Romy: selbstbewusst und eigenständig
Autor: Christiane Lehmann
Coburg, Sonntag, 20. März 2016
Behindert ja, krank nein: Romy Reisenweber wohnt und arbeitet im Ernst-Faber-Haus. Die 27-jährige Frau mit Down-Syndrom führt ein glückliches Leben.
Romy Reisenweber stand in ihrem Leben schon oft in der Öffentlichkeit - ob als kleines Mädchen mit einem Werbefoto für die Bäckerei ihrer Eltern oder mit Mut-mach-Geschichten über Down-Syndrom-Kinder, die im Tageblatt und der Zeitung des Vereins Hilfe für das behinderte Kind in Coburg erschienen.
In den vergangenen Jahren ist es ruhiger geworden. Denn das Leben von Romy Reisenweber verläuft ganz normal: Sie wohnt allein, arbeitet für eigenes Geld, hat einen strukturierten Alltag, Freunde und eine Familie, die sich regelmäßig kümmert. Und trotzdem gibt es einiges Bemerkenswerte über die junge Frau mit dem Down Syndrom zu erzählen. Denn noch immer ist Romy ein Vorbild für viele Menschen, die ein Chromosom mehr haben als andere.
Ich besuche Romy Reisenweber in ihrem kleinen Appartement im Ernst-Faber-Haus. Wir kennen uns schon lange und sie begrüßt mich freudig.
Von Anfang an war Romy für Renate Reisenweber ein Kind von vieren. "Ich war 44 Jahre als Romy auf die Welt kam. Wir haben keine Untersuchung vorab machen lassen. Es spielte für mich und meinen Mann keine Rolle. Romy war da und alles war gut. Ich hatte ganz viel Liebe, Kraft und Energie in mir und die Erfahrung von drei Kindern."
Die Reisenwebers engagierten sich von Anfang an beim Verein Hilfe für das behinderte Kind, in dem Renate Reisenweber auch heute noch stellvertretende Vorsitzende ist. Romy hatte Glück - nicht nur mit der Einstellung und Liebe ihrer Eltern, sondern auch mit dem Schweregrad ihrer Behinderung. Zwar musste das Mädchen als Baby zwei Mal am Herzen operiert werden, "aber ansonsten bin ich ganz gesund", sagt Romy. Das Mädchen ist geritten, war im Ballett, hat im Chor gesungen und ist regelmäßig zum Schwimmen gegangen.
Rede vor 17 000 Menschen
Wie gesund sie ist, das bewies die junge Frau im vergangenen Jahr auf eine sehr beeindruckende Art und Weise. Nachdem sie 25 Kilogramm durch eine Low-Carb-Diät abgenommen hatte ("Papa kann kohlehydratarmes Brot backen, Mama macht Sport mit mir"), lief sie einen 5000 Kilometer-Run in Köln mit. Anschließend hielt sie eine freie Rede vor 1700 Menschen über ihre Behinderung, ihr Leben und ihr Selbstbewusstsein. "Ich hab allen gesagt, dass ich zwar behindert, aber nicht krank bin. Und ich habe gesagt, dass ich jetzt nach der Diät, nicht mehr wie ein Wal schwimme, sondern wie ein Delfin." Am Ende bekam Romy Reisenweber Standing Ovation und die Menschen hatten Gänsehaut und Tränen in den Augen. Über 50 Männer, Frauen und Kinder standen Schlange, um ein Foto mit Romy aufzunehmen. "Das war das tollste Erlebnis, das ich bisher hatte", sagt Romy und strahlt übers ganze Gesicht.
Wie sie sich denn in ihrer Wohnung und bei der Arbeit im Ernst-Faber-Haus fühlt, möchte ich wissen. Ob sie nicht manchmal einsam ist?
Weit gefehlt. Aus Romy sprudelt es nur so heraus: Wie viel Spaß ihr die Arbeit macht. Beides, im Service, wo sie täglich von 7 bis 11 Uhr arbeitet, und in der Wäscherei. Lob und Lohn sind für Romy eine tolle Bestätigung. Sie liebt ihre Wohnung, in der sie tun und lassen kann, was sie möchte. Am liebsten liegt sie auf der Couch und telefoniert. Romy hat eine ganze Reihe guter Freundinnen, die sie aus der Schule oder aus der Zeit in der Wefa noch kennt.
Eigene Lebensmanagerin
Außerdem geht sie in Stadt einkaufen oder bummeln, fährt mit dem Zug nach Rödental zu ihrem Vater, oder nach Bad Rodach zu ihrer Freundin. Das klappt alles eigenständig. Lediglich zur Bank und manchmal zum Shoppen begleitet sie ihre Mutter. Eine Assistenz kommt einmal in der Woche für drei Stunden. Aber ansonsten ist Romy ihre eigene Lebensmanagerin. "Ich hab eben viel Glück", strahlt die junge Frau übers ganze Gesicht.
Romy, die Fernkorrespondentin
Ohrenkuss ist eine Zeitung, gemacht von Menschen mit Down-Syndrom.
Das Projekt der downtown - Werkstatt für Kultur und Wissenschaft definiert sich so: Man hört und sieht ganz vieles - das meiste davon geht zum einen Ohr hinein und sofort zum anderen Ohr wieder hinaus. Aber manches ist wichtig und bleibt im Kopf - das ist dann ein Ohrenkuss.Down-Syndrom Menschen mit Down-Syndrom haben 47 statt 46 Chromosomen. Bei ihnen ist das Chromosom 21 dreimal vorhanden. Daher kommt die Bezeichnung "Trisomie 21".
Portrait Fernkorrespondentin Romy Reissenweber, *1989 hat ziemlich kleine Füße, wohnt gerne in einer Wohngemeinschaft und ist großer FC Bayern-Fan. Sie mag Zitroneneis, Peter Pan und die Karibik, steht auf italienisches Essen und taucht. Sie hasst aber Mobbing und alles mit Spinat, wobei ihr Lieblingsplatz eindeutig das Sofa ist. Ihre Texte für Ohrenkuss schreibt sie als Fernkorrespondentin am Computer. Sie spielt am liebsten Mensch-ärgere-dich-nicht spielt und ist Schlager-Fan. Ihre Arbeit schätzt sie wegen "Lohn und Lob". Sie telefoniert für ihr Leben gern.
Motivation Warum Romy bei Ohrenkuss mitmacht: "Es ist sehr wichtig, weil man anderen etwas mitteilen kann. Buchstaben von A-Z. Ein Buchschreiber. Viele Menschen wissen dann, was ich denke. Wenn Jesus noch da wäre, hätte ich ihn gerne kennen gelernt und ihm Briefe geschrieben."
Internetseite www.ohrenkuss.de