt es staatliche Prüfungen."
Wegen Asthma zum Masseur
Auch die betroffene Frau trat in den Zeugenstand: Die Münchnerin habe den Masseur mehrmals wegen ihres Asthmas sowie wegen Magen- und Darmproblemen aufgesucht. Weil sie Probleme mit ihrer Blase hatte, habe der Angeklagte den Unterbauch der Frau, die bei der Untersuchung vollständig entkleidet gewesen sei, abgetastet und eine Gebärmuttersenkung diagnostiziert. Sie habe der Behandlung über den vaginalen Bereich zugestimmt, betonte die Frau und damit keine Probleme gehabt. Daraufhin hielten die Richter der Zeugin ihre schriftliche Aussage vor, in dem von "alter Mann" und "eklig" die Rede ist. Die Zeugin rechtfertigte sich: "Wer will sich schon von einem fremden Mann anfassen lassen. Aber auch beim Frauenarzt muss ich mich untersuchen lassen." Sie sei damit einverstanden gewesen. Denn: "Meine Gesundheit geht vor." Zudem habe der Masseur ihr immer gesagt, was gemacht werde: "Und das nie ohne meine Zustimmung."
Immer Rücksprache gehalten
Der Angeklagte habe immer professionell auf sie gewirkt, erklärte sie und gab auf Nachfrage eine Definition dafür ab: "Professionell ist für mich, wenn man mit dem Patienten Rücksprache hält, was man festgestellt hat und welche weitere Behandlung man vorschlägt." Das sei stets der Fall gewesen. Weil die Frau immer wieder mit juristischen Begriffen argumentierte, vermutete die Nebenklägervertreterin Einflussnahme auf die Zeugin. "Haben Sie mit jemandem Kontakt gehabt?", hakte sie nach. Das verneinte die Münchnerin. Sie fände es nur ein bisschen schade, dass solche Menschen wie der Angeklagte so verurteilt würden, sagte sie. Sie habe ihren Masseur damals sehr geschätzt. Für sie sei eine sexuelle Straftat, wenn die Frau sich dagegen stelle, erklärte sie. "Für mich war die Behandlungsmaßnahme logisch und deshalb habe ich zugestimmt."Die Verhandlung wird am Montag, 25. Juli, um 15 Uhr fortgeführt.