Druckartikel: Scheuerfelder Urnenfeld und ein Platz für gelebte Geschichte

Scheuerfelder Urnenfeld und ein Platz für gelebte Geschichte


Autor: Christiane Lehmann

Coburg, Mittwoch, 28. November 2018

Der Scheuerfelder Friedhof wird umgestaltet. Was jetzt noch wie Kraut und Rüben aussieht, soll im Frühjahr zum Platz der Erinnerungen werden.
Pfarrer Hartmut Braune-Bezold: "Das Helbich-Grab wird den Mittelpunkt der neuen Anlage bilden."


Der Friedhof ist ein Ort der Begegnung, ein Ort der Erinnerung, ein Ort der inneren Einkehr. Hier wird geweint und getrauert, gepflanzt, gegossen verglichen und getratscht: "Die könnte auch mal wieder Unkraut zupfen?", "Was ist denn das für eine kleine Schale?", "Hast Du den kitschigen Grabstein gesehen? Größer ging's wohl nimmer?". Im Grunde ist der Friedhof Abbild unserer Gesellschaft und gehört zum Leben - eben, weil sich selbiges dort abspielt.

Über den Scheuerfelder Friedhof selbst wird in letzter Zeit viel getuschelt. Hörensagen, nennt es Pfarrer Braune-Bezold, denn ihm ist noch nichts direkt ins Gesicht gesagt worden. Dabei könnte er die triste Situation, die dort zwischen den aufgereihten Einzelgräbern und dem Urnenfeld herrscht, gut erklären.

Gräber aufgelöst

Die Fläche gegenüber der Kapelle sieht aus wie Kraut und Rüben: Die Lebensbäume mussten gefällt werden, wie der Pfarrer sagt, die Hecken sind entfernt und die Gräber aufgelöst. "Die meisten waren jetzt 30 Jahre alt, da war das kein Problem", erläutert Braune-Bezold. Einige hätten noch ein paar Jahre Zeit gehabt, doch die Kirchengemeinde hatte den betroffenen Familien angeboten, das Grab aufzulösen. Hintergrund ist die geplante Umgestaltung des Friedhofs.

Für Friedhofsverwalter Gerhard Hübner ist die schon in vollem Gange. Hecken sind ausgegraben, Bäume gefällt worden und - wo Hilfe bei der Auflösung der Gräber nötig war, stand er bereit.

Jedes Jahr laufen etwa zehn Gräber der insgesamt etwa 200 aus. Die Fläche gegenüber der Kapelle bot sich daher an, einen besonderen Platz zur Erinnerung an bemerkenswerte Scheuerfelder zu schaffen. So werden dort alte Grabsteine mit kleinen Erläuterungstafeln zu deren Geschichte aufgestellt. Dazu gehört Pfarrer Helbich, der von 1908 bis 1935 in Scheuerfeld gewirkt hat. Aber auch der Stein des Lehrerehepaars Tröger, das in den 50er Jahren unterrichtet hat, wird dort künftig zu finden sein, ebenso Elsa Jucht, die "Wirtin mit Zivilcourage", wie sie der Pfarrer nennt.

Bemerkenswertes Gedenken

Der Stein mit den drei Kreuzen erinnert an die gefallenen Söhne der Familie Strobel und die Scheuerfelder Schaustellerfamilie Scholz bekommt ihren Platz. Zwei Soldatengräber sind Zeugen einer schweren Zeit. "Wir werden auch der Opfer von Gewaltverbrechen gedenken", sagt der Pfarrer, der die Planung zusammen mit dem Friedhofsausschuss und Architekt Thomas Peetz gemacht hat. Im Frühjahr soll mit der Neugestaltung abgeschlossen werden.

Den Kindern nicht zur Last fallen

Etwa acht von zehn Bestattungen finden mittlerweile auf dem Urnenfeld statt. Kleine runde Gedenksteine markieren das Urnengrab auf der grünen Wiese. Nur in den Wintermonaten - von Allerheiligen bis Ostern - dürfen dort kleine Gebinde oder Lichter hingelegt werden, ansonsten ist das verboten. "Wir achten da drauf und reagieren rigoros", sagt der Pfarrer. Dafür wurde ein Platz geschaffen, auf dem die drei alten Kirchenglocken arrangiert sind, und auf dem jeder Blumen ablegen kann.

Auch am Gedenkstein, der an die Angehörigen der Flüchtlinge erinnert, die in der Heimat gestorben sind, steht eine frisch gepflanzte Schale. In Scheuerfeld wurden nach dem Krieg viele Flüchtlinge und Vertriebene aufgenommen, die mittlerweile auch eigene Gräber haben.

"Es gibt immer weniger Einzel- und Familiengräber", erklärt der Pfarrer. Das Urnenfeld ist mittlerweile der beliebteste Platz. Das bestätigt auch Bestatter Roland Schneider. "Im ganzen Landkreis ist das der Trend." Die Menschen wollen ihren Angehörigen keine Arbeit machen, wollen ihre Sachen vorher schon geregelt wissen, sagt der Seelsorger. Immer mehr suchen sich ihren Ort schon vorher aus. "Am liebsten würden sie auch gleich alles bezahlen." Die Kinder sind weit weg oder haben keinen Sinn oder keine Zeit mehr für die Grabpflege. So sei das eben. Deshalb würden auch Baumbestattungen immer beliebter. In Scheuerfeld hat man deshalb einen angrenzenden Streifen Land gekauft, wo das möglich gemacht werden soll.

Hund und Herrchen

Braune-Bezold, der im Februar ausscheidet, geht sogar noch einen Schritt weiter. Er hätte es gern, wenn auf dem Friedhof in Scheuerfeld auch Tiere mit beerdigt werden könnten. "Hunde und Katzen sind oft echte Familienmitglieder." Anders als in früheren Zeiten sei die Bindung viel enger und wichtiger. Deshalb wäre es doch auch schön, wenn der Hund neben dem Herrchen liegen könnte. Vor Jahren sei er mit diesem Vorschlag im Kirchenvorstand kläglich gescheitert. Doch die Zeiten haben sich geändert. Pfarrer Braune-Bezold: "Es hat ein Umdenken stattgefunden."

Gedanken von Christiane Lehmann

Der letzte Platz hat seine Tücken

Kein Jahr ohne Tod. Irgendwie begegnet er uns immer. Wer oder was wird nächstes Jahr nicht mehr sein: Die Oma? Der Hund? Die Nachbarin? Der alte Schulfreund? Das Sterben und die Trauer sind viel gegenwärtiger als wir glauben.

Wenn dann noch die Mitteilung ins Haus flattert, dass das Familiengrab jetzt aufgelöst oder für die nächsten 30 Jahre verlängert werden kann, werden Erinnerungen wach und Zukunftsfragen gestellt.

Ein Grab weniger bedeutet eine Aufgabe weniger. Hegen und pflegen kostet Zeit und Geld. Auf einem Dorffriedhof steht man unter Beobachtung. Es geht also um mehr. Es geht auch ums Ansehen.

Ein Grab weniger heißt aber, dass der Ort, an dem du dich getröstet hast, an dem du das Gespräch mit deinen Verstorbenen gesucht hast, an dem du dich erinnert und getrauert hast, nicht mehr da ist.

Und was wird aus dem Grabstein? Schließlich stehen da all die vertrauten Namen drauf... Zu schade für den Container, aber auch ganz schön schwer für den Abtransport in den eigenen Garten.

30 Jahre Grabpflege kann für die Angehörigen eine Bürde sein. Früher hat man sich da weniger Gedanken gemacht. Da war es einfach so! Schließlich waren ja die Kinder und Kindeskinder auch in der Nähe.

Das hat sich verändert. Die Globalisierung jagt die Menschen um den Erdball. Immer mehr Senioren sterben allein und einsam. Kein Wunder also, dass Urnenplatten auf der grünen Wiese so beliebt sind. Keine Pflege - keine Verantwortung.

Und doch ist da eine Sehnsucht in den Menschen, die durch die Veränderungen in dieser Welt immer stärker wird: Die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Gemeinschaft und einer Heimat. Wo Menschen dies nicht mehr geben können, kommt Hund und Katz ins Spiel. Früher dienten sie als Haus- und Hofwächter , Mäuse- und Rattenfänger, heute sind sie echte Gefährten, Familienmitglieder und Partnerersatz. Mit treuen Seelen und bedingungsloser Liebe. Provokante Zungen könnten von einem Rollentausch sprechen: Der Mensch funktioniert, das Tier "empathisiert". Warum sollte also das Frauchen nicht neben ihrem Kater begraben werden? Warum darf der Hund nicht mit ins Familiengrab?