Sehnsucht nach Sondheim bleibt in Coburg
Autor: Dr. Carolin Herrmann
Coburg, Montag, 01. Oktober 2018
Zum Auftakt in der Coburger Reithalle wurde das Stephen Sondheims Musical "Marry Me a Little" musikalisch nicht bewältigt.
Da muss dringend nachjustiert und geübt werden. Allerdings ist dieses kleine Stück, "Marry Me a Little" musikalisch auch wirklich anspruchsvoll. Mit Stephen Sondheim wurde die neue Coburger Theatersaison unter neuer Intendanz auch in der Reithalle eröffnet.
"Heirate mich ein bisschen" war eine Art Revue aus Sondheim-Songs, unveröffentlichte oder aus seinen großen Musicals entnommen, die schon 1980 off-Broadway auf die Bühne kam. Diese gut einstündige Liederfolge um zwei einsame junge Menschen in New York, die nicht zueinander finden, wurde schon vielfach unter verschiedenen Prämissen interpretiert. Sie lässt sich, wie Regisseurin Amelie Elisabeth Scheer in der Reithalle beweist, sehr treffend und berührend in die im Virtuellen entschwindenden heutigen Verhältnisse übertragen.
In den zwei Wohnkammern vor New Yorker Sound-Kulisse, die Ausstatterin Susanne Wilcek geschickt in die Reithalle gepackt hat, räumen, werkeln oder schlurfen orientierungslos einsam ein Mann und eine Frau, Tür an Tür, ohne sich in der Realität näher zu kommen. Getarnt, unter Pseudonym stoßen sie im Internet, im Blog, aufeinander, spielen mit Worten, verführen und verlieben sich. Wir verfolgen den Chat in der großen Projektion links neben den Wohnkammern.
Doch er, ein Bücherwurm, der seine wundervollen Botschaften, Gefühle und Texte schlicht aus der großen Literatur entnommen hat, verweigert den Schritt in die Realität. "Es sollte wohl nicht wahr sein", trösten sich die beiden am Ende jeder für sich, was genauso falsch ist, wie der nur in der Fantasie, aber in der Täuschung des tatsächlich doch völlig unsozialen elektronischen Mediums unternommene Weg. Beide sind am Ende unglücklicher denn je. - Ein brisantes, aktuelles Stück über unsere heutige seelische Verfasstheit also.
Eine intensive Kammeroper
Doch die musikalische Umsetzung gelang (bisher) nur unvollkommen. Die Bezeichnung "Musical" trifft bei Stephen Sondheim häufig nicht, spricht nicht dessen komplexe, vielschichtige musikalische Dichte an. Auch "Marry Me a Little" ist, jedenfalls unter der musikalischen Leitung von Marco A. Cruz Otero und Dominik Tremel, eine intensive kleine Kammeroper, die tief in die Sehnsüchte, Ängste und Verhinderungen ihrer Protagonisten eindringen will.
Überfordert
Bei der Premiere saß Dominik Tremel begleitend am Flügel, und immer, wenn der Focus auf ihn fiel, berührte die Zartheit von Sondheims Poesie, versetzten dessen rhythmische Raffinessen und sein Witz in Spannung. Doch leider sind die beiden Darsteller, ohne technische Verstärkung und in der gnadenlosen Nähe zum Publikum, gesanglich überfordert. Und fanden bei der Premiere schon gar nicht zueinander.
Schauspielerisch sind beide toll, keine Frage. Doch Veronika Hörmanns durchaus kraftvolle Musical-Stimme erscheint hier überwiegend schrill, grell, forciert, sprengt den intimen Rahmen, wo sie zur großen emotionalen Geste ansetzen will. Der ja sehr vielseitige Schauspieler Benjamin Hübner, der auch gesanglich an anderer Stelle schon beeindruckte, kann zwar technisch durchaus folgen, den großen Sprüngen, der inneren Dynamik, wirkt aber neben Hörmann geradezu stimmlos, indisponiert.