Schaurig schöne Einsamkeit am Landestheater Coburg
Autor: Jochen Berger
Coburg, Sonntag, 14. Mai 2017
Wie der doppelte Premierenabend mit Kurzopern von Francis Poulenc und Toshio Hosokawa das Coburger Publikum beeindruckt.
Ist das Leben manchmal vielleicht doch der raffiniertere Regisseur als der raffinierteste Theatermacher? Als Coburgs Intendant Bodo Busse im März letzten Jahres seinen Spielplan für die Saison 2016/2017 bekannt gab, konnte noch niemand wissen, dass der doppelte Premierenabend mit zwei Abschieds-Opern von Francis Poulenc und Toshio Hosokawa im Mai 2017 unter ganz besonderen Vorzeichen stehen würde.
Denn nur zwei Monate nach der Spielplan-Präsentation wurde bekannt, dass Coburgs Intendant als Generalintendant ans Staatstheater Saarbrücken wechseln würde. Und aus den Abschiedsopern um zwei verlassene Seelen wurde ein Abschieds-Abend für den Regisseur Bodo Busse.
Betrogen und verlassen
Die Premiere am Samstag im Landestheater - sie gerät auf diese Weise zum eindringlichen Beleg dafür, wie spannend, wie packend modernes Musiktheater sein kann. Poulencs "La voix humaine" nach einem Text von Jean Cocteau und Hosokawas "The Raven" nach Edgar Allen Poes berühmtem Gedicht "The Raven" - sie ergänzen sich thematisch auf sehr stimmige Weise, obwohl sie musikalisch völlig unterschiedliche Sprachen sprechen. Und in beiden Fällen stehen Frauenstimmen im Mittelpunkt, auch wenn Hosokawas Solistin eine Hosenrolle zu verkörpern hat.
Das Coburger Publikum erlebt einen Premierenabend mit zwei außergewöhnlichen Sängerdarstellerinnen, die gleichermaßen in Bann ziehen. Poulencs Protagonistin ist eine Frau, die von ihrem Liebhaber schnöde betrogen und verlassen wird. Verzweifelt kämpft sie am Telefon um ein würdiges Ende ihrer verratenen Liebe - vergebens freilich. Christof Cremer, der beide Teile dieses doppelten Opernabends ausgestattet hat, zeigt Poulencs Monooper sehr suggestiv in einem Käfig aus roten Schnüren, der bisweilen auch an einen Boxring denken lässt. Die verlassene Frau ist in diesem Schnür-Würfel ausweglos gefangen.
Brillante Darstellung
Dieses stringent umgesetzte Ausstattungskonzept garantiert ästhetisch stimmige Bilder, gerät aber auch für Regie und Darstellerin zur anspruchsvollen Herausforderung. Denn Tobias Materna verzichtet in seiner Inszenierung bewusst auf allzu realistische Details und platziert das Telefon als zentrales Requisit dieses einseitigen Beziehungsdramas draußen vor dem roten Würfel - unerreichbar für die verlassene Frau.In der detailgenauen Regie brilliert Anna Gütter mit einer faszinierend nuancenreichen Darstellung und fein differenzierter musikalischer Gestaltung. Sie ist verzweifelt und wütend, zornig und unterwürfig, sie lockt und droht ihrem unsichtbar bleibendem Gegenüber.
Bodo Busses Erstaufführungs-Inszenierung von Hosokawas "The Raven" ist eine raffiniert anspielungsreiche Deutung des Stoffes. Der von einer Sängerin verkörperte Mann, der um seine gestorbene Geliebte trauert und sich einlässt auf einen rätselhaften Dialog mit einem Raben - Busse bringt diese Geschichte mit feinem Gespür für subtile Anspielungen und die Balance zwischen realistischem Detail und surrealem Kontext auf die Bühne.
Symbolschwere Details
Christof Cremer hat dazu einen konsequent schwarzweiß gehaltenen Bühnenraum geschaffen mit übergroßem Mobiliar und symbolschwer aufgeladenen Details. Verena Usemann entfaltet in dieser Rolle ihr außergewöhnliches Talent als Sängerdarstellerin mit feinsten Nuancen in Spiel und Gesang. Am Pult des Philharmonischen Orchesters steht bei dieser Doppelpremiere ein Gast: Hannes Krämer. Nach einem erfolgreichen Coburg-Debüt als Konzertdirigent beeindruckt Krämer mit seiner fein differenzierten Gestaltungskraft und reaktionsschnellen Umsichtigkeit. Unter seiner Leitung musiziert das Philharmonische Orchester die beiden stilistisch höchst unterschiedlichen Partituren von Poulenc und Hosokawa mit außergewöhnlicher Intensität und verdient sich damit einen großen Anteil am intensiven und beachtlich ausdauernden Beifall.
Zwei Coburger Premieren an einem Abend
Theater-Tipp Toshio Hosokawa "The Raven" (Deutsche Erstaufführung) / Francis Poulenc "La voix humaine", 20. Mai, 22., 28. Juni, 19.30 Uhr, Landestheater CoburgLa voix humaine Die Monooper von Francis Poulenc entstand nach einem Text von Jean Cocteau aus dem Jahr 1930. Die "Tragédie lyrique" in einem Akt wurde am 6. Februar 1959 in der Opéra Comique in Paris uraufgeführt. Francis Poulenc erzählt in "Die menschliche Stimme" die Geschichte einer verlassenen Frau, die am Telefon versucht ihren Geliebten zurückzugewinnen.
The Raven Der Kammeroper "The Raven" von Toshio Hosokawa liegt ein Gedicht von Edgar Allen Poe zugrunde. Das Poem handelt von einem Mann, der seine gestorbene Geliebte vermisst. Eines nachts setzt sich ein Rabe über seine Zimmertür. Der Mann ist verwundert, stellt Fragen und erhält vom schwarzen Vogel immer nur ein Wort als Antwort: "Nimmermehr!"