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Rodins Muse landet im Irrenhaus


Autor: Berthold Köhler

Berlin, Donnerstag, 14. Februar 2013

Warum Filme spannend sein können, in denen scheinbar nichts passiert. Und warum "Camille Claudel" dennoch die Erwartungen des Publikums enttäuscht.
Juliette Binoche spielt die Titelrolle in "Camille Claudel". Bruno Dumonts Neuverfilmung zeigt die einstige Muse Auguste Rodins als alternde Frau, die in einer Anstalt für Geisteskranke dahinvegetiert. Foto: Verleih


Es passiert scheinbar wenig im Wettbewerb der 63. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Immerhin - das ist ja schon mal ein Trend. Es sind viele Filme zu sehen, bei denen einfach ganz wenig passiert. Das fing schon mit dem einzigen "echten" deutschen Wettbewerbs-Beitrag "Gold" an, in dem Nina Hoss und Kollegen lange, lange durch die kanadischen Wälder ritten.

Oder gar "Camille Claudel 1915". Das ist ein französischer Beitrag, in dem eine zutiefst bedauernswerte Juliette Binoche in der Titelrolle im Asyl für Verrückte lebt. Aber selbst wenn nichts passiert - man kann so was gut erzählen. Und so durfte sich "Prince Avalanche" über den warmen Applaus eines dankbaren Publikums freuen.
Viel weniger als im Leben von Alvin (Paul Rudd) und Lance (Emile Hirsch) kann eigentlich gar nicht passieren.

Die beiden Straßenarbeiter ziehen durch ein abgebranntes Waldgebiet in Texas und bringen per Hand neue Markierungen auf die Straßen - tagein, tagaus. Nur ein verschrobener alter Lkw-Fahrer durchbricht ab und an die Monotonie, wenn er die zwei Männer mit Schnaps beliefert. Ansonsten sind Alvin und Lance auf sich alleine gestellt.


Viele komische Szenen

Regisseur David Gordon Greene lässt seine beiden Figuren durch eine triste Landschaft ziehen und erzählt die Geschichte der Eigenbrötler mit vielen leise komischen Szenen.

Wenn zwei Männer auf sich alleine gestellt sind, dann reden die eben auch manchmal Blödsinn. So ist das Leben in "Prince Avalanche": interessant, auch wenn es langweilig ist. Hätten das nur alle Filmemacher im Berlinale Wettbewerb begriffen. Bruno Dumont ist dies partout nicht gelungen. Er präsentierte deshalb mit "Camille Claudel 1915" die bisher größte Enttäuschung im Wettbewerbsprogramm. Die Geschichte der Camille Claudel, sie war die sagenumwobene Muse des Auguste Rodin, wurde ja schon mehrfach verfilmt. 1989 erhielt Isabell Adjani für ihre Titelrolle sogar den Silbernen Bären der Berlinale.

Dumont setzt in seinem Film ohne den sicher hilfreichen Verweis auf die Vorgeschichte erst nach der künstlerisch aktiven Zeit Claudels an - als sie schon in einer Anstalt für Geisteskranke dahinvegetiert.

Einfallslos lässt der Regisseur die arme Juliette Binoche durch den Alltag streifen. So sehr wie im Film die frustrierte Camille auf den Besuch ihres Bruders wartet, so sehr sehnt sich das Publikum nach interessanten Momenten in diesem Drama. Dann kommt Paul Claudel, schwafelt einen ellenlangen Katholizismus-Monolog und lässt seine Schwester hilflos stehen. Das Publikum übrigens auch.


Solider Thriller

Im Rahmen der wahrlich nicht niedrigen Erwartungen blieb "Side Effects" von Kultregisseur Steven Soderbergh. Ein bisschen großspurig wurde der Film als Thriller über die dunklen Machenschaften der Pharmaindustrie angekündigt. Das sind die "Side Effects" (Nebenwirkungen) am Ende nicht. Aber sie sind ein solider Thriller, in dem der Psychiater Jonathan Banks (erstaunlich gereift: Jude Law) an den Fall der hübschen Emily gerät.
Die hat, vermutlich durch den Einfluss stimmungsaufhellender Psychopharmaka, beim Schlafwandeln ihren Mann umgebracht.

Mit seiner energischen Suche nach der Wahrheit in diesem Fall löst Banks eine Lawine an Ereignissen aus, die seine berufliche Reputation und sein Privatleben aus der Bahn werfen. "Side Effects" ist, ohne Frage, publikumstaugliches Genre-Kino. Der Film ist stimmig besetzt, sieht eine undurchschaubare Catherine Zeta-Jones in einer Nebenrolle und überrascht sein Publikum mit einer unerwarteten Wende im Showdown.


Der Fluch der guten Tat

Aber von einem Regisseur, der in Berlin für Filme wie "Traffic" (2001) geradezu hymnisch gefeiert wurde, erwartet man einfach ein bisschen mehr. Das ist der Fluch der guten Tat. Erst recht, wenn es sonst im Wettbewerb ohnehin nur sehr wenig zu bejubeln gab.