Druckartikel: Schlagt ihn tot, er ist ein Rezensent?

Schlagt ihn tot, er ist ein Rezensent?


Autor: Dr. Carolin Herrmann

Coburg, Mittwoch, 04. Januar 2017

Die Berichterstattung des Tageblattes über das Weihnachtskonzert des musischen Gymnasiums Albertinum hat für Empörung, aber auch viel Zustimmung gesorgt.
An den Coburger Gymnasien Albertinum und Casimirianum hat die musikalische Ausbildung einen hohen Stellenwert. Sie treten mit besonderen Konzerten an die Öffentlichkeit und spielen im Kulturleben eine beachtenswerte Rolle, müssen aber auch Kritik ertragen können.  Fotos: Carolin Herrmann


"In diesem Sinne freu en wir uns auf ein baldiges Wiedersehen!" - Ja, genau! Zwei Schülerinnen des Albertinums, Dorothee Winkler und Fabiola Melchior, riefen das der Kritikerin des Weihnachtskonzertes vom Coburger Gymnasium Albertinum am Schluss ihres engagierten Leserbriefes zu (abgedruckt im Tageblatt vom Dienstag dieser Woche). Und stimmten damit genau in jenen Ton ein, in dem die Besprechung des Weihnachtskonzertes des Gymnasiums Albertinum (Tageblatt vom 23. Dezember, nachzulesen auch nach wie vor im Internet unter www.infranken.de) geendet hatte: Freuen wir uns auf die Sommerserenade. Was eben auch die Kritikerin tut, die das öffentliche Auftreten des musischen Gymnasiums seit vielen Jahren mit Begeisterung, ja immer wieder mit Jubel über das dort Geleistete und Gebotene begleitet hat.

Was war geschehen im Coburger Kulturleben, dass sich manche erregten über die in diesem Fall tatsächlich kritische Berichterstattung des Tageblattes, die Autorin aber auch ungewöhnlich viel Zustimmung erfuhr? (Siehe auch unten stehenden Leserbrief.)


Klar festgestellt

Stellen wir als erstes fest, dass im lokalen Kommunikationsprozess offensichtlich die Fassade des unproduktiven, mitunter sogar heuchlerischen Gehätschels, auf das im Grunde niemand hört, durchbrochen wurde, auch wenn das nicht die Absicht der Konzertrezension war.

Und etwas sei gleich, bevor wir uns diesen offensichtlich in der lokalen Kommunikation doch interessanten Fall näher anschauen, entschieden zurückgewiesen: Die Schülerinnen und Schüler des Albertinums wurden nicht wegen "schiefer Töne" kritisiert, ihre Leistung wurde keineswegs abgewertet, wie in zwei weiteren Leserbriefen behauptet wurde. Im Gegenteil, mehrfach wurde auf die immer wieder wechselnden Bedingungen an Schulen hingewiesen, dass Ensembles immer wieder neu aufgebaut werden müssen. Worin nicht eine Herausforderung für die Schüler liegt, sondern für die Musiklehrer, die dabei nicht ermüden dürfen. Ebenso wie alle Lehrer immer wieder von vorne beginnen müssen.

Allerdings unterscheidet sich die Berichterstattung über die bewusst ja auch an die Öffentlichkeit gerichteten Konzerte des musischen Gymnasiums Albertinum - und in gewisser Weise auch über das humanistische Gymnasium Casimirianum - von der über andere Coburger Schulen: Das Albertinum muss sich am eigenen Anspruch messen lassen, nicht am Niveau professioneller Darbietungen, aber sehr wohl am eigenen. Der ermöglicht es jedes Jahr einer ganzen Reihe von Schulabgängern, eine professionelle musikalische Laufbahn einzuschlagen.


Eine besondere Aufgabe

Das Albertinum hat einen im musischen Bereich über das Herkömmliche hinaus gehenden Auftrag, wofür ihm auch ein deutlich größerer (öffentlich finanzierter) Lehrkörper zur Verfügung steht.

Und es hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine durchaus besondere Rolle im Coburger Kulturleben errungen. Die gilt es zu wahren und zu verteidigen, von allen Seiten: Mit dem Engagement der "Schulfamilie" selbst, wie sie von den Leserbriefschreiberinnen angesprochen wurde (und die sich selbstverständlich nicht "runterziehen", sondern anspornen lässt). Aber auch von öffentlicher Seite, von der lokalen Gesellschaft durch ihr Interesse und ihre Beteiligung an den Veranstaltungen des Albertinums. In der lokalen Lebenswelt wiederum ist das Coburger Tageblatt eine Stimme.


Sie müssen sich dem stellen

In diesem Sinne versteht sich die Autorin des Coburger Tageblattes, die sich in diesem Falle in der Verantwortung sah, zu beschreiben, klar festzustellen, dass in der Konzeption, in der Gestaltung des Konzertes diesmal nicht an allen Stellen das erreicht wurde, was wir vom Albertinum gewohnt sind. (Übrigens lobte der Artikel über mehr als die Hälfte, sprach vom wunderbaren Wohlklang des Sinfonischen Orchesters...) Dafür ist am Albertinum eine ganze Mann- und Frauschaft von Profis verantwortlich, ausgebildete Musiker und Pädagogen, die man wohl daran erinnern darf, dass sie sich an der Leistungsfähigkeit, an den Bedürfnissen, am Wünschenswerten für ihre Schüler zu orientieren haben. (Und nicht, wie das manchmal auch geschieht, am eigenen Ehrgeiz.) Und die es sicher auch verkraften, darauf hingewiesen zu werden. Im übrigen wird auch an den anderen Coburger Schulen überlegt und geplant, was in einen Konzertablauf passt, was zu leisten ist, was den Besuchern zuzumuten ist über die Begeisterung mancher Muttis und Vatis hinaus, die ihre Kleinen auf der Bühne sehen wollen, koste es, was es wolle.

Blicken wir aus dem gegebenen Anlass in aller Kürze auf die lokale Kulturwelt: Was darf Kritik darin tun, was kann, was muss sie leisten?

Die Institutionen und Akteure lokaler Gesellschaften neigen dazu, in gegenseitiger Selbstbestätigung zu erstarren. Kritik tut immer weh, in der lokalen Nähe besonders. Also versucht man sie zu vermeiden. Doch der kritische Geist ist Vater und Mutter aller Weiterentwicklung. (Kritischer Geist bedeutet nicht Schmähung, Verletzung.)


Freuen Sie sich trotzdem

Es hat viele Jahrhunderte gedauert, bis öffentliche Kritik etabliert war. Gerade in der Unmittelbarkeit des Lokalen ist sie ständig gefährdet. Professionell gepflegte Kritik stützt sich auf theoretische Kenntnisse und vergleichende Erfahrung. (In diesem Fall hier Fachstudium und fast 30 Jahre kontinuierlich ausgeübte Kulturberichterstattung, über 20 Jahre davon in Coburg). Sie bleibt trotzdem immer auch persönliche Einschätzung; sie sollte begründet und nachvollziehbar sein, heißt aber nicht, dass andere Meinungen verboten seien oder dass sich Konzert- oder Theaterbesucher nicht trotzdem über einen schönen Abend freuen dürften. Begründete, veröffentlichte Kritik ist nicht mehr als der Versuch, vergleichend einzuordnen, an Maßstäbe zu erinnern, Reflexion zu bieten.

Das ist noch relativ einfach und klar bei professionellen Künstlern. Im Falle des Albertinums und einer in den letzten Jahren erstaunlichen Entwicklung von Initiativen, die unter professioneller Anleitung die Grenze der Laiendarstellung überschreiten, wird die Berichterstattung schwieriger. Doch wird gleichmacherisches Lobhudeln solchen Anstrengungen gerecht?

Übrigens: Die Autorin hat selbst eine Tochter am Albertinum, die an dem Konzert beteiligt war.